# taz.de -- Wagenknecht und Sinn auf dem Podium: Vergiftetes Lob
       
       > Die „Linke“ und der „Rechte“: Hans-Werner Sinn präsentiert Sahra
       > Wagenknechts neues Buch. Die beiden verstehen sich blendend.
       
 (IMG) Bild: In Geld schwimmen? Nein, Sahra Wagenknecht möchte nur mehr Zeit für sich
       
       BERLIN taz | Ob die Ausführungen von Sahra Wagenknecht bei ihm
       Schnappatmung auslösen? Hans-Werner Sinn schaut gelassen. „Ich fand das
       eigentlich relativ plausibel, was ich jetzt gehört habe“, antwortet der
       frühere Präsident des Münchner ifo-Instituts. Er fände es „sehr
       bemerkenswert, wie man also von verschiedenen Seiten kommt, doch gemeinsame
       Grundkonzeptionen entwickeln kann“. Einige Zuhörer schauen etwas irritiert.
       Ein solches Lob des wirtschaftsliberalen Ökonomen für die
       Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag haben sie nicht erwartet.
       Es ist ein vergiftetes.
       
       Der Andrang am Dienstagabend hätte kaum größer sein können: die „Linke“
       Wagenknecht und der „Rechte“ Sinn auf einem Podium – das zieht. 180
       Menschen passen in den Vortragsraum im Keller des Kulturkaufhauses Dussmann
       in Berlin. Doch auch wenn er mehr als doppelt so groß gewesen wäre, hätte
       es nicht gereicht, um die Nachfrage zu befriedigen.
       
       Viele warteten vergeblich in der langen Schlange auf Einlass. Die, die es
       geschafft hatten, durften immerhin rund eine Stunde einer recht munteren
       Unterhaltung beiwohnen.
       
       Anlass der Veranstaltung war das neue Buch Wagenknechts, „Reichtum ohne
       Gier“, zu dessen Präsentation sich Sinn bereit erklärt hatte. Es enthalte
       „eine ganze Menge von plausiblen Argumentationsketten“, pries er das
       292-Seiten-Werk. Besonders erfreut zeigte sich Sinn darüber, dass die
       Autorin geradezu „ein Loblied auf den Ordoliberalismus“ angestimmt hätte.
       Wagenknecht widersprach nicht. Sie lächelte.
       
       Wer sich einen heftigen Schlagabtausch zwischen den beiden erhofft hatte,
       wurde enttäuscht. Dass lag nicht zuletzt an der Umgarnungsstrategie Sinns,
       der sich Wagenknecht nicht entziehen konnte oder wollte. Denn der
       68-Jährige mit dem Käpt’n-Ahab-Bart gehört zu den klügeren Vertretern
       seines Metiers.
       
       Dabei profitiert er von seiner „Kapital“-Lektüre während des Studiums –
       seine Diplomarbeit schrieb er über das Marx’sche Gesetz der fallenden
       Profitrate. „Selbst Marx hat ja die Produktivkräfte des Kapitalismus
       bewundert“, lautet so ein Satz, den Sinn gern mal einstreut. Mit Verve kann
       er auch den „Monopolkapitalismus“ anprangern. Denn dem hätten schließlich
       schon die Väter des Ordoliberalismus „Fesseln anlegen“ wollen.
       
       Problemlos räumte Sinn „viele Defizite des Kapitalismus“ ein. Wagenknecht
       zustimmend, beklagte er „die große Einkommensungleichheit“ und „die
       Machtkonzentration, die Sie zu Recht geißeln“. Die Marktwirtschaft sei
       „effizient, aber sie ist nicht gerecht“. Doch dafür gebe es „ja einen
       Sozialstaat, der hier eingreift“. Was ihm lautes Gelächter aus dem Publikum
       einbrachte.
       
       ## Freiheit, Eigeninitiative, Wettbewerb …
       
       Sinn kennt zwar viele rhetorische Taschenspielertricks, bleibt jedoch ein
       Apologet des Status quo. Wagenknecht hingegen propagiert den Systemwandel –
       was allerdings radikaler klingt, als es gemeint ist. „Märkte darf man nicht
       abschaffen, im Gegenteil, man muss sie vor dem Kapitalismus retten“,
       schreibt sie in ihrem neuen Buch. „Wir brauchen, was die Neoliberalen sich
       so gern auf die Fahne schreiben, aber in Wirklichkeit zerstören: Freiheit,
       Eigeninitiative, Wettbewerb, leistungsgerechte Bezahlung, Schutz des selbst
       erarbeiteten Eigentums.“
       
       Wie zu erwarten wenig anfangen konnte Sinn mit der Forderung Wagenknechts:
       „Das originäre Kapitalistische, dass Unternehmen zum Zweck der Rendite
       existieren, das gilt es zu überwinden.“ Ihre zentrale Handlungsempfehlung:
       die Ersetzung von Kapitalgesellschaften „durch andere Formen des
       Wirtschaftseigentums“.
       
       Gleichwohl zelebrierte sich Wagenknecht als die bessere Ordoliberale – und
       als vermeintliche Realpolitikerin. Alles, was sie an Veränderungen
       beschreibe, ließe sich ohne Probleme umsetzen. „Das wäre ein
       gesetzgeberischer Akt, den der Bundestag in einer Woche beschließen
       könnte“, behauptete sie am Dienstagabend.
       
       Und was ist Wagenknechts Vision? Mehr Zeit dafür zu haben, einfach „auf
       einer Wiese in der Sonne zu liegen und dem Gesang der Vögel und dem Brummen
       einer dicken Hummel zuzuhören“, liest der als Moderator verpflichtete
       Spiegel-Journalist Markus Feldenkirchen zum Abschluss aus ihrem Buch vor.
       Wagenknecht lacht etwas verlegen.
       
       13 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pascal Beucker
       
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