# taz.de -- Kommentar Nachweis der Elternschaft: Ein Leben im Ungewissen
       
       > Jede und jeder sollte das Recht haben, zu wissen, wer die leiblichen
       > Eltern sind. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts fällt anders aus.
       
 (IMG) Bild: Nicht die eigenen Eltern zu kennen, kann Menschen ein Leben lang belasten
       
       Sie wollte wohl keinen Unterhalt, und es ging ihr offensichtlich auch nicht
       ums Erbe. Trotzdem wollte eine heute 66-jährige Frau aus
       Nordrhein-Westfalen wissen, wer ihr biologischer Vater ist. Sie hatte einen
       ganz bestimmten Mann im Blick, von dem auch ihre Mutter behauptete, er sei
       ihr Erzeuger.
       
       Aber jetzt wird die Frau nie erfahren, ob ihre Vermutung stimmt. Zumindest
       nicht auf dem Rechtsweg, ebenso wenig per Gentest. Das
       Bundesverfassungsgericht, über das sie einen Gentest einklagen wollte, hat
       jetzt bestimmt, dass eine Vaterschaftsüberprüfung in diesem Fall nicht
       angebracht sei.
       
       Man kann sich die Enttäuschung der Frau vorstellen. Jeder will doch wissen,
       wer seine Mutter und wer sein Vater ist. Begeben sich ältere Menschen auf
       die Suche nach ihren leiblichen Eltern – so wie die Klägerin – geht es
       ihnen in der Regel nicht um finanzielle Ansprüche oder um ein unbekanntes
       Erbe.
       
       Sie wollen schlicht wissen, wie der vermeintliche Vater aussieht. Wie die
       Mutter riecht. Ob der Vater einen Bart trägt und die Mutter wild mit den
       Händen gestikuliert. Ein ganz normales Bedürfnis. Um Ähnlichkeiten zu
       entdecken – und zu verstehen, warum man so tickt, wie man tickt.
       
       ## Lebenslange Unruhe
       
       Menschen, denen diese Erkenntnis verwehrt bleibt, leiden ihr Leben lang
       unter einer Unruhe und einer Zerrissenheit, die sie selbst nur schwer
       beschreiben können. Sie fühlen sich getrieben und haben häufig wenig
       Vertrauen in andere Menschen. Das haben Adoptionsforscherinnen und
       -forscher hinlänglich bewiesen. Und das bestätigen Frauen und Männer, die
       sich in einer ähnlichen Situation befinden wie die Klägerin.
       
       Nicht umsonst ist daher das deutsche Recht in dieser Hinsicht mehrfach
       nachgebessert worden. Kinder können heute in jedem Fall klären lassen, wer
       ihr rechtlicher Vater ist, verbunden mit allen Rechten und Pflichten. Eine
       solche Klärung ist heute ohne Vaterschaftstest nicht mehr vorstellbar,
       sogenannte Kuckuckseltern und Kuckuckskinder fliegen also sowieso
       irgendwann auf.
       
       Trotzdem kann es zahlreiche Gründe geben, dem Kind die wahre Elternschaft
       zu verschweigen. Einerseits um das Kind zu schützen. So zumindest stellen
       es betroffene Eltern gern dar. Andererseits aber auch, um selbst mit heiler
       Haut davon zu kommen und keine unangenehmen Fragen beantworten zu müssen:
       Was ist damals passiert? Ein Fehltritt mit unübersehbaren Folgen? Eine
       Affäre, die anders endete, als sie anfing?
       
       Das Bundesverfassungsgericht hat sachlich geurteilt, es hat persönliche
       Befindlichkeiten einer Einzelperson gegen das allgemeine Grundgesetz
       abgewogen. Und unter anderem die Familie des vermeintlichen Vaters ins
       Spiel gebracht. Könnte die beschädigt werden, wenn jetzt heraus käme, dass
       es da noch ein weiteres, ein fremdes Kind gibt?
       
       Ja, natürlich würde diese Familie belastet. Aber das ist sie sowieso. Eine
       Familiengeheimnis, wie auch immer es aussieht, legt sich wie ein dunkler
       Schatten auf Eltern, Kinder und Enkelkinder. In allen betroffenen Familien.
       Auch wenn sie davon offiziell gar nichts wissen.
       
       Das kann auch kein Gericht ändern.
       
       20 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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