# taz.de -- Minderjährige Flüchtlinge in Bremen sich selbst überlassen: Die Alleingelassenen
       
       > Mindestens tausend minderjährige Flüchtlinge in Bremen sollen keinen
       > Vormund haben.
       
 (IMG) Bild: Gehen in Bremen oft nicht einmal zur Schule: Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge Foto: Bernd Wüstneck/dpa
       
       BREMEN taz | Nicht ohne Grund will die Linksfraktion in der Bürgerschaft
       nächste Woche wissen, wie es in Bremen um die Organisation von
       Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge steht. Denn:
       „Mindestens tausend Minderjährige sollen momentan ohne Vormund sein“, sagt
       Sofia Leonidakis, migrationspolitische Sprecherin der Linken. Diese
       erschreckend hohe Zahl sei Anlass, den Senat um konkrete und aktuelle Daten
       zu bitten.
       
       Und auch, um nachzufragen, wer sich vor der „Bestallung“, also der
       Übernahme einer Vormundschaft, um die Jugendlichen kümmert: „Verfügen diese
       unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zumindest über Casemanager*innen
       bzw. wer übt ansonsten bis zur Bestallung der Amtsvormundschaft die
       elterliche Sorge aus?“, will die Linke weiterhin wissen.
       
       Diese Frage irritiert Donka Dimova vom Verein „Fluchtraum“, der sich um
       unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmert und Einzelvormunde und
       MentorInnen für sie vermittelt: „Ein Casemanager hat nicht die Aufgabe,
       einen Vormund zu ersetzen“, sagt sie. „Er muss beim Jugendamt die Maßnahmen
       der Jugendhilfe koordinieren, aber die Bereiche Bildung, Aufenthalt und
       Gesundheit sind nicht seine Kerngeschäfte.“
       
       Dafür sei ein Vormund da, „und hier ist das System zusammengebrochen“, sagt
       Dimova. Den obligatorischen Gesundheitscheck, eine Altersschätzung und die
       Abnahme der Fingerabdrücke hätten die meisten der Jugendlichen in Bremen
       durchlaufen, „aber dann hängen sie fest.“ Die Vorstellung beim
       Familiengericht, das den Vormund bestellen muss, „dauert unendlich lange:
       Manche Jugendliche sind schon ein halbes Jahr da, ohne dass ihr Fall vor
       Gericht überhaupt behandelt wurde“, sagt Dimova.
       
       Dabei hängt viel an der Vormundschaft, zum Beispiel die Vorbereitung des
       Jugendlichen auf sein Asylverfahren. „Betreuer in den Notunterkünften
       kümmern sich bei den Jugendlichen ohne Vormund um das Wichtigste und
       leisten Unterschriften für Duldungen oder Schulplätze“, sagt Dimova. Aus
       Zeitmangel würden solche Dinge allerdings in Form von Sammelanträgen
       erledigt.
       
       Sofia Leonidakis berichtet, dass auch das Jugendamt inzwischen angewiesen
       sei, beispielsweise Asylanträge für die Jugendlichen zu stellen: „Das im
       Rahmen der Interimsversorgung nicht zu tun, wäre natürlich noch schlimmer,
       aber so weit hätte es gar nicht kommen dürfen.“ Und: „Auch hier handelt es
       sich um Sammelanträge, von denen die Jugendlichen oft selbst gar nichts
       wissen.“
       
       Viele derjenigen, die auf ihren Termin beim Familiengericht warteten,
       gingen nicht einmal in die Schule: „Dieser Zustand dauert teilweise Monate,
       in denen der achtzehnte Geburtstag der Jugendlichen immer näher rückt – und
       danach herrscht keine Schulpflicht mehr“, sagt Leonidakis. Das habe massive
       Konsequenzen: „Die Jugendlichen stehen ohne Schulabschluss da und der
       Bremer Erlass greift bei ihnen nicht.“ Denn diese Regelung, nach dem
       minderjährige Geflüchtete eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, gilt nur,
       wenn sie sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befinden.
       
       Aber selbst jene, die unter Amtsvormundschaft stehen, haben laut Donka
       Dimova wenig davon: „Für mehrere hundert Jugendliche ist eine einzige
       Person zuständig“, sagt sie. Mehr als schieres Verwalten sei auch hier
       nicht möglich.
       
       „Eigentlich darf ein Amtsvormund nur maximal 50 Mündel betreuen“, sagt
       Leonidakis. Deswegen würden automatisch dann, wenn diese Zahl überschritten
       werde, neue Stellen beim Amt für Soziale Dienste ausgeschrieben: „Das
       Problem ist aber, dass diese Stellen nicht besetzt werden, weil sie in
       Bremen erheblich schlechter bezahlt werden als in den angrenzenden
       Gemeinden.“
       
       Gleiches gelte für die CasemanagerInnen: Auch die würden in Bremen
       schlechter eingestuft. Das vorhandene Personal wechsele deswegen oft,
       BerufseinsteigerInnen suchten sich im Umland Stellen mit besseren
       Arbeitsbedingungen und höherem Gehalt: „Schon lange fordern wir, dass hier
       dringend gegengesteuert werden muss, denn hier geht es um einen elementar
       wichtigen Bereich, der ganz klar kindeswohlrelevant ist“, sagt Leonidakis.
       
       13 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schnase
       
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