# taz.de -- Völkische Siedler als Romanstoff: „Da gib es eine intuitive Abwehr“
       
       > Die Autorin Cornelia Franz schreibt einen Roman über Links-Alternative
       > und völkische Siedler im Wendland. Ihr Versuch einer differenzierten
       > Sichtweise stößt jedoch auf Unverständnis.
       
 (IMG) Bild: Wagt sich an ein schwieriges Thema: Die Hamburger Autorin Cornelia Franz.
       
       taz: Frau Franz, wie sind Sie darauf gekommen, einen Roman über rechte
       Siedler im Wendland zu schreiben? 
       
       Cornelia Franz: Ich habe immer wieder gehört, dass das seit Jahren ein
       Problem in dieser Region ist. Mich hat interessiert, was passiert, wenn in
       ein traditionell linksalternativ geprägtes Gebiet Leute kommen, die da
       nicht „hinpassen“. Zuerst dachte ich, es würde ein Buch werden, wo es so
       richtig knallt, wo Linke und Rechte aufeinander prallen. Schwarz gegen
       weiß. Die einen dringen in die Welt der anderen ein, und dann kracht es.
       Heute denke ich: Es ist ziemlich langweilig, zu erzählen, wie die Bösen in
       die Welt der Guten eindringen, sich da breitmachen und natürlich
       rausgeschmissen werden müssen. Das ist für mich heute nicht mehr so das
       Thema.
       
       Sondern? 
       
       Im Zuge meiner Recherchen habe ich gemerkt, dass mich andere Sachen viel
       mehr interessieren als so eine Art „Bürgerkrieg“. So bin ich auf
       Internet-Seiten von angestammten Wendländern gestoßen, die mich sehr
       erschreckt haben. Die Art und Weise, wie dort Ausgrenzung durch die Linken
       – also die politische Gruppe, der auch ich mich zugehörig fühle –
       stattfindet, die Art zu schreiben und das Vokabular, das alles hat mich
       entsetzt. Daraus sprach die Angst der Verfasser, dass in ihre Welt etwas
       einbricht, was sie zutiefst verunsichert!
       
       Können Sie ein Beispiel für solch eine verbale Ausgrenzung nennen? 
       
       Da fanden sich sinngemäß Botschaften wie: Passt auf, dass deren Kinder
       nicht mit euren Kindern spielen! Und wenn sich einer von denen euch nähert,
       dreht euch weg und redet nicht mit denen!
       
       Haben Sie sich vor Ort umgeschaut? 
       
       Ja, aber für mich waren diese Strukturen im Wendland mit bloßem Auge nicht
       erkennbar. Fakt aber ist: Es gibt diese Rechten, die sich auf dem Land
       niederlassen. Und wenn das in meiner Nachbarschaft geschehen würde, dann
       wäre mir das auch sehr unangenehm. Aber was mich stört, ist die Art, wie
       damit umgegangen wird. Da wird nicht miteinander geredet, da wird nicht die
       Auseinandersetzung gesucht. Vielmehr herrscht eine völlige
       Kommunikationslosigkeit von beiden Seiten. Die Einstellung vieler
       angestammter Wendländer lautet: Das ist unsere Welt, die gehören da nicht
       rein. Und deswegen werden sie geächtet.
       
       Was ist die Alternative: Ein wendländisches Kaffeekränzchen von
       Links-Alternativen und völkischen Rechten? 
       
       Mich hat eine Kolumne der taz-Autorin Silke Burmester sehr nachdenklich
       gemacht, wo sie auf solche rechten Siedler stößt, und sich erst auf dem
       Rückweg aus dem Wendland die Frage stellt: Warum bin ich einfach
       weggefahren? Warum habe ich diese Leute nicht angesprochen und sie gefragt:
       „Was soll das alles hier? Findet ihr Hitler wirklich gut?“ Diese
       Sprachlosigkeit ist das, was mich an diesem Thema interessiert. Einfach nur
       ausgrenzen und jeden Kontakt zu vermeiden, ist aus meiner Sicht der falsche
       Weg.
       
       Entsteht da im Wendland eine Parallelgesellschaft? 
       
       Eine völkische Parallelgesellschaft?
       
       Ja. Ihre Schilderungen klingen so. 
       
       Tatsächlich existieren im Wendland inzwischen zwei Gesellschaften fast ohne
       Berührungspunkte nebeneinander. Und wenn es zu einer Berührung kommt, dann
       geht es um Konfrontation, nicht um Kommunikation.
       
       Wie setzen Sie das schriftstellerisch um? 
       
       Das ist sehr schwierig. Allein der Versuch, diese Kommunikationslosigkeit
       zu beschreiben, wird mir von einigen Freunden und Kollegen, die das
       Manuskript gelesen haben, als Sympathisantentum mit den Rechten ausgelegt.
       
       Warum das? 
       
       Die Hauptfigur in meinem Roman, Maxim, ist ein Links-Alternativer, der
       jahrzehntelang Kultur auf dem Land gemacht hat. Er freundet sich mit einem
       dieser Siedler an – Ludger -, von dem man noch nicht einmal eindeutig sagen
       kann, der ist „rechts“. Über Politik reden die beiden Männer ganz selten.
       Die Protagonisten in meiner Geschichte sind nicht rechtsradikal, sondern
       eher so spinnerte, wenig politische Deutschtümler. Die wollen autark sein,
       züchten deutsche Hühner- und Schafsrassen und wollen deutsche Traditionen
       bewahren. In Ludgers Familie gibt es gewisse völkische Attribute: Die
       Kinder heißen Tristan und Freia, die Jungs tragen kurze Hosen, die Mädchen
       Kleider und Zöpfe. Klar, diese Leute sind mit Sicherheit deutschtümelnd.
       Deshalb werden ihre Kinder an der örtlichen Grundschule nicht angenommen.
       Man meidet sie. Und Maxim wird zerrieben zwischen dem Gefühl, Ludger
       irgendwie zu mögen und mit ihm eigentlich nichts zu tun haben zu dürfen.
       
       Warum goutieren Ihre Testleserinnen diesen erzählerischen Ansatz nicht? 
       
       Mir war von Anfang an klar, dass das ein schwieriger, erzählerischer Ansatz
       ist. Darum habe ich, entgegen meinen Gewohnheiten, das Manuskript in einem
       frühen Stadium vergleichsweise vielen Freunden und Kollegen zu lesen
       gegeben. Und gerade meine Freunde, die politisch links stehen, haben mir
       klar gespiegelt: Das kannst Du derzeit so nicht machen!
       
       Wie wurde das genau begründet? 
       
       Viele hatten das Gefühl, als würde ich die Linken im Wendland diffamieren
       und die völkischen Siedler zu sympathisch darstellen. Ludger, der
       Protagonist aus der rechten Ecke, ist Maxim, dem Altlinken, erst einmal
       sympathisch – sonst würde der Kontakt ja gar nicht zustande kommen. Dieses
       Gefühl muss ich als Autorin transportieren, sonst funktioniert die
       Geschichte erzählerisch nicht. Ich muss Ludger also so zeichnen, dass er
       etwas Faszinierendes für Maxim hat. Aber genau dafür habe ich Gegenwind
       bekommen. Der war so stürmisch, dass ich momentan wirklich zweifle, ob ich
       das Projekt überhaupt beende.
       
       Wie erklären Sie sich diese Empfindlichkeit in vielen Reaktionen, die Sie
       erfahren? 
       
       Sicherlich hat das viel mit dem gegenwärtigen politischen Klima zu tun, dem
       Aufschwung der AfD und dem Aufkommen der Rechten, das ja nicht zu übersehen
       ist. Deshalb ist es sicherlich ein ungünstiger Zeitpunkt, sich so einem
       Thema so differenziert zu widmen …
       
       … oder gerade ein besonders günstiger!? 
       
       Ich bin da sehr unsicher, weil ich nach den ersten Reaktionen die Angst
       habe, dass mir das Buch um die Ohren fliegt und auch die Verlage an diesem
       Zugang derzeit nicht interessiert sind. Aber der Ansatz: Das sind die Guten
       und das sind die Bösen, der interessiert mich als Autorin eben nur mäßig.
       
       Ihre Fragestellung knüpft an den unabgeschlossenen Diskurs der vergangenen
       Jahre an. Auch bei Pegida scheiden sich seit Jahren die Geister an der
       Frage: Kontakt aufnehmen, Überzeugungsarbeit leisten oder draufhauen,
       Stinkefinger zeigen und ächten? 
       
       Einfach nur zu sagen: Das sind die Bösen, mit denen reden wir nicht, halte
       ich für den falschen Weg. Ich glaube, es ist immer sinnvoll miteinander zu
       sprechen, um nicht in einer Gesellschaft zu landen, die vollkommen
       auseinanderfällt. Wir müssen mit AfD-Wählern und Pegida-Anhängern das
       Gespräch suchen, statt zu sagen: Mit denen rede ich nicht. Aber wenn das
       nicht einmal Nachbarn schaffen, dann weiß ich nicht, wie die Gesellschaft
       insgesamt das hinkriegen soll.
       
       Sie haben im Vorgespräch erzählt, dass Sie den Rechten viele Dinge in den
       Mund gelegt haben, die Sie eher in der linken Szene gehört haben – und die
       im rechten Zusammenhang scheinbar einen Bedeutungswandel erfahren. Was
       meinen Sie damit? 
       
       Ganz speziell bezieht sich das auf die Flüchtlingsproblematik. Da gibt es
       auch in der Linken Berührungsängste. Fragen wie: Warum müssen Ausländer
       immer so laut telefonieren? Kann ich als Frau, wenn wir als Familie einen
       Flüchtling aufnehmen, nicht mehr in Unterwäsche durchs Haus laufen? Das
       sind Dinge, die auch Linksalternative denken oder sagen. „Oh Gott, was
       macht ihr, wenn eure Tochter allein mit dem im Haus ist?“ Diese Frage würde
       bei einem schwedischen Austauschstudenten niemals auftauchen. In meiner
       Geschichte quartiert Maxims erwachsener Sohn einen Afghanen in seinem
       ehemaligen Zimmer ein, und seine Familie fühlt sich dadurch in ihrem
       Alltagstrott gestört. Das ist das Thema der Political Correctness. Wie weit
       klafft das, was ich denke und fühle, mit dem auseinander, was ich meine,
       als Links-Alternativer sagen zu müssen?
       
       Das heißt bei der Flüchtlingsfrage: lechts und rinks kann man leicht
       velwechsern? 
       
       Ich will in keiner Weise unterstellen, dass Links-Alternative genauso gegen
       Flüchtlinge eingestellt sind wie die Rechten. Aber es ist spannend zu
       erzählen, dass auch Linke, in dem Moment, wo das Flüchtlingsthema in ihren
       Alltag einbricht, plötzlich Sachen denken und sagen, die nicht politisch
       korrekt sind. In dem Moment aber wo Ludger, der völkische Mensch,
       wortgleich diese Ressentiments äußert, bekommen sie eine andere Gewichtung
       und wirken auf einmal fast rechtsradikal. Diese Beobachtung habe ich auch
       in meinem Bekanntenkreis gemacht, und die gilt es für mich in Worte zu
       kleiden.
       
       Warum halten es Linke so wenig aus, wenn ihr Verhalten kritisch hinterfragt
       wird? 
       
       Es gab in vielen Kreisen der Linken schon immer eher eine
       Wagenburgmentalität als eine offene, selbstkritische Diskussionskultur ohne
       Denkverbote. Bestimmte Sachen können einfach nicht ausgesprochen werden,
       ohne gleich als Zugeständnis an den politischen Gegner empfunden zu werden.
       Diese Tendenz hat Tradition in der deutschen Geschichte, weil die Linke ja
       immer um ihre Existenz und ihren Status kämpfen musste. Da gibt es eine
       intuitive Abwehr von allem, was am eigenen Selbstbild kratzen könnte.
       
       Wo stehen Sie jetzt mit Ihrem Manuskript? 
       
       Ich schreibe vor allem Kinder- und Jugendbücher und befürchte, dass die
       infrage kommenden Verlage eben nicht sagen: Frau Franz stößt da eine
       spannende Diskussion an, sondern mir den Stoff ebenfalls um die Ohren
       hauen. Wenn ich berühmt wäre, würde ich das Projekt sicherlich durchziehen,
       mich auf die Kontroverse freuen und mich der gerne stellen.
       
       Ist die deutsche Verlagslandschaft zu ängstlich? 
       
       Ja, mit Sicherheit.
       
       Was haben Sie im Rahmen des Schreibprozesses gelernt oder lernen müssen? 
       
       Ich habe vor allem gelernt, dass ich nicht in der Lage bin, den Konflikt
       adäquat so darzustellen, dass ich meine Leserschaft erreiche. Nach den
       bisherigen Rückmeldungen weiß ich nicht, ob ich weiterschreiben und das
       Projekt beenden werde.
       
       Aber Verlage, die an Ihrem erzählerischen Ansatz Interesse hätten, dürfen
       sich schon noch bei Ihnen melden? 
       
       Dagegen würde ich mich sicher nicht wehren.
       
       17 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Carini
       
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 (DIR) „völkische Gesinnung“
 (DIR) Rechte Szene
 (DIR) Lehrerinnen
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
       
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