# taz.de -- Präsentation eines Buches über Merkel: Hass, sachlich hergeleitet
       
       > Merkel-Abscheu für 19,99 Euro: Vor der Wahl präsentieren ein paar übliche
       > Verdächtige ihr Anti-Kanzlerin-Buch. Mit dabei: Thilo Sarrazin.
       
 (IMG) Bild: „Am Verstand liegt es nicht“: Sarrazin über Merkel
       
       Angela Merkel ist ein gefühlloser Klotz. Eine Machtpolitikerin ohne
       Gewissen. Eine Karrieristin vom Stamm der untergegangenen DDR. Zudem eine
       miese Parteivorsitzende, eine kühle Opportunistin und eine Enttäuschung für
       „Deutschlands Juden“. Sie ist schuld am Brexit und gilt in Österreich als
       „Minusfrau“. Merkel ist ein „hohles C“ und übrigens die Feindin aller
       Hausfrauen. Um es mit Thilo Sarrazin zu formulieren: „Angela Merkels Ziel
       ist die Verbesserung der Welt auf Kosten Deutschlands.“
       
       Der frühere Bundesbanker und Immer-noch-SPDler war am Montag vom
       Finanzbuchverlag als Kronzeuge aufgeboten worden, um in Berlin den
       Sammelband „Merkel: Eine kritische Bilanz“ vorzustellen. In dem Buch wird
       auf 256 Seiten der Versuch unternommen, der Kanzlerin kurz vor der
       Bundestagswahl noch eins mitzugeben. Für 19,99 Euro bekommt man ein Pfund
       Merkel-Abscheu, zusammengerührt von den üblichen Verdächtigen.
       
       19 Männer und gerade mal 3 Frauen haben ihre hinlänglich bekannten
       Vorurteile aufgewärmt. Unter ihnen der erwähnte Sarrazin sowie
       Pegida-Versteher Werner Patzelt von der TU Dresden. Außerdem noch die
       „Bluse zu“-Propagandistin Birgit Kelle und ihr Einblick-Chefredakteur
       Roland Tichy. Die „kritische Bilanz“ des 22-köpfigen Merkel-Gerichts fällt
       entsprechend negativ aus.
       
       Schade eigentlich. Es ist ja nicht so, dass die Arbeit der Kanzlerin keiner
       Kritik bedürfte. Doch so, wie die Sache hier verhandelt wird, kann von
       Abwägungen, gar von tatsächlicher Erörterung oder von Erkenntnisgewinn
       nicht die Rede sein. Das Buch könnte auch „Merkel muss weg!“ heißen. Aber
       derlei sagen ja nur die ganz Schlichten.
       
       Also wird versucht, den Hass auf Merkel sachlich zu begründen. Der
       Herausgeber, FAZ-Wirtschaftsredakteur Philip Plickert, listet Merkels
       ärgste Verbrechen auf. Als da wären: ihre Haltung in der Energiewende („ein
       Irrweg“), ihre Europolitik („ein Trauerspiel“), ihr Agieren in der
       Flüchtlingskrise („kopflos“). Die mitschreibende Kollegin auf dem
       Nebenplatz gähnt hier bereits zum zweiten Mal.
       
       ## Der traut sich was
       
       Es wird nicht besser, als der rechtskonservative Vorzeigezeuge Sarrazin ans
       Pult tritt. Er wolle, sagt er, nicht auf Inhalte eingehen. „Ich stelle
       Fragen.“ Zum Beispiel diese: Braucht Deutschland Einwanderung aus
       demografischen Gründen? Hat Deutschland die moralische Pflicht,
       Einwanderung zuzulassen? Oder: Hat Deutschland die Pflicht, armen Ländern
       zu helfen?
       
       Sollten Sie an Thilo Sarrazins Antworten interessiert sein, muss ich Sie
       bitten, 19 Euro und 99 Cent für dieses Buch auszugeben und dort
       nachzulesen, welche Überzeugungen so ein selbstgewisser Expolitiker in
       seinem kühlen Herzen trägt. Hier nur eine willkürliche Zusammenstellung von
       Schlagwörtern aus Sarrazins Anmerkungen – diese mögen Ihnen erste
       inhaltliche Hinweise geben: Bevölkerungexplosion … kulturelle Einstellung …
       Lebenslüge … Marxloh … Einwanderungsdruck … Neukölln … Überlebensfrage …
       Traumtänzer … Kontrollverlust … junge Männer.
       
       Das Ganze wird abgerundet durch derart viele Statistiken, dass einem beim
       Zuhören ganz schwummerig wird. Das also ist dieses Sarrazin-Prinzip:
       relativ ausdrucksarm Zahlen referieren, diese mit Formulierungen wie
       „zehnmal krimineller“ kicken und dann warten, dass die Zuhörer (an diesem
       Montag in Berlin sind es fast ausschließlich Männer) scharf Luft durch die
       Zähne einziehen: Huijuijui, ich versteh zwar bloß die Hälfte – aber der
       traut sich was, dieser Sarrazin.
       
       Die Kollegin gähnt zum drittten Mal. Thilo Sarrazin ist fast fertig. Nur
       dies noch: Er halte, sagt er, Angela Merkel nicht für dumm. „Sie hat
       immerhin Russisch gelernt, es liegt also nicht am Verstand.“ Aber die
       Kanzlerin verfolge offensichtlich „andere Ziele als das Wohl des deutschen
       Volkes. Ich kann nur hoffen, dass Angela Merkel meinen Beitrag im
       Sammelband liest. Aber ich bin da nicht sehr optimistisch.“ Hihi haha. Von
       den halb leeren Zuhörerreihen ertönt matter Applaus.
       
       19 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
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