# taz.de -- Niedergang der „jungen Welt“: Marxismus im Dauerminus
       
       > Die Zeitung steht am Abgrund und ringt um Abonnenten. Noch will der
       > Geschäftsführer den Kampf austragen und schreibt einen offenen Brief.
       
 (IMG) Bild: Vielleicht sollte „Junge Welt“-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder (DKP) den Buchmessestand einsparen?
       
       Es wird knapp für die junge Welt: Ein nicht gedeckter Fehlbetrag von
       953.000 Euro hat sich in den letzten Jahren angehäuft, und es gibt nicht
       genug Abonnenten. Deshalb veröffentlichte die Tageszeitung in der
       Wochenendausgabe vom 15./16. Oktober einen offenen Brief in eigener Sache,
       in dem sie ihre finanzielle Lage erklärt. Im laufenden Geschäftsjahr ist
       die junge Welt schon mit 144.000 Euro im Minus. „Die schlechten
       Bilanzzahlen sind bei uns kein neues Problem“, sagt Geschäftsführer Dietmar
       Koschmieder, „wir wollten mit dem Brief keinen unnötigen Krach machen, aber
       unseren Lesern die Tatsachen auf den Tisch legen.“
       
       Zu DDR-Zeiten war die junge Welt das Medium der Freien Deutschen Jugend,
       kurz FDJ, und mit millionenstarker Auflage zeitweise die meist gelesene
       Tageszeitung im Osten. Nach dem Mauerfall schrumpften die Leserzahlen. Die
       Zeitung wurde privatisiert und blieb weiterhin linientreu, bot aber Platz,
       um neue Themen auszuprobieren. Im Jahr 1995 wurde die Verlag 8. Mai GmbH
       gegründet sowie eine Genossenschaft, die heute die Mehrheit der Anteile
       hält und 1.881 Mitglieder zählt. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die
       junge Welt zu einer poppigen linken Zeitung.
       
       Der damalige Geschäftsführer Koschmieder wollte lieber ein marxistisches
       Medium bleiben und so entstand ein Streit: Redakteure besetzten die
       Redaktionsräume, ihnen wurde gekündigt und sie gründeten die Jungle World,
       eine poplinke antideutsche Zeitung, die auch vom bürgerlichen Mainstream
       gelesen wird. Danach musste die junge Welt eine neue Redaktion bilden und
       sich erst wieder etablieren.
       
       Auch heute noch sieht sich die junge Welt als marxistisch orientiert – ist
       gegen Krieg, gegen rechts und gegen den Kapitalismus. „Für uns ist der
       Marxismus eine Option, die Wirklichkeit zu erfassen. Wir berichten aus der
       Warte der Menschen, die nichts besitzen“, sagt Dietmar Koschmieder.
       Medienwissenschaftler Lutz Frühbrodt von der Hochschule Würzburg sieht
       einen möglichen Grund für die finanziellen Probleme in der Gesinnung: „Das
       Interesse an marxistischen Tageszeitungen mit einem dogmatischen Einschlag
       nimmt ab. Es hat sich über die Jahre zweifellos eine linke
       Gegenöffentlichkeit etabliert, angeführt von den NachDenkSeiten. Der
       Unterschied ist aber, dass sich die ‚Nachdenker‘ publizistisch fast
       ausschließlich im Netz bewegen.“
       
       ## Online bringt nicht genug
       
       Jetzt hat die junge Welt zu wenige Abonnenten, um die laufenden Kosten zu
       decken. Zwar steigen die Zahlen, aber viel zu langsam. Derzeit sind es etwa
       17.000 Abonnenten, von denen ein Fünftel ein Online-Abo hat. Das sind
       insgesamt zweitausend weniger als nötig wären, um weiterhin die Zeitung
       produzieren zu können. „Wir gehen davon aus, dass unsere Ausgaben steigen
       werden“, so Koschmieder. Vor Kurzem hat die Zeitung einen zweiten
       Druckstandort nahe Frankfurt am Main eröffnet, was den Verlag noch weiter
       in die Miesen zog. Dadurch kann sie nun Kioske in ganz Deutschland,
       Österreich und der Schweiz beliefern. Die zusätzlichen Verkäufe würden den
       Mehraufwand laut Koschmieder aber noch nicht decken.
       
       Auch die Veränderungen durch das Internet sieht er als Problem. Bisher hat
       der Online-Redakteur die aktuelle Ausgabe immer am Abend vor dem Erscheinen
       auf die Website gestellt. Das Sperren einiger Artikel sollte genug
       Kaufanreiz sein, doch der gewünschte Effekt blieb aus. Online-exklusive
       Inhalte findet Koschmieder überflüssig. „Wir wollen jetzt eine strengere
       Paywall etablieren“, sagt er, auch die Online-Redaktion solle sich
       vergrößern. Aber die Preise erhöhen? Na ja, das sei unumgänglich.
       Spätestens Anfang nächsten Jahres komme eine kleine Erhöhung des Stück- und
       Abopreises.
       
       Nun gibt es erst mal eine Kampagne zur Rettung der Zeitung mit dem Titel
       „Dein Abo zur rechten Zeit“. Mit ihr sollen Menschen, die sie bereits
       lesen, überzeugt werden, doch ein Abonnement abzuschließen. „Es ist nicht
       einfach, in Zeiten, in denen die Rechten auf dem Vormarsch sind,
       erfolgreich eine linke Zeitung zu machen“, heißt es in dem offenen Brief.
       Dietmar Koschmieder sieht die Zeitung als Spiegel der linken Bewegung – und
       die sei tot. Kaum einer wüsste noch, was Marxismus sei, und es gebe zu
       wenige außerparlamentarische Bewegungen oder Proteste.
       
       ## Einsparungen möglich
       
       „Es ist sicher kein leichtes Unterfangen, eine Zeitung zu machen, die sich
       sehr weit am linken Rand positioniert“, meint Wissenschaftler Frühbrodt,
       „aber obgleich das Pendel des gesellschaftlichen Fortschritts gerade wieder
       in die falsche Richtung schwingt, gibt es zahlreiche linke Medien, die auch
       durchaus mit publizistischem wie wirtschaftlichem Erfolg unterwegs sind.“
       Er hat auch Zweifel, ob die Aktion die junge Welt dauerhaft stabilisieren
       wird: „Fast eine Million Schulden, das ist für so ein kleines Blatt eine
       stolze Summe.“
       
       Verdi-Landesfachbereichsleiter für Medien, Andreas Köhn, sieht dagegen
       Einsparpotenzial, zum Beispiel bei der Ladengalerie im Verlagsgebäude, bei
       Auftritten auf Buchmessen oder bei der Musikzeitschrift Melodie & Rhythmus,
       die ebenfalls zum Verlag gehört.
       
       Bei den Redakteuren wird bisher nicht gespart, sie werden nach Haustarif
       bezahlt, der etwa auf taz-Niveau liegt. Geschäftsführer Koschmieder will
       die Redaktion nicht verkleinern: „Dann könnten wir kein zufriedenstellendes
       Blatt mehr machen.“ Also muss die ehemalige FDJ-Zeitung beweisen, dass sie
       doch in diese Zeit passt. Spätestens am 12. Februar, wenn die junge Welt
       ihr siebzigstes Jubiläum feiert, will Koschmieder genug Abonnenten haben.
       
       10 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Freese
       
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