# taz.de -- Politik in Indiens Metropole Delhi: Partei der „einfachen Männer“ glänzt
       
       > Die in Delhi regierende Antikorruptionspartei AAP ist trotz Konflikten
       > mit dem Gouverneur des Bundestaates bei den Wählern beliebt.
       
 (IMG) Bild: Der AAP-Regierungschef des Bundesstaates Delhi, Arvind Kejriwal.
       
       DELHI taz | Am Ende ihrer Schicht ist Alka Choudhary immer noch gut
       gelaunt. Der Zähler ist soeben auf 193 umgesprungen, so viele Patienten hat
       die Ärztin zwischen 7 und 12 Uhr morgens getroffen. Eine Mittzwanzigerin
       ist noch dran, sie fürchtet, schwanger zu sein. Choudhary beruhigt sie kurz
       und bittet sie, am nächsten Tag eine Urinprobe mitzubringen.
       
       Choudhary ist Chefin einer neuen Klinik der Stadtregierung von Delhi in
       einem Slum im Norden der Stadt. „Ich habe früher in einem Krankenhaus für
       Superreiche gearbeitet und hatte es satt“, sagt Choudhary. Hier sei sie,
       trotz der enormen Belastung, zufrieden. „Ich sage immer, gebt mir den
       schlimmsten Slum, den ihr habt.“
       
       Die Klinik ist eine von mehreren Projekten der neuen Regierung Delhis. Im
       Februar gewann die „Partei des einfachen Mannes“ (AAP) 67 der 70 Sitze im
       Stadtparlament. Die AAP ist eine der jüngsten Parteien in Indien,
       hervorgegangen aus einer landesweiten Antikorruptionsbewegung im Jahr 2012,
       und eine der beeindruckendsten. In Delhi wies sie die hindunationalistische
       Volkspartei (BJP), die die Zentralregierung stellt, in die Schranken, sowie
       die Kongresspartei, die über Jahrzehnte regierte.
       
       Ein Jahr zuvor hatte die AAP eine Minderheitsregierung in Delhi
       aufgestellt, diese aber nach 45 Tagen beendet, als ein
       Antikorruptionsgesetz keine Mehrheit fand. Nun hat sie – so sieht es die
       Partei – ein klareres Mandat für ihre Politik bekommen.
       
       ## Doppelt so viel Geld für Bildung
       
       Das Parteiprogramm versprach scheinbare Wunder: Die Stromrechnungen sollten
       halbiert, alle Haushalte mit Wasser versorgt, Schulen, öffentlicher
       Nahverkehr und Gesundheitsversorgung verbessert und die Korruption
       gnadenlos bekämpft werden. Alles Dinge, die mächtigere Parteien über Jahre
       hinweg schon versprochen, aber nicht gehalten hatten. In ihrem
       Haushaltsentwurf verdoppelte die AAP die Gelder für Bildung und erhöhte das
       Budget für Gesundheit um 46 Prozent.
       
       Zentrale Projekte sind die Schaffung von eintausend Nachbarschaftskliniken
       wie jene, die Alka Choudhary leitet, sowie eine Videoüberwachung in jedem
       Klassenzimmer. „Das haben wir in Zusammenarbeit mit Eltern und Schülern
       entwickelt“, erklärt der AAP-Parteisprecher Dilip Pandey. „So wollen wir
       kontrollieren, ob Lehrer auch zum Unterricht kommen.
       
       Doch zunächst schien es, als würde die Partei in Streit versinken. Die AAP
       hatte sich nicht an das selbst auferlegte Verbot für Kandidaten mit
       laufenden Strafprozessen gehalten, was einige Mitglieder öffentlich
       kritisierten. Nach dem Wahlsieg schloss die Parteiführung zwei angesehene
       Politiker aus. „Die Partei hat ihre innere Demokratie der Macht geopfert“,
       sagt einer von ihnen, der Rechtsanwalt Prashant Bhushan.
       
       Zugleich begann ein Konflikt mit Delhis Gouverneur, der von der
       Zentralregierung eingesetzt wird und für die Verwaltung und Polizei
       zuständig ist. Ihm wirft die AAP eine Blockade vor.
       
       ## Elektrizität zum halben Tarif
       
       Die Partei scheint ihre Versprechen im Großen und Ganzen einhalten zu
       können: In den nächsten Monaten sollen rund 1.300 neue Busse für den
       Nahverkehr gekauft werden. Haushalte bekommen die ersten 20.000 Liter
       Leitungswasser monatlich frei, die ersten 400 Kilowattstunden Elektrizität
       werden nur zum halben Tarif berechnet. Erstmals seit Jahren haben die
       Elektrizitätswerke in der Stadt ihre Tarife nicht erhöht. Auch die
       Korruption sei rückläufig, sagt der Journalist Ajaz Ashraf, der die
       Entwicklung der AAP von Anbeginn verfolgt.
       
       In ärmeren Gegenden und Slums sei die Partei beliebt. Auch in dem Slum um
       Choudharys Klinik sind die Einwohner voller Lob. „Die anderen Parteien
       interessieren sich immer nur vor den Wahlen für uns“, sagt der 60-jährige
       Ajit Kumar.
       
       Fraglich ist aber, ob und wie lange der Erfolg der Partei anhält. Erst
       kürzlich fochten die Elektrizitätsfirmen der Stadt erfolgreich eine Prüfung
       durch den indischen Finanzhof vor Gericht an, der überhöhte Preise
       festgestellt hatte.
       
       Und die Umsatzsteuer, deren bessere Eintreibung die höheren
       Haushaltsausgaben finanzieren sollte, scheint nicht zu reichen. Auch von
       den versprochenen eintausend Kliniken wurden seit Februar erst zwei
       eingeweiht.
       
       3 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lalon Sander
       
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