# taz.de -- Grexit Seit der Schuldenkrise wächst in Griechenland der Zorn gegen die EU. Was wäre, wenn das Land austreten würde?: EU oder Nicht-EU?
       
 (IMG) Bild: Griechenland. Ein Paar entspannt am Pool seiner Villa auf Mykonos
       
       Aus Athen Jannis Papadimitriou
       
       Athen, Anfang Juli 2015: Täglich steigt vor dem Parlament ein Protest-Fest
       gegen „die da oben“ in Brüssel. Das Referendum über die jüngsten
       Sparvorschläge der Geldgeber, das in vielen EU-Hauptstädten auch als
       Volksbefragung über einen Euro-Austritt verstanden wird, steht unmittelbar
       bevor. Selten war Widerstand so kreativ: Spontanversammlungen, Dance-ins,
       Souvlaki-Essen auf leergeräumten Straßen, gelegentlich auch Krawalle, die
       mit reichlich Tränengas niedergeschlagen werden. Doch meistens wollen die
       Menschen nur ausgelassen feiern, sie fiebern dem Tag entgegen, an dem sie
       Sparvorgaben über Bord werfen.
       
       Daraus wurde nichts: Trotz des Neins der Griechen beim Referendum erklärte
       sich Linkspremier Alexis Tsipras bereit, ein Sparprogramm auf den Weg zu
       bringen – im Gegenzug für Finanzhilfen in Höhe von 86 Milliarden Euro.
       Seitdem sind die Protestaktionen nicht verstummt. Vor zwei Wochen belagerte
       die Beamtengewerkschaft Adedy das Büro des Europäischen Parlaments in
       Athen, um gegen die „Provokationen“ der Kreditgeber zu protestieren. Ginge
       es Griechenland besser ohne Europa? Die Zahlen sprechen eine andere
       Sprache: Von 1980 bis 2010 flossen 78 Milliarden Euro nach Hellas, die eine
       Hebelwirkung zur Mobilisierung von 1,1 insgesamt Billionen für die
       Wirtschaft hatten. Ob die neue U-Bahn in Athen oder die Digitalisierung der
       Finanzverwaltung – kein einziges Infrastrukturprojekt der letzten 30 Jahre
       wäre ohne EU-Hilfen zustande gekommen. Ganz zu schweigen von den
       Agrarsubventionen in Höhe von 110 Milliarden Euro.
       
       Aber was können die Griechen gegen den Teufelskreis aus Schulden und Sparen
       unternehmen? Der sozialdemokratische EU-Parlamentarier Miltiadis Kyrkos
       plädiert für Sachlichkeit. „Viele Menschen verfallen einem Wunschtraum:
       Damit die Schulden verschwinden, sollten wir Europa den Rücken kehren. Das
       ist falsch, Schulden verschwinden nie. Und wenn wir eine Chance haben,
       diese Unsummen zurückzuzahlen, dann eher innerhalb der EU als im
       Alleingang“, sagt der Europapolitiker der taz. Außerdem, fügt er hinzu,
       müsste Griechenland nach einem EU-Austritt auf milliardenschwere
       Subventionen und somit auf seine einzige Chance verzichten, Investitionen
       anzukurbeln. Dazu käme ein weiteres Problem, mahnt Kyrkos: Griechenland sei
       auf Importe angewiesen. „Wir müssen Erdöl, lebenswichtige Medikamente und
       sogar Lebensmittel einführen, das geht natürlich einfacher in der EU.
       Unsere Exporte sind schwach, aber sie wären viel schwächer, hätten wir auch
       noch gegen Zölle zu kämpfen“, gibt der Linkspolitiker zu bedenken.
       
       Doch es gibt auch Argumente für den Ausstieg aus dem Euro. Dann könnten die
       Griechen ihre neue Währung abwerten und ihre Wettbewerbsfähigkeit
       verbessern, ohne Lohnkürzungen erleiden zu müssen, argumentieren die
       Grexit-Befürworter. Jason Manolopoulos, Geschäftsmann, Bestsellerautor mit
       kanadischen Wurzeln und eigentlich Euro-Pessimist, sieht das anders: Die
       Abwertung einer Währung sei nichts anderes als eine Lohnkürzungsrunde durch
       die Hintertür, sagt er der Zeitung Kathimerini und führt als Beispiel die
       Talfahrt der russischen Währung an: „Die jüngste Abwertung des Rubels hat
       den Russen Einkommenskürzungen von bis zu 45 Prozent beschert.“
       
       Doch wirtschaftliche Erwägungen spielen nur eine zweitrangige Rolle in der
       Debatte über die Zugehörigkeit zu Europa. Die politischen Risiken eines
       Grexit werden als viel schwerwiegender eingeschätzt. Allein schon wegen
       seiner geografischen Lage am Rand der Union sollte Griechenland die
       Vorteile der EU-Mitgliedschaft nicht aus den Augen verlieren, sagt
       Panagiotis Ioakimidis, Professor für Europapolitik an der Universität
       Athen. Ein Austritt wäre ziemlich absurd in einer Zeit, in der alle
       Nachbarländer den EU-Beitritt zum obersten Staatsziel erklären.
       
       24 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jannis Papadimitriou
       
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