# taz.de -- Untersuchung Hochhausbrand in London: Tränen löschen kein Feuer
       
       > Die öffentliche Untersuchung des Hochhausbrands von Grenfell Tower hat
       > begonnen. Zum Auftakt versammeln sich die Überlebenden in Stille.
       
 (IMG) Bild: Eine Brandruine wie ein Grabstein: Grenfell Tower in Notting Dale, London
       
       LONDON taz | Der Anblick des schwarzen Hochhausskelettes füllt das
       Rückfenster der Methodistenkirche von Notting Dale. Die Kirche war am
       frühen Morgen des 14. Juni die erste Notunterkunft für Opfer des Infernos
       von Grenfell Tower. Exakt drei Monate später sitzen hier an die 50
       Überlebende und Anwohner vor der großen Holzorgel und verfolgen auf
       Bildschirmen die Eröffnung des öffentlichen Untersuchungsausschusses zu dem
       Feuer mit über 80 Toten. Man hat einen Livestream eingerichtet, damit die
       Betroffenen nicht bis in die Londoner Innenstadt reisen müssen, wo in einem
       Veranstaltungssaal in Covent Garden die Anhörung stattfindet.
       
       Es wird leise diskutiert, man sieht Kopfschütteln und Tränen. Die gedämpfte
       Stimmung gleicht dem Warten vor einer Trauerfeier. Dann beginnt endlich die
       Übertragung. Sir Martin Moore-Bick, pensionierter Richter und Vorsitzender
       des Ausschusses, eröffnet mit der Bitte um eine Schweigeminute. Im Saal und
       in der Kirche erheben sich alle. Nur Baulärm von irgendwo stört.
       
       Die Untersuchung gelte den Opfern und denen, deren Leben sich für immer
       verändert habe, aber auch der Verhinderung weiterer Brandkatastrophen
       dieses Ausmaßes, erklärt Moore-Bick mit den präzisen Worten eines Richters.
       Zum einen geht es um die Frage, wie sich das Feuer so hatte ausbreiten
       können und wie es die Menschen im Hochhaus erlebten. Zum anderen geht es um
       die Umstände, die dazu führten, und die Reaktion der Behörden währenddessen
       und danach.
       
       Auch Industrierichtlinien und die Kommunikation zum Brandschutz mit der
       Gemeindeverwaltung sind Thema. Tausende Dokumente sollen eingesehen, alle
       Überlebenden interviewt werden. Ein vorläufiger Bericht wird für die
       Osterzeit 2018 angestrebt, um dringend nötige Maßnahmen schnell umsetzen zu
       können. Doch insgesamt kann die Untersuchung länger dauern.
       
       Unmittelbar zivil- oder strafrechtliche Konsequenzen hat die Arbeit des
       Ausschusses nicht, auch Entschädigungen kann er nicht verlangen, stellt
       Moore-Bick klar. Eine polizeiliche Ermittlung laufe jedoch parallel weiter.
       Immer wieder betont der Vorsitzende den Gemeinschaftssinn in Notting Dale.
       Ein Symbol dessen seien die Kinder, die am Tag nach dem Inferno ihre
       Abschlussprüfungen hatten – und, so weit man weiß, größtenteils bestanden.
       
       Als Moore-Bick nach einer Stunde endet, bleibt der Raum in der Kirche
       still. Erst vor dem Gebäude stellen sich einige Anwohner den Journalisten.
       Marcia, die in unmittelbarer Nähe zu Grenfell wohnt, trägt ein
       selbstgemachtes Kleid mit dem Wort „Mörder“ – „weil sie das sind“ –
       antwortet sie auf Fragen. Sie versteht nicht, wieso sie bis Ostern auf
       Antworten warten soll, „während die Opfer immer noch keine Unterkunft haben
       und Hilfe nur so unendlich langsam kommt“. Ihre beiden Kinder, die alles
       mitangesehen haben, sind jetzt in Therapie.
       
       Thomasina, die ein Sweatshirt mit dem Wort „Grenfell“ und einem bunten Herz
       trägt, ist zuversichtlicher. „Ich mochte die Menschlichkeit des Richters.
       Er fand für mich die richtigen Worte, indem er unsere Community und das,
       was sie mitmachen muss, direkt ansprach. Ich glaube, er wird als
       Unabhängiger wirklich alle Unterlagen prüfen.“ Doch eine andere Anwohnerin,
       Muna El-Ogbani, ist verunsichert. Sie weiß nicht, ob sie dem Ausschuss
       vertrauen kann.
       
       Am Abend wollten sich die Anwohner gemeinsam zu einem Schweigemarsch um den
       verkohlten Tower versammeln. Eine gemeinsame Stimme, ganz ohne Worte.
       
       14 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn
       
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