# taz.de -- Die Wahrheit: Der Mann mit der einen Idee
       
       > Endlich ist der Tag der Tage gekommen. Die Idee ist akut. Überall in der
       > Firma sirrt und summt es. Nur einer bekommt es nicht mit …
       
       Der Mann mit der einen Idee wunderte sich nicht wenig, als er das Gebäude
       der Firma betrat. Köpfe schnellten aus Räumen, bevor sie sich hastig
       zurückzogen. Hinter seinem Rücken vernahm er deutliches Wispern und
       Flüstern. War etwas Sonderliches geschehen?
       
       Der Mann mit der einen Idee war wie an jedem Morgen in die Bahn gestiegen,
       um zur Arbeit zu fahren. Auf dem Weg hatte er noch einmal die Idee
       kontrolliert und sich in sie hineingesteigert. Das war unerlässlich für das
       morgendliche Gremium, in dem er die Idee weiter schärfen wollte.
       
       Der Mann mit der einen Idee hatte sich erst kürzlich einen schwarzen Bart
       rund um den Mund wachsen lassen. Das sollte ihm mehr Gewicht in der Firma
       geben. So trugen sie ihn alle im Verband. Dort war die Idee zu Hause und er
       eine anerkannte Persönlichkeit. Der Präsident sah ihn mit Wohlgefallen an,
       und im Verband war man sich sicher, dass der Mann mit der einen Idee eines
       fernen Tages dem Lehrmeister im Amt nachfolgen würde.
       
       Nie hätte der Mann mit der einen Idee gedacht, dass er einmal so weit
       kommen würde. Als Kind hatte ihn eine Krankheit überwältigt und zu lang
       andauernder Schüchternheit verurteilt. Erst spät überwand er mit Hilfe der
       Idee alle Hindernisse. Heute drückte er der Firma seinen Stempel auf. Dafür
       musste er die Feinde der Idee in ihre Schranken weisen. Kalt. Gnadenlos.
       Brutal.
       
       Dann musste sich der Mann mit der einen Idee schon einmal vor seiner
       Abteilungsleiterin rechtfertigen, die ihn bat, sich zu zügeln. Er habe
       schließlich viel erreicht, und die Firma habe sich längst die Idee auf die
       Fahnen geschrieben, das dürfe er nicht gefährden, indem er den Feinden der
       Idee Angriffsflächen biete. „Wer die Idee nicht unterstützt, ist ein
       Schwein!“, rief der Mann mit der einen Idee, und in der Abteilung zuckten
       sie mit den Schultern. Ein ruhiger Arbeitsablauf war ihnen wichtig. Es
       galt, jeden Ärger zu vermeiden.
       
       Dem Mann mit der einen Idee behagte die Vorstellung, dass gleich das
       Gremium tagen würde. Wie immer würde er alle Angelegenheiten mit der Idee
       beantworten. Denn die Idee war die Antwort auf alles. Die Idee und er waren
       eins, würde er den Anwesenden gewöhnlich mit in den Tag geben.
       
       ## Der Welt musste die Idee erklärt werden
       
       Doch für den Mann mit der einen Idee war heute irgendetwas anders. Auf
       allen Fluren sirrte und summte es in der Firma. Fortwährend
       beglückwünschten sie ihn in der Abteilung. Schon gab es erste Nachrichten
       aus dem Verband, die er entgegennehmen sollte. Verwundert schaltete der Man
       mit der einen Idee sämtliche Kanäle ein – und plötzlich verstand er: Der
       Tag war gekommen. Sein Tag. Darauf hatte er ewig lang gewartet. Die Idee
       war akut geworden. Überall wurde sie besprochen und für wesentlich
       befunden. Nun würde er als der bedeutendste Vertreter der Idee ebendiese
       der Welt vorstellen und erklären und letztlich überantworten. Denn das war
       die Obliegenheit, auf die er sich gewissenhaft vorbereitet hatte.
       
       Der Mann mit der einen Idee empfand es als großes Glück, dass die Abteilung
       in keinem höheren Stockwerk der Firma lag. Es gab einen Weg aus dem
       Gebäude, ohne gesehen zu werden.
       
       3 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
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