# taz.de -- Russische Doping-Whistleblower: Die Stepanows fürchten um ihr Leben
       
       > Sie melden sich von einem geheimen Ort zu Wort: Julia und Vitali Stepanow
       > mussten nach einem Angriff auf ihr E-Mail-Konto erneut umziehen.
       
 (IMG) Bild: Die Läuferin Julia Stepanowa bei einem Wettkampf im Juli
       
       Die Whistleblower Julia und Vitali Stepanow sind enttäuscht, dass bisher
       kein russischer Sportler die Bühne von Rio nutzte, um auf die
       Vertuschungspraktiken in der Heimat hinzuweisen. Bei einer Videokonferenz,
       die sie Montagabend nach einem Hackerangriff auf Julia Stepanowas
       Mail-Account und ihr Konto beim Antidopingmeldesystem ADAMS einberiefen,
       wiesen beide noch einmal auf den Dopingsumpf in Russland hin und auch auf
       haarsträubendes Fehlverhalten des Internationalen Olympischen Komitees IOC
       und der Weltantidopingagentur Wada hin.
       
       Wer in Russland sauberen Sport betreiben wolle, habe es schwer: „Wenn du
       Fehlverhalten siehst und dich daran nicht beteiligen willst oder wenn du
       aussteigen willst, dann gibt es in Russland keinen Ort, an den du gehen
       kannst. Du musst im Gegenteil befürchten, dass deine Karriere beendet ist,
       ja selbst ein Job bei Gazprom, den du hast, um deine Familien zu versorgen,
       steht dann auf dem Spiel“, fasste Vitali Stepanow, Ex-Mitarbeiter bei der
       russischen Antidopingagentur Rusada, die Lose-lose-Situation für russische
       Sportler zusammen.
       
       Umso enttäuschter zeigte sich der junge Mann, der bereits 2010 auf das
       russische Vertuschungssystem hingewiesen hatte, und seine Frau, eine
       international beachtete 800-Meter-Läuferin, von den jetzigen russischen
       Olympioniken. „Daria Klischina lebt und trainiert in den USA. Ich kenne
       sie. Ich hatte die Hoffnung, dass sie aussagt. Aber sie hat sich für das
       Schweigen entschieden“, sagte Julia Stepanowa traurig.
       
       Für die Stepanows gehört die Weitspringerin, die sich über das
       Weltsportgericht CAS in den Weitsprungwettbewerb von Rio eingeklagt hat, zu
       jenen, die trotz ihres aktuellen Trainingsortes in den USA vom Dopingsystem
       in der Heimat wussten und auch davon profitierten. „Wer drei Jahre in dem
       System drinsteckt, der muss einfach mitkriegen, wie es läuft“, meinte
       Vitali Stepanow trocken. Dass aber weder Klischina noch die während der
       Brustschwimmwettbewerbe ausgebuhte Schwimmerin Julia Jefimowa trotz Wohn-
       und Arbeitsort USA dem System in der Heimat die Treue hielten, enttäuschte
       ihn sehr.
       
       ## Wada und IOC spielen auf Zeit
       
       „Zu einem wahren Champion gehört nicht nur eine exzellente und saubere
       sportliche Leistung. Einen Champion zeichnet auch aus, aufzustehen und zu
       benennen, was nicht in Ordnung ist“, meinte er – und skizzierte damit
       gleich eine neue Ethik, die den in die Krise geratenen Weltsport noch
       retten könnte.
       
       Dazu müsse sich aber auch in den Institutionen einiges ändern. Stepanow
       erzählte, dass 2010, immerhin ein Jahrzehnt nach ihrer Gründung, die Wada
       noch nicht einmal ein Betreuungsprogramm für Aussteiger aus dem
       Dopingsystemen aufgebaut habe. „Ich war davon ausgegangen, als ich 2010 die
       ersten Informationen übermittelte. Aber sie haben uns nur gesagt, wir
       sollten zuallererst an unsere Sicherheit denken“, blickte er zurück. Viele
       der Informationen, die aktuell zu einem Teilausschluss russischer Sportler
       von den Olympischen Spielen führten, waren schon vor London 2012 bekannt.
       Wada und IOC, so Stepanow, spielten aber auf Zeit.
       
       Und dass das IOC Julia Stepanowa trotz Nominierung durch den
       Weltleichtathletikverband wegen ihrer Verdienste um die Aufdeckung der
       Machenschaften in Russland nicht an den Wettkämpfen in Rio teilnehmen ließ,
       veranlasste die Athletin zu diesem traurigen Kommentar: „Das sendet das
       Signal: Den Mund aufmachen lohnt sich nicht. Wer zu den Betrügereien
       hingegen schweigt, darf zu den Spielen.“ Dass sie nicht in Rio ist, sieht
       sie mittlerweile gelassen. „Vom IOC war nicht anderes zu erwarten“, meinte
       sie knapp. Und angesichts der Meldungen über Überfälle und Diebstähle,
       unter denen Olympioniken leiden, sind beide auch ganz froh, nicht dort zu
       sein.
       
       Um ihre Sicherheit fürchten müssen sie dennoch. Anlass der Videokonferenz
       am Montagabend waren Hackerangriffe auf Konten von Julia. „Erst konnte ich
       mich nicht mehr in meinen E-Mail-Account einloggen. Da habe ich mir noch
       nicht viel gedacht. Als aber auch mein ADAMS-Account nicht aufging, war
       klar, das hier etwas anderes dahintersteckt. Einen Account in diesem
       Meldesystem hackt man doch nur, wenn man die Adresse eines Sportlers
       herausbekommen möchte“, rekonstruierte sie den Ablauf.
       
       Die beiden Kronzeugen gegen das russische Dopingvertuschungssystem
       wechselten daraufhin ihren Wohnort. Und wie sie auf der Videokonferenz
       mitteilten, baten sie bereits Freunde, sich um ihren kleinen Sohn zu
       kümmern, falls ihnen etwas zustößt. „Wenn uns etwas passiert, dann sollten
       Sie wissen, dass das kein Unfall ist“, sagte Stepanowa in die Runde der 35
       zugeschalteten Journalisten.
       
       16 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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