# taz.de -- Im Anwohnerpark
       
       MANJA PRÄKELS 
       
       ## Teil 14: Ein Mann für alle Fälle
       
       Wassolldasheißen? Wollnsiemichverarschen?“
       
       Empört sprang der Makler vom Rücksitz seiner Limousine auf die Straße
       hinaus, blieb dabei mit dem rechten Lackschuh im Sicherheitsgurt hängen und
       schlug der Länge nach aufs Pflaster. Das Telefon, in das er eben noch
       hineingebrüllt hatte, schoss mit Schwung aus seiner Hand und zerschmetterte
       an der Fassade des letzten unsanierten Hauses. Leise rieselte der Putz. Der
       Makler rang nach Luft.
       
       „Da isser ja wieder!“
       
       „Wer?“
       
       „Na dieser aalglatte Anzugträger, der uns die janze Zeit bespitzelt. Hab
       ick doch erzählt …“
       
       „Wat liegt der denn jetz uffm Tritt um Himmelswilln?“
       
       „Schönet Ei!“
       
       Hildegard und Lale standen Schulter an Schulter im blaulicht. Gebannt
       beobachteten sie die Szenerie durch die frisch geputzte Scheibe. Die war
       erst am Morgen eingesetzt worden. Irgendein Verzweifelter hatte einen Stein
       in die alte hineingeschmissen. So was kam öfter vor. Kein Grund zur Panik.
       Meist wurde die Wirtin am nächsten Morgen von einer Nachbarin alarmiert,
       der das Malheur aufgefallen war. Dann funkte Hildegard Lale herbei und sie
       verbrachten den halben Tag damit, den Schaden zu beheben. So spannend wie
       dieses Mal war es aber selten.
       
       Nebenan, im Bioladen, verstrich der Tag in gewohnter Manier. Kunden kamen
       und gingen. Manche blieben eine Weile, tranken Tee oder kosteten von der
       Tagessuppe.
       
       „Abends kann man gut erkennen, wo die Weihnachtsirren wohnen.“
       
       „Ich mag Weihnachten auch ganz gern.“
       
       „Das ist doch kein Grund, seine Fenster in Brand zu setzen.“
       
       „Warum musst du immer gleich übertreiben?“
       
       „Schonmal was von Lichtverschmutzung gehört?“
       
       „Wenn du es dunkel lieber magst …“
       
       Manchmal bereute Anne, der Idee ihrer kleinen Schwester nachgegangen zu
       sein. Ein Bioladen brauchte drinnen ja nicht zwangsläufig
       Sitzgelegenheiten. Kein Wunder, dass ihr die Gäste manchmal auf die Nerven
       gingen. Manche Leute können einfach abschalten. Nicht sehen, nichts hören …
       Das klappte bei ihr nie. Anne merkte, wie ihr haltlose Wut den Hals
       hinaufstieg. Seit sie das letzte Schreiben der Hausverwaltung gelesen
       hatte, fühlte sie sich dünnhäutig. Zerstreut. Reizbar. „Wir bitten um einen
       Vor-Ort-Termin.“ Was hatte das zu bedeuten? Und was zur Hölle war aus
       Hildegards Superplan geworden?
       
       „Wir würden gerne zahlen!“
       
       Auf den Baustellen ringsherum hatten die Arbeiter ihre Pause beendet.
       Erneut setzte das monotone Dröhnen der Maschinen ein, zeichnete Anne eine
       neue Falte auf die Stirn.
       
       „Natürlich. Ich komme.“
       
       Der Chauffeur des Maklers hatte sich im Laufe der Zeit so daran gewöhnt,
       während des Fahrdienstes abzuschalten und schönen Erinnerungen
       nachzuhängen, die meist im Zusammenhang mit Liebesspielen am
       Nacktbadestrand von Usedom standen, dass er den Unfall seines Chefs glatt
       überhört hatte. Erst als er ihn gestikulierend im Seitenspiegel erblickte,
       war er pflichtbewusst zur Hilfe geeilt. Er lieh dem lädierten Vorgesetzten
       seine Schulter, so dass der zurück zum Fahrzeug humpeln konnte. Der
       Chauffeur klaubte mit eingezogenem Kopf die Reste des Telefons zusammen.
       Außerhalb der Limousine mit ihren getönten Scheiben, hinter denen er
       gewöhnlich sein Gesicht verbarg, fühlte er sich immer ein bisschen unwohl.
       Nervös blickte er zum blaulichthinüber. Die Frauen hatten den Schaden
       ziemlich schnell repariert. War das der Grund für den neuerlichen Wutanfall
       seines Chefs?
       
       „Los jetzt, fahr endlich!“
       
       Ein ruppiger Wind verwirbelte Müll und Blätter über der Kreuzung am
       nördlichen Ende der Straße. Die Tram hielt mit lautem Quietschen. Fritze
       schmiss seinen Rucksack über die Köpfe der Mitreisenden nach draußen,
       zwängte sich an einem Zwillingskinderwagen vorbei, dem Gepäck hinterher ins
       Freie und atmete erleichtert auf. Mochten manche Männer mutlos
       mitmarschieren – er sicher nicht. Zornig hatte er die alten Freunde
       zurückgelassen und war allein zum Bahnhof gehumpelt. Nur fort. Raus aus der
       ländlichen Kulisse seiner Kindheit, wo sie die alten Schlachtgesänge neu
       entdeckten. Die Gespräche des Vortages hatten ihn fassungslos gemacht. Eine
       große rote Plastiktüte klatschte an die Rückwand der Haltestelle. Fritze
       beschloss, direkt ins blaulichtzu gehen. Allein der Gedanke an Hildegards
       Lächeln erschien ihm tröstlich.
       
       Auf Höhe der Turnhalle geriet er in einen Menschenauflauf. Frauen mit
       weichen Haaren und bunten Schals luden Kartons und Säcke aus einem
       Kleintransporter. Es lag Aufregung in der Luft. Sie riefen einander
       unzusammenhängende Worte zu: Salz. Wintersachen. Drückkannen. Unterwäsche.
       Mit dem Stock voran bahnte sich Fritze einen Weg durch das Gewusel, traf
       dabei wohl ein Schienbein und kassierte den empörten Blick einer hageren
       Mittdreißigerin: „Aua!“ Vom anderen Ende der Straße donnerte ihm Baulärm
       entgegen. Dort, wo er gerade herkam, war es auch tagsüber still gewesen.
       Totenstill. Mochte sein krankes Herz auch auf Berlin verzichten können. Der
       Kopf konnte es nicht.
       
       „Hast du sie?“
       
       „Ja, Mensch!“
       
       Mit quietschenden Reifen war die Nobelkarre davongebraust. Lale hatte die
       Nummer gerade noch auf einem Bierdeckel notieren können. Nach allem, was
       geschehen war, gab sie Hildegard recht: Die Sache stank zum Himmel. In dem
       Moment klopfte Fritze an die neue Scheibe. Er sah müde aus. Hildegard ließ
       den Freund herein, brühte frischen Kaffee auf und berichtete von den
       merkwürdigen Begebenheiten der letzten Tage. Dass Fritze nicht minder
       merkwürdige Dinge erlebt hatte, erfuhren sie und Lale bei einer
       anschließenden Runde Cuba Libre: „Prost, Kinder. Auf das Leben!“
       
       Der Chauffeur versteckte sich bei den Mülltonnen neben der Kaufhalle. Er
       fror und zweifelte. Was sein Chef nun von ihm verlangte, überstieg seine
       Vorstellungskraft. Das war doch irre. Aber Gleiches galt für die offerierte
       Erfolgsprämie. Für einen kurzen Moment wünschte er sich, ein besserer
       Mensch zu sein. Eine Ratte sauste geschäftig vorbei und tauchte fiepsend in
       den Gulli. 
       
       „Scheiß drauf.“
       
       10 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manja Präkels
       
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