# taz.de -- Erinnerung an spanischen Bürgerkrieg: Eine gespenstische Atmosphäre
       
       > Das Dorf Belchite steht für Zerstörung und Neuanfang. Ein völlig neues
       > Dorf wurde nach dem Krieg gebaut. Nur einige Ruinen blieben als
       > Zeitzeugen.
       
 (IMG) Bild: Domingo Serrano ist 1946 in den Trümmern von Belchite geboren und aufgewachsen
       
       Mühsam auf ihren Stock gestützt geht Josefina Cubel Álvarez über den
       steinigen, unebenen Weg, der einst die Hauptstraße von Belchite gewesen
       ist. Sie ist eine der letzten noch lebenden Zeitzeugen im Ort. „Damals, als
       noch Krieg war, wäre man in diesem Tempo bereits nach nicht einmal einem
       Meter von Kugeln zersiebt worden.“ Die 90-jährige Frau deutet auf
       verfallene Mauern, hinter denen die MG-Schützen verschanzt waren, die die
       Straße unter Beschuss nahmen. Sie zeigt auf Fenster ohne Glas, durch die
       Handgranaten und Dynamit geworfen, und auf die Plätze, Gassen und Häuser,
       in denen tausendfach gestorben wurde.
       
       Ohne erkennbare Gefühlsregungen erzählt sie von den erbittert geführten
       Straßenschlachten, von den Bombenangriffen und den Kämpfen um jedes
       einzelne Haus der Kleinstadt. Gefangene habe es nur wenige gegeben. „Töten
       oder getötet werden, hieß die Devise.“
       
       Als am 17. Juli 1936 spanische Generäle, darunter Francisco Franco, von
       Marokko aus gegen die demokratisch gewählte Regierung putschten und damit
       den Bürgerkrieg auslösten, fiel Belchite in die nationalistische Zone. Aus
       dem damaligen 3.812-Seelen-Ort wurden Republikaner aller Couleur
       vertrieben, erschossen oder eingekerkert. Die, die geblieben waren, mussten
       sich mit der neuen Ordnung arrangieren.
       
       So verlief das Leben im Dorf bis August 1937 relativ ruhig. Die
       geografische Nähe zu Saragossa und zur Front, die das nationalistische
       Aragón vom republikanischen Katalonien und Valencia trennte, sorgte jedoch
       dafür, dass Belchite als potenzieller Kriegsschauplatz zunehmend an
       Bedeutung gewann.
       
       ## Die franquistische Mahnung
       
       Die sogenannte Aragón-Offensive begann am 24. August. 80.000
       republikanische Soldaten versuchten, die strategisch wichtige Straße von
       Saragossa nach Teruel zu kontrollieren und Saragossa einzunehmen. Das
       misslang gründlich. Am Ende konnten einzig Belchite und der Nachbarort Codo
       erobert werden. Wie diese Eroberung aussah, hat sich unauslöschbar in
       Josefina Cubel Álvarez’ Gedächtnis eingebrannt.
       
       „Wir haben uns in unseren Häusern verschanzt, denn auf die Straße konnte
       man nicht gehen, ohne erschossen zu werden. Also haben wir von innen die
       Wände durchbrochen, um geschützt von Haus zu Haus schleichen zu können. Die
       Angreifer haben uns Licht und Wasser abgedreht, und draußen fielen
       unentwegt Schüsse. Wir haben um jedes Haus gekämpft, Meter für Meter, doch
       die Roten drangen immer weiter vor. Auch unser Bürgermeister ist dabei
       umgekommen, aber nicht, weil er von den Republikanern getroffen wurde,
       sondern weil sein Gewehr nach hinten losging.“
       
       Nach zwölf Tagen, am 6. September 1937, fiel Belchite in republikanische
       Hand. Den rund 7.000 Franquisten gelang es nicht, Belchite zu halten.
       Flucht, Tod oder Gefängnis – diesmal für die Anhänger der Nationalisten.
       Das junge Mädchen Josefina flüchtete trotz eines Beinschusses zu Fuß in das
       knapp 50 Kilometer nördlich gelegene Saragossa. Die einst vertriebenen
       Republikaner dagegen kamen in die zerbombte, aber noch lebensfähige Stadt
       zurück.
       
       Doch die Waffen ruhten nicht lange in Belchite. Francos Gegenoffensive in
       Aragonien begann ein halbes Jahr später am 9. März 1938. Unterstützt von
       400 Jagdbombern der deutschen Legion Condor und der italienischen
       Legionara, kämpften Francos Truppen hoch überlegen gegen die
       republikanischen Milizen. Am 10. März 1938 wurde Belchite von den
       Nationalisten zurückerobert. Abermals: Tod, Flucht oder Gefängnis für die
       Republikaner. Auch Josefina kam mit ihrer Familie wieder schwer humpelnd zu
       Fuß in das stark zerstörte Belchite zurück. Ihr zerschossener Knöchel
       konnte nie geheilt werden.
       
       ## Psychologisches Bombardement
       
       In Belchite waren die bewaffneten Auseinandersetzungen nun vorbei. Der
       Bruderkrieg ging unter anderem in Katalonien und am Mittelmeer weiter. In
       den folgenden Monaten wurde verstärkt Alicante und Valencia bombardiert.
       Psychologisch wichtig, da sich zu dieser Zeit der Sitz der legitimen
       republikanischen Regierung in Valencia befand, der zur Sicherheit aus
       Madrid dorthin verlegt worden war.
       
       Als am 28. März 1939 die Schlacht um Madrid von den Nationalisten gewonnen
       wird, sind die Würfel längst gefallen. Franco hat gesiegt – dank der
       Unterstützung der deutschen und italienischen Bomberstaffeln. Am 31. März
       wurde Alicante kampflos an die Nationalisten übergeben. Einen Tag später
       verkündet Franco das Ende des Krieges.
       
       In Belchite kehrt jedoch kein Nachkriegsalltag ein. Anstatt das Dorf
       wiederaufzubauen, bleiben die Ruinen stehen – als franquistische Mahnung an
       die Gräueltaten der Republikaner. Ein neuer Ort entsteht, gleich neben den
       Ruinen. Doch solange die neuen Häuser nicht fertig waren, mussten die
       Bewohner noch jahrelang weiter in den Trümmern leben. Erst 1964 bekamen die
       letzten in den Trümmern Verbliebenen ein neues Zuhause.
       
       ## Man findet noch Patronenhülsen
       
       Domingo Serrano ist 1946 in den Trümmern von Belchite geboren und
       aufgewachsen. „Wir hatten relativ viel Glück, dass unser Haus nur wenig
       beschädigt worden ist“, erinnert sich der rüstige Rentner. Im Gegensatz zu
       seinen Spielkameraden hatte er ein heiles Dach über dem Kopf. „Meine Eltern
       haben mir immer wieder vorgeschwärmt, dass Belchite einmal einer der
       lebenswertesten Orte in Aragonien gewesen war. Die schönen Gebäude im
       Mudéjar-Stil, die üppigen Kirchen, die freundlichen und hilfsbereiten
       Menschen.“
       
       Mit dem Zeigefinger zeigt Domingo Serrano auf einen großen Steinhaufen.
       „Dort haben bis zu den Kämpfen meine Großeltern gewohnt.“ Mit seinen
       Freunden habe er jeden Tag auf dem Schlachtfeld gespielt. Ein nicht
       ungefährlicher Zeitvertreib.
       
       Beim Spaziergang durch die Ruinen von Belchite findet man noch heute hier
       und da Patronenhülsen. Im Turm der Sankt-Augustinus-Kirche steckt immer
       noch eine Granate, die bisher weder explodiert noch entschärft worden ist.
       Unweit davon hat jemand „Honor a los muertos“ – Ehre den Toten – mit
       krakeliger Schrift an eine Wand gesprayt.
       
       ## Skurriles Ambiente
       
       Eine gespenstische Atmosphäre, ein skurriles Ambiente beherrscht den Ort.
       Fast so, als sei alles hier nur als Kulisse für einen Film erschaffen
       worden. Aber dem ist nicht so. Auch wenn Belchite schon mancher
       Filmproduktion als Drehort diente. Zum Beispiel 2006 dem mit 3 Oscars
       prämierten Drama „El laberinto del fauno“ („Pans Labyrinth“) von Guillermo
       del Toro oder 1988 für „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“ mit John
       Neville in der Hauptrolle.
       
       Am Monument für die Gefallenen des Krieges sang früher die Franco-Partei
       Falange mit zum faschistischen Gruß erhobenem Arm ihre Hymne „Cara al Sol“
       (Gesicht zur Sonne). In der Kirche mit dem Uhrenturm konnte man damals für
       zweieinhalb Peseten Eintritt ein Theaterstück ansehen oder tanzen. Im
       ehemaligen Krankenhaus wurden während des Krieges die Leichen gesammelt.
       Bis weit die Hauptstraße hinunter waren sie meterhoch gestapelt.
       
       Die Aussöhnung zwischen linken und rechten Nachbarn, meint Belchites
       Bürgermeister Carmelo Pérez Diéz, sei von einigen Ausnahmen abgesehen schon
       lange vollzogen. Durch Schweigen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem
       Spanischen Bürgerkrieg und der Franco-Zeit habe es in Belchite – wie auch
       im restlichen Spanien – kaum gegeben. Und die heutige Jugend der auf 1.618
       Seelen geschrumpften Gemeinde interessiere sich ohnehin nicht für
       Geschichte.
       
       Die allermeisten Überlebenden der Kämpfe hätten ihr Leben lang geschwiegen.
       Auch die Großeltern des erst seit Juni 2015 amtierenden Bürgermeisters
       nahmen ihre Version des Geschehenen mit ins Grab. Fragen der
       Nachkriegsgenerationen waren nicht erwünscht. Das Leben musste weitergehen.
       Aus Kriegsgegnern waren wieder Nachbarn geworden. „Freunde ganz sicher
       nicht.“
       
       ## Auch Ruinen kosten Geld
       
       Ein paar Jahre vor seiner Amtszeit habe es im Stadtrat einen Antrag
       gegeben, die historischen Ruinen abzureißen. Dieser sei aber zum Glück
       abgeschmettert worden. Das historische Belchite müsse unbedingt erhalten
       werden: „Als Mahnmal für den Frieden“.
       
       Doch das ist nicht einfach. Der Zahn der Zeit nagt deutlich an Mauern und
       Straßen. Das, was von den Gebäuden noch übrig ist, befindet sich in einem
       bedrohlichen Zustand. Jede Windböe stellt für die Ruinen eine
       Einsturzgefahr dar.
       
       Um Gefahr für Leib und Leben abzuwenden, hat die Gemeinde die Ruinenstadt
       vor drei Jahren mit einem großen Zaun umschlossen und den freien Zugang
       verwehrt. Mehrmals täglich finden seitdem geführte Touren durch das
       ehemalige Kriegsgebiet statt. Dies spült ein wenig Geld in die klamme
       Rathauskasse, das für den Erhalt des historischen Belchites verwendet
       werden soll. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
       
       20 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karl-Heinz Eiferle
       
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