# taz.de -- ANTISEMITISMUS Nach der Publikation von Heideggers „Schwarzen Heften“: Donatella Di Cesare legt eine systematische Untersuchung vor: Der ontologische Feind
       
 (IMG) Bild: Martin Heidegger zu Hause in Todtnauberg, 1966. Seine „Schwarzen Hefte 1942–1948“ wurden 2015 veröffentlicht
       
       von Christoph David Piorkowski
       
       Lange Zeit hielt sich in der Forschung die nicht zuletzt von Hannah Arendt
       vertretene These, es habe sich bei Heideggers Engagement für den
       Nationalsozialismus um das naive Abdriften eines politisch unbedarften
       Philosophen gehandelt. Das Klischee vom Elfenbeinturm diente als gemütliche
       Schutzbehauptung. Auch viele, die wussten, dass der Denker vom Todtnauberg
       als Person nicht ganz koscher war, versuchten zur Ehrenrettung seines ja
       auch auf Seiten linker Theoriebildung wirkmächtigen Denkens, wenigstens den
       frühen Heidegger, den Fundamentalontologen aus der Zeit vor der Kehre,
       von braunen Flecken rein zu halten.
       
       Seit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte nun wird Heideggers
       Antisemitismus intensiv diskutiert. Und doch mangelte es zunächst an einem
       systematischen Ansatz, der Heideggers Werk im Ganzen auf sein
       judenfeindliches Gepräge hin geprüft und diesem genealogisch durch die
       Philosophiegeschichte nachgespürt hätte.
       
       Die italienische Philosophin Donatella Di Cesare, letzte Schülerin des
       Heidegger-Zöglings Gadamer, die vor Kurzem ihren stellvertretenden Vorsitz
       der Martin-Heidegger-Gesellschaft niederlegte, arbeitet mit „Heidegger, die
       Juden, die Shoah“ nun in die angedachte Richtung.
       
       Im Verlauf einer eingehenden Untersuchung der Schwarzen Hefte im Kontext
       des Gesamtwerks kommt Di Cesare zu einem klaren Befund: Der Antisemitismus
       macht einen zentralen Zug in Heideggers Denken aus; sein Begriffsapparat
       ist von der Pike auf antisemitisch durchseucht. Ferner steht Heidegger, so
       Di Cesare, nicht isoliert da im Schwarzwald der antisemitischen
       Geistesgeschichte. Er adaptiert vielmehr tradierte Topoi, die den Juden als
       radikal Anderen und als ewigen Feind imaginieren.
       
       Schon Luther und Kant hatten das Motiv der Oberfläche in Abgrenzung zur
       Tiefe profiliert. Dieser Gegensatz fügt sich in eine Kette von
       Begriffspaaren, in denen die Juden stets das konstitutive Außen bilden.
       Diese gelten Kant als heteronome Anhänger toter „statutarischer Gebote“,
       die in ihrer Buchstabenhörigkeit das der Ethik eignende Autonomiemoment
       verfehlen. Bei Hegel dann werden die Juden aus der Dialektik der
       Weltgeschichte ausgeschlossen. Ihre bloße Existenz, ihre Weigerung, sich im
       Christentum „aufheben“ zu lassen – im doppelten Sinn von Negation und
       Bewahrung –, ist fürs Hegel’sche System ein Skandal.
       
       Geist/Buchstabe, Innen/Außen, Sein/Schein, eigentlich/uneigentlich,
       Boden/Entwurzelung: diese antijüdisch imprägnierten Dichotomien haben, so
       Di Cesare, im okzidentalen Denken eine lange Tradition. Heidegger treibe
       den Antagonismus zwischen im Sein verwurzelten Deutschen und ans Seiende
       verfallenen weltlosen Juden schließlich auf die Spitze. Letztere würden ihm
       als ontologische Feinde gelten, als Agenten einer seinsvergessenen Moderne,
       die mit ihrer technischen „Machenschaft“ den Übergang zum „anderen Anfang“
       verstellten. Die Philosophin attestiert Heidegger einen „metaphysischen
       Antisemitismus“. Indem er, der die Metaphysik überwinden wollte, der das
       Dasein als reinen Vollzug begriff, den Juden auf ein bestimmtes Wesen
       verpflichte, verrate er die Seinsfrage und falle ins metaphysische Denken
       zurück.
       
       Das Ungeheuerlichste aber ist, dass Heidegger die Shoah in den Schwarzen
       Heften als „Selbstvernichtung“ der Juden konzipiert. Als Betreiber der
       Machenschaft würden sie auf dem Zenit des technischen Zeitalters von ihrer
       eigenen Schöpfung „verzehrt“. Man muss sich das klarmachen: Während
       Heidegger auf seinen Schwarzwälder Holzwegen den Unkenrufen des Seins und
       dem hölderlinschen Flüstern lauschte, fuhren mit Menschen beladene
       Viehwaggons den Öfen entgegen. Und der einzige Gedanke, der dem großen
       Philosophen kam, war, die Juden als Demiurgen des „Gestells“ zu
       beschuldigen, die von ihrer eigenen Todesindustrie vernichtet würden.
       
       Di Cesare macht Heidegger nicht bloß politisch den Prozess. Sie stellt ihn
       philosophisch und leuchtet tief in die Abgründe des abendländischen
       Denkens. Ihr Buch sollte Pflichtlektüre sein, für jeden, der sich mit
       Philosophie beschäftigt. Tom Rockmores Satz hat sich bestätigt:
       „Heidegger, der Philosoph des Seins, ist nicht zufällig Heidegger der
       Nazi geworden.“
       
       Donatella Di Cesare: „Heidegger, die Juden, die Shoah“. Klostermann
       Verlag, Frankfurt a. M. 2015, 406 S., 29,80 Euro
       
       16 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph David Piorkowski
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA