# taz.de -- CDU-Parteitag und Flüchtlinge: Zur Sache, Schätzchen
       
       > In Karlsruhe werden gegensätzliche Positionen aufeinandertreffen. Es wird
       > Streit geben. Denn immer noch geht es um die Obergrenze.
       
 (IMG) Bild: Wird die Kanzlerin auf dem Parteitag die Führung beanspruchen?
       
       „Zur Sache“. So lautete das Motto jenes historischen Essener Parteitages,
       auf dem die CDU Angela Merkel zu ihrer neuen Vorsitzenden wählte. Fünfzehn
       Jahre ist das schon her, die Partei war tief zerstritten über die Frage,
       wie es weitergehen sollte. Nach dem Verlust der Regierungshoheit 1998 und
       einer üblen Spendenaffäre samt unausweichlicher Führungskrise trat an
       diesem 10. April 2000 die 45 Jahre alte Angela Merkel nach vorn und
       beanspruchte die Führung.
       
       Und sie bekam sie. Nach einer fulminanten Rede stimmten 95,94 Prozent der
       Delegierten für die Frau aus dem Osten. Und zwar auch, weil sie in ihrer
       Rede Klartext gesprochen hatte. Zur Sache eben, so wie es das
       Parteitagsmotto verheißen hatte.
       
       Der CDU-Parteitag, der am Montag und Dienstag in Karlsruhe über die Bühne
       gehen wird, könnte ähnlich historisch werden. Das Motto diesmal: „Für
       Deutschland und Europa“. Und, ja, die CDU – noch immer die größte
       Volkspartei – steht erneut vor der Frage, wohin sie steuert. Folgen die
       tausend Delegierten beim Thema Flüchtlinge ihrer Vorsitzenden? Oder wird
       Karlsruhe zu jenem Ereignis, an das man sich später erinnern wird als
       Anfang vom Ende einer für diese Partei ungemein wichtigen Vorsitzenden?
       Nach Karlsruhe könnte sich erweisen, was es mit der auch für die Politik
       gültigen Sentenz auf sich hat, das Leben werde nach vorne gelebt – aber
       erst von hinten verstanden.
       
       Am Montagvormittag wird Angela Merkel eine Stunde lang zu den Delegierten
       sprechen. Sie wird ihre Flüchtlingspolitik erläutern und für den erst knapp
       vor dem Parteitag vorgelegten Antrag des Bundesvorstandes werben. Aber sie
       wird auch ihren innerparteilichen Kritikern entgegenkommen müssen.
       
       Vor fünfzehn Jahren, als sie in Essen um das Vertrauen der Delegierten
       kämpfte, hat sie Sätze gebraucht, die sie derzeit so oder ähnlich auch in
       der Flüchtlingsfrage vorträgt. Mit einer Gebetsmühlenhaftigkeit, die keinen
       Zweifel daran zulässt, dass es ihr tatsächlich ernst damit ist. „Man kann
       eine einschneidende Krise nicht mit einem Stichtag beenden“, war im Jahr
       2000 einer dieser Sätze. „Deutschland wird weiterhin Menschen, die in Not
       sind, aufnehmen“ ein anderer.
       
       Angela Merkel hat aber auch etwas anderes gesagt. Als es um die
       Meinungsbildung ging, um Debattenkultur und ihr Demokratieverständnis,
       sagte sie zu den Delegierten: „Jede Aushöhlung des Rechtsempfindens wird
       die Menschen letztlich nur verunsichern.“ Und: „Nichts ist schlimmer, als
       wenn den Menschen gleichsam vorgeknallt wird, dass nun nichts mehr zu
       ändern ist.“ Gerade das ist es, was ihr heute weite Teile ihrer Partei
       vorhalten. Merkel habe das Grundgesetz außer Kraft gesetzt, heißt es selbst
       aus Führungskreisen der CDU, mit ihren Entscheidungen übergehe sie das
       Parlament und schaffe rechtliche Grauzonen. All diesen Stimmen gemein ist
       aber auch das Eingeständnis, keine bessere Lösung im Angebot zu haben. Die
       CDU ist schließlich eine christliche Partei, das C steht für Nächstenliebe.
       
       ## Kein Bashing per Stimmkarte
       
       Karlsruhe wird kein Wahlparteitag. Angela Merkel wird also nicht über ihre
       Person abstimmen lassen. Sondern lediglich über den Leitantrag des
       Bundesvorstandes, der den dräuenden Titel „Karlsruher Erklärung zu Terror
       und Sicherheit, Flucht und Integration“ trägt. Für die Partei und ihre
       Vorsitzende ist das ein Glück. Denn so steht den Delegierten diesmal nicht
       das Instrument des Bashings per Stimmkarte zur Verfügung: Ein paar
       Prozentpunkte weniger für „die Chefin“ bei deren Wiederwahl – schon hätte
       die Basis ihr Mütchen gekühlt, und anschließend könnte alles laufen wie
       bisher: Merkel entscheidet, es darf gemurrt werden, aber bei der nächsten
       Bundestagswahl ist die Freude wieder mal groß über diese Sphinx aus dem
       Osten, die ihre Partei schlafwandlerisch an die Spitze der nächsten
       Regierung führt. Und das alles, ohne andere mit den Beweggründen ihres
       politischen Handelns behelligt zu haben.
       
       Diesmal wird es also komplizierter. In Karlsruhe werden erstmals offen
       gegensätzliche Positionen aufeinandertreffen. Es wird Streit geben um das
       O-Wort. Es wird nicht „vorgeknallt“, sondern diskutiert. Das ist neu für
       diese Partei. Nein, eine Obergrenze für Flüchtlinge sieht das Papier des
       CDU-Bundesvorstandes nicht vor. Stattdessen will die Parteispitze Migranten
       per Gesetz zur Integration verpflichten.
       
       Außerdem fordert sie einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen und die
       „Vereinbarung eines legalen Flüchtlingskontingents für die EU“. Merkel und
       ihre Leute im Konrad-Adenauer-Haus bekräftigen damit ihre Haltung, dass die
       Flüchtlingsfrage keine innenpolitische, sondern vielmehr eine
       europapolitische ist. Bei der Vorstellung des [1][Papiers] am Donnerstag
       sagte denn auch Innenminister Thomas de Maizière, der Begriff der
       Obergrenze tauche „in der Tat nicht auf. Wir haben andere Formulierungen
       gewählt, die wir für geeigneter halten.“
       
       Aber gerade diese Obergrenze hat die für die CDU wichtige Junge Union
       gefordert. Auf Seite 21 des dicken Antragsbuches steht: Die Herzlichkeit im
       Umgang mit Flüchtlingen dürfe „nicht zu einem Verlust an realistischer
       Selbsteinschätzung führen“, schreibt der Parteinachwuchs. Deshalb möge der
       CDU-Parteitag die „Einführung einer Obergrenze“ beschließen.
       
       Für Paul Ziemiak hat eine solche Obergrenze nie gegolten. Der Chef der
       Jungen Union ist gebürtiger Pole. 1988, da war Paul drei Jahre alt, machten
       seine Eltern mit ihm eine Reise: vom heimatlichen Stettin nach Deutschland.
       Erst dort sagten sie ihm, dass sie nicht mehr nach Polen zurückgehen
       würden. Ziemiak legte eine mustergültige Einwanderungsperformance hin. Er
       studierte Jura und Unternehmenskommunikation, trat mit 14 Jahren in die
       Junge Union ein, mit 16 Jahren in die CDU; seit einem Jahr ist er der
       Bundesvorsitzende der JU. Warum ist jemand mit einer solchen Vita für eine
       Obergrenze bei der Zuwanderung?
       
       ## Wunsch nach „eindeutigem Zeichen“
       
       Ziemiak sitzt im Besprechungsraum der JU in Berlin-Mitte. Er werde das
       öfter gefragt, sagt er. „Mir geht es nicht darum, dass Flüchtlinge nicht
       kommen dürfen. Aber wir müssen jetzt zu einem geregelteren Verfahren
       kommen.“ Darüber soll der Parteitag diskutieren. „Streit?“, wehrt er die
       Frage nach dem innerparteilichen Zerwürfnis ab. „Debatten sind ja Kern
       unserer Demokratie.“ Das klingt so gar nicht nach Kohls Kanzlerwahlverein,
       als der die Junge Union einst verspottet wurde. Ziemiak schwebt etwas
       anderes vor. „Wir bräuchten eine Art Give-back-Politik, die in den
       Fluchtländern vor Ort etwas aufbaut.“
       
       Am Freitagnachmittag dann – einen halben Tag nachdem der Bundesvorstand
       seinen Antrag vorgelegt hat – zieht die JU plötzlich zurück. Man bestehe
       nicht mehr auf dem Wort „Obergrenze“, erklärt Paul Ziemiak gegenüber der
       Welt. Man befinde sich in Bezug auf das Wording „in keinem religiösen
       Streit, bei dem es um heilige Begriffe geht“.
       
       Doch der Antrag der Parteiführung gehe dem Parteinachwuchs in einem
       entscheidenden Punkt nicht weit genug. „Es fehlt das eindeutige Zeichen,
       dass auch unsere Möglichkeiten in Deutschland endlich sind. Uns geht es
       nicht um Wortklauberei, aber von dem CDU-Parteitag muss ein Bekenntnis
       ausgehen: Wir brauchen eine Begrenzung der Zuwanderung.“ Wenn also der am
       Sonntag unmittelbar vor dem Parteitag tagende Bundesvorstand nicht bereit
       sei, Änderungen im Sinne von JU und dem einflussreichen
       Mittelstandsvereinigung MIT zu beschließen, will Ziemak alle Delegierten
       abstimmen lassen.
       
       Damit spitzt die Junge Union – im Verbund mit der MIT – die Situation noch
       weiter zu. Was auf den ersten Blick aussieht wie Kompromissfähigkeit, ist
       eine offene Drohung an die Parteiführung: Wenn ihr uns inhaltlich nicht
       entgegenkommt, lassen wir mal alle tausend Delegierten darüber abstimmen.
       Egal wie das Ergebnis aussähe – eine öffentliche Vorführung der
       Parteivorsitzenden und des Bundesvorstandes muss also verhindert werden.
       
       Und etwas anderes weiß auch Paul Ziemiak: Auf offener Bühne ausgetragener
       Zwist – derlei ist weder die Partei gewöhnt noch wissen ihre Wähler so
       etwas zu schätzen. Streiten, das ist doch was für Sozis. Oder? „Die CDU
       soll beschließen, dass unsere Möglichkeiten in diesem Land nicht unendlich
       sind“, antwortet Paul Ziemiak. „Wir als Junge Union brauchen ein Zeichen,
       dass der Status quo so nicht beibehalten wird.“
       
       Ein Zeichen also. Am besten eines von der Chefin. Am Montagmittag wird man
       wissen, ob Angela Merkel so wie vor fünfzehn Jahren wieder nach vorn
       gegangen ist und die Führung beansprucht. Ob sie zur Sache gekommen ist.
       
       13 Dec 2015
       
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