# taz.de -- Merkel-Analyse in fünf Richtungen: Mit der Raute gegen rechts
       
       > Merkels Kanzlerschaft könnte in die vierte Runde gehen. Was bedeutet das
       > für Europa, die Welt, die Deutschen – und die Zukunft der
       > Rechtspopulisten?
       
 (IMG) Bild: Auf sie ist Verlass: die gute alte Raute
       
       Angela Merkel will es nochmal wissen. Die Pfarrerstochter aus
       Ostdeutschland, seit elf Jahren Kanzlerin, die sagenumwobene Pragmatikerin
       der Macht, deren Beliebtheit in der sogenannten Flüchtlingskrise Kratzer
       bekam, möchte 2017 erneut Bundeskanzlerin werden. 16 Jahre Merkel könnten
       dabei herauskommen – das wäre so lang wie Helmut Kohl. Was bedeutet diese
       Entscheidung?
       
       ## Für die Welt und Europa:
       
       Der Demagoge Donald Trump regiert bald in den USA, die Britin Theresa May
       ist mit dem Brexit beschäftigt, der Franzose François Hollande kämpft um
       sein politisches Überleben. Angela Merkel hebt all dies in eine neue Rolle.
       In einer chaotischer werdenden Welt wird sie plötzlich zur wichtigsten
       Regierungschefin der freien, demokratischen und liberal aufgestellten Welt.
       Was heißt das?
       
       Zentrale Frage ist, wie sich Europa in dem neuen weltpolitischen
       Machtgefüge aufstellt. Finden die EU-Staaten, die sich in der Vergangenheit
       wegen der Flüchtlinge oder der Griechenlandkrise stritten, zu einer
       gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik? Gelingt es, die in vielen
       Staaten erstarkende extreme Rechte zu bändigen? Wenn die Deutschen Merkel
       zur Kanzlerin wählten, hätte sie eine entscheidende Rolle.
       
       Einerseits trieb sie die Spaltung Europas mit ihrem harten Sparkurs voran,
       sie ist mitverantwortlich für soziale Verwerfungen in Griechenland oder
       Spanien. Andererseits gelang es der nüchternen Deutschen immer wieder sich
       widersprechende Interessen in kompliziert geflochtenen, uneitel
       organisierten Kompromissen zu vereinen. Dass jüngst Obama, Hollande, May,
       Rajoy und Renzi die Sanktionen gegen Russland bekräftigten, lag auch an der
       umtriebigen Beharrlichkeit Merkels.
       
       Merkel hat die weltpolitische Bühne im Laufe ihrer Kanzlerschaft zunehmend
       für sich entdeckt, sie kennt viele Staatschefs persönlich und kann auch mit
       vor Testosteron strotzenden Autokraten wie Putin umgehen. Egal, wie man zu
       Merkels Außenpolitik steht – andere Kanzler hätten hier viel aufzuholen.
       
       ## Für die Deutschen:
       
       Merkel steht, wenn man von den Flüchtlingen absieht, für ein pragmatisches
       „Weiter so“ in Deutschland, und daran würde sich auch nach 2017 nicht viel
       ändern. Der Leitantrag des CDU-Vorstands für den Parteitag in Essen
       plädiert vor allem für den Erhalt des Status quo.
       
       So will die CDU finanzielle Spielräume durch Steuermehreinnahmen und
       niedrige Zinsen aufteilen. Ein Drittel soll in die Infrastruktur, also
       Straßen oder Brücken, fließen, ein Drittel in eine Steuerentlastung für
       Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen und ein Drittel in nötige
       Mehrausgaben, etwa in der Verteidigungspolitik. Die Effekte all dessen sind
       überschaubar. Wer nur auf Steuermehreinnahmen hofft, also passiv abwartet,
       hat wenig Geld zu verteilen. Eine zukunftsträchtige Politik, die der
       Spaltung der Gesellschaft entgegen wirkt, sähe anders aus.
       
       Aber um viele Milliarden in neue Schulen, Kitas oder eine engagierte
       Energiewende zu investieren, um überschuldete Kommunen und Länder zu
       entlasten, wäre eine Umverteilung des Reichtums in Deutschland notwendig,
       sprich: Steuererhöhungen für sehr reiche und vermögende Menschen. Von
       Merkel ist das nicht zu erwarten, die CDU agiert bis heute als Schutzmacht
       der Bessergestellten.
       
       ## Für die Union:
       
       Spitzenleute der CDU preisen ihre Kandidatin nun, als gäbe es kein Morgen.
       Doch allen ist klar: Merkel ist für die Union eine Erfolgsgarantin, aber
       inzwischen auch ein Risiko. Merkels Beliebtheitswerte sinken seit der
       Flüchtlingskrise. Aber sie liegt immer noch weit vor Sigmar Gabriel, dem
       SPD-Chef, der sie 2017 herausfordern könnte. Wahr ist aber auch: Gegen sie
       wirkten alle Alternativen, etwa eine Stabübergabe an Wolfgang Schäuble oder
       Ursula von der Leyen, chaotisierend und wenig attraktiv.
       
       Merkel ist zum Symbol der Zerrissenheit der Union geworden. Ihre liberale
       Flüchtlingspolitik war ein Schock für die innere Verfasstheit der
       Konservativen. Viele CSU-Anhänger würden im Bierzelt lieber schale
       Apfelschorle trinken, als nochmal für Merkel in den Wahlkampf zu ziehen –
       und vielen in der CDU geht es genauso. Horst Seehofer wird sein Zerwürfnis
       mit Merkel und den Dauerstreit um die Obergrenze beenden, um den Wahlerfolg
       nicht zu gefährden. Aber nur dem Anschein nach, die Wunden sind tief. Hinzu
       kommt: Merkels jahrelange Herrschaft hat die CDU inhaltlich strapaziert und
       personell ausgedörrt, hinter ihr gibt es kaum noch starke Köpfe, etwa in
       den Bundesländern – das zeigte nicht zuletzt die vergebliche Suche nach
       einem Bundespräsidenten auf CDU-Ticket. Hinter Merkel wird sich bei dem
       CDU-Parteitag also eine geschwächte, verwirrte Partei versammeln, schlicht
       deshalb, weil es keine Bessere gibt. Für den Wahlkampf sind das nicht die
       besten Voraussetzungen.
       
       ## Für die Zukunft der Rechtspopulisten:
       
       Merkel mobilisiert die Rechten. Merkel, die scheinbar Liberale, ist zur
       Hassfigur für all jene Menschen geworden, die keine Fremden im Land haben
       wollen. Merkel ist schuld an den vielen Fremden, deshalb müsse sie weg –
       das ist die einfache Erzählung der AfD. Die Rechtspopulisten werden vor
       Freude über die erneute Kandidatur Merkels ein paar Flaschen (deutschen)
       Sekt köpfen.
       
       Faktisch hat Merkel viel dafür getan, um den Zuzug von Geflüchteten zu
       stoppen, aber das spielt dabei keine Rolle. Sie hat sich immer wieder gegen
       Rechts abgegrenzt, markige Sprüche sind ihre Sache nicht. Nicht zuletzt
       geht es ihr auch um das, was in den Geschichtsbüchern stehen soll. Merkel
       will die Verteidigerin des weltoffenen Deutschlands bleiben.
       
       ## Für SPD und Grüne:
       
       Für die beiden Parteien links der Mitte ist Merkels Entscheidung eine
       schlechte Nachricht. Denn was Rechte hassen, finden viele Leute in
       rot-grünen Milieus attraktiv. Merkels liberale Linie in der
       Flüchtlingspolitik kam hier gut an, ihr uneitler, ruhiger und auf Konsens
       ausgerichteter Politikstil ebenfalls. SPD-Strategen zerbrechen sich jetzt
       schon den Kopf über ein unschönes Szenario: Was, wenn viele Arbeiter AfD
       wählen – und das linksliberale Bürgertum Merkel?
       
       Die Grünen versuchten, das Merkel-Dilemma zu lösen, indem sie sich während
       der sogenannten Flüchtlingskrise offensiv hinter sie stellten. Für das
       Wahljahr aber ist Unterwerfung keine erfolgversprechende Strategie, dann
       wählen die Menschen lieber gleich das Original. Merkel könnte also
       plötzlich Milieus kannibalisieren, die SPD und Grüne sicher bei sich
       glaubten.
       
       20 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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