# taz.de -- Giftiger Bohrschlamm: NRW will nicht länger Müllkippe sein
       
       > Bei der Suche nach Erdgas und Erdöl wurden jahrzehntelang Millionen
       > Tonnen hochgiftiger Bohrschlämme in den Boden gekippt. Geeignete Deponien
       > fehlen.
       
 (IMG) Bild: Auch nach Anschauung in den USA nicht fürs Fracking zu begeistern: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD)
       
       HANNOVER taz | Norddeutschlands Erdgas- und Erdölindustrie hat ein massives
       Entsorgungsproblem: Für Millionen Tonnen giftiger Bohrschlämme gibt es im
       Hauptförderland Niedersachsen keine einzige Deponie, die diesen Sondermüll,
       der bei jeder Bohrung entsteht, aufnehmen darf – die schwarz-braune, ölig
       wirkende Masse enthält nicht nur giftige Schwermetalle wie Quecksilber und
       Arsen und krebserregende polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK)
       wie Benzol und Tuluol, sondern auch radioaktives Radium (siehe Kasten).
       
       Dieser Sondermüll ist das Erbe von mehr als 150 Jahren Erdöl- und
       Erdgasförderung. Bis in die Sechzigerjahre sei es „gängige Praxis“ gewesen,
       „neben jeder Tiefbohrung eine kleine Schlammgrube anzulegen“, schreibt das
       von dem Grünen Stefan Wenzel geführte niedersächsische Umweltministerium in
       einer Stellungnahme – die Gifte wurden also schlicht in den Boden gekippt.
       Noch in den Achtzigern seien Ölschlammgruben von der Bergbehörde als
       vorübergehende Einrichtungen genehmigt worden. Heute belastet der
       Sondermüll Boden und Grundwasser.
       
       Allein in Niedersachsen gibt es mehr als 500 „Verdachtsflächen“, auf denen
       die giftigen Bohrschlämme vergraben sein dürften, in Mecklenburg-Vorpommern
       sollen es rund 350 sein. Noch heute stehen 40 zentrale Öl- und
       Bohrschlammgruben unter der Aufsicht des niedersächsischen Landesamts für
       Bergbau, Energie und Geologie (LBEG). Deren Sanierung hat gerade erst
       begonnen – und mangels eigener Deponien bereits zu einem beispiellosen
       Sondermülltourismus geführt: Aus nur drei dieser Gruben wurden in den
       vergangenen zehn Jahren mehr als 700.000 Tonnen Schlamm geborgen und nach
       Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, ins Saarland und in die Niederlande
       gekarrt – das sind 18.000 LKW-Ladungen.
       
       Hauptabnehmer der giftigen Fracht war mit mehr als 330.000 Tonnen die vom
       Verwerter Remondis betrieben Sondermüll-Deponie in Hürth-Knapsack bei Köln.
       Doch dort formiert sich eine breite Koalition gegen die Gift-Transporte:
       „Dass man, um einen schnellen Euro zu verdienen, hier solche Mengen von
       schwierigen Abfällen deponiert, ist nicht in Ordnung“, kritisierte etwa der
       Vorsitzende der CDU-Fraktion im Rhein-Erft-Kreis, Willi Zylajew, im WDR –
       der Christdemokrat war bisher davon ausgegangen, dass auf der Deponie
       Sondermüll angrenzender Chemiewerke gelagert wird. „Wir wollen nicht die
       Müllkippe der Nation werden“, sagt er jetzt.
       
       ## Niedersachsen profitiert
       
       Protest kommt auch von der Linkspartei und Umweltverbänden. „Der
       Giftmülltourismus muss aufhören“, fordert der linke Bundestagsabgeordnete
       Hubertus Zdebel – NRW sei durch die Altlasten des Bergbaus und der
       Schwerindustrie bereits überproportional belastet. „Niedersachsen
       profitiert wirtschaftlich von der Erdgas-Förderung, kippt den Sondermüll
       aber anderen vor die Haustür“, meint auch der Geschäftsleiter des
       Umweltverbands BUND in NRW, Dirk Jansen – die sogenannte Förderabgabe
       spülte allein 2014 immerhin 450 Millionen Euro in die Kassen des
       niedersächsischen Finanzministers Peter-Jürgen Schneider (SPD).
       
       Zwar sei die Deponie bei Köln für die Aufnahme von Sondermüll ausgelegt und
       die Transporte damit rechtskonform, sagt Jansen: „Wir fordern trotzdem,
       dass unser grüner NRW-Umweltminister Johannes Remmel politisch agiert und
       seinen Parteifreund und Amtskollegen Stefan Wenzel auffordert, für eine
       Entsorgung in Niedersachsen zu sorgen.“
       
       In Hannover gibt sich die dortige rot-grüne Landesregierung dagegen
       bedeckt. Wie groß die Menge der noch zu entsorgenden Bohrschlämme
       vermutlich sein wird, will das Umweltministerium nicht beantworten: Das
       „Existenz- und Gefährdungspotenzial“ könne erst nach weitergehenden,
       gemeinsam mit der Erdöl- und Erdgasindustrie angeschobenen Untersuchung
       beurteilt werden. Sechs Jahre soll diese Überprüfung dauern, heißt es in
       einer Stellungnahme des Wirtschaftsverbands Erdöl- und Erdgasgewinnung.
       
       Das von Olaf Lies (SPD) geführte niedersächsische Wirtschaftsministerium
       versichert gleichzeitig, neue Bohrschlämme entstünden nicht. Trotz
       sinkender Förderung werde nicht gebohrt. Merkwürdig nur: Noch 2014 wies das
       landeseigene LBEG für Niedersachsen eine „Bohrmeterleistung“ von exakt
       24.545,4 Metern aus – aktuellere Zahlen wurden nicht veröffentlicht.
       
       ## Worst-Case-Szenario fürs Fracking
       
       Verwunderlich ist das nicht. Die Diskussion um die giftigen Bohrschlämme
       bedroht das künftige Großprojekt der Erdgas-Industrie: Die Akzeptanz für
       die schon heute hochumstrittene Fracking-Technologie, bei der Gas mit hohem
       Druck und Chemikalieneinsatz aus Schiefergestein gelöst werden soll, droht
       nochmals zu schrumpfen – und der Sozialdemokrat Lies macht sich zumindest
       für Fracking in großen Tiefen stark: Eine Gefährdung des Grundwassers sei
       bei Bohrungen in 3.000 Metern unter der Oberfläche auszuschließen, hält er
       Umweltschützern entgegen.
       
       BUND-Mann Jansen zeichnet dagegen bereits ein weiteres Worst-Case-Szenario
       fürs Fracking: „Sollte die Industrie ihr vermutetes Potenzial von 48.000
       Fracks in ganz Deutschland ausschöpfen, entstünden dadurch bei
       durchschnittlich 770 Tonnen Schlamm pro Bohrung 35 Millionen Tonnen
       Sondermüll“, rechnet er vor. „Diese Giftmenge wäre dann endgültig nicht
       mehr zu beherrschen.“
       
       Unterstützung kommt auch aus der Hamburger Greenpeace-Zentrale.
       „Bohrschlamm ist hochgradig verseucht“, sagt der Ölexperte der
       Umweltschutzorganisation, Jörg Feddern. „Je mehr man fördert, desto größer
       wird das Problem.“ Um die Erderwärmung zu begrenzen, sei es unausweichlich,
       statt in neue Bohrungen in erneuerbare Energie zu investieren, sagt
       Feddern: „Es ist Zeit, umzudrehen.“
       
       29 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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