# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Hilfe, ich will mein Gesicht zurück!
       
       > Gefährlicher als der Überwachungsstaat sind dessen Hilfspolizisten. Sie
       > versuchen auf eigene Initiative dessen Regeln durchzusetzen.
       
 (IMG) Bild: Cebit 2001: Vorstellung der biometrischen Gesichtserkennung
       
       Der Personalausweis ist schon lange abgelaufen. Drei Termine habe ich beim
       Bürgeramt angemeldet. Drei Mal im Fotoautomaten gesessen. Drei Mal den
       Termin beim Bürgeramt wieder abgesagt. Jedes Mal fragte ich mich: Ist
       dieses biometrische Zombiefoto in irgendeinem Kontext vorzeigbar? Am
       Clubeingang? Beim Tretbootverleih? Der angespannte Blick und die gut
       ausgeleuchteten Hautunreinheiten sagen: leider nein.
       
       Ob ich es wohl hinbekomme, das Foto am Automaten zu schießen, einzuscannen,
       mit Photoshop aufzuhübschen und auf dem richtigen Papier auszudrucken,
       ohne, dass die Behörde das merkt?
       
       Und wenn das möglich wäre, könnte man dann nicht auch seine Züge
       manipulieren, beispielsweise den Abstand zwischen den Augen verändern,
       sodass eine Gesichtserkennungssoftware das Foto mir nicht mehr zuordnen
       kann, aber die verschlafenen Beamten bei der Abnahme keinen Unterschied
       merken?
       
       ## Was zu verbergen?
       
       Alleine diesen Gedanken auszusprechen, weckt bei manchen Mitmenschen einen
       Verdacht. Entweder bin ich paranoid, denken sie jetzt, oder ich habe etwas
       zu verbergen. Aber ich habe kein Verbrechen geplant und hänge auch keinen
       Verschwörungstheorien an.
       
       Die Grundlagen der Gesichtserkennung werden nicht erst am Bahnhof
       Berlin-Südkreuz erforscht, sie sind längst geschaffen. Zuletzt beschloss
       der Bundestag im Mai ein Gesetz, das Geheimdiensten und Fahndern erlauben
       soll,… Aber diese Menschen hören nicht mehr zu, hinterfragen den
       Rechtsstaat nicht. Sie wollen gute Staatsbürger sein. Und machen nichts
       lieber, als im vorauseilenden Gehorsam auf mutmaßliche Verfehlungen
       hinzuweisen.
       
       Das Lächeln, dass ich auf meinem aktuellen Personalausweis trage, ist heute
       nicht mehr erlaubt. Er ist noch groß und grün und mehrmals gefaltet, damit
       er besser in die Geldbörse passt. Eine Zollbeamtin verdrehte, als sie ihn
       sah, die Augen. Ein Fahrkartenkontrolleur fragte lächelnd: „Darf man das?“
       
       Doch wenn die guten Staatsbürger ihn sehen, heben sie den Zeigefinger und
       pochen darauf, das sei Beschädigung von Staatseigentum. Denn der
       Personalausweis gehöre ja nicht mir, sondern der Bundesrepublik
       Deutschland. Wer hier schimpft, meldet sicher auch Falschnamen bei
       Facebook.
       
       ## Gefahr der Hilfspolizisten
       
       Aber im Ernst: Es ist bedrohlich, dass die kleinste nonkonformistische
       Geste manche Menschen so rasend macht. Schlimmer als ein Strafzettel am
       Auto ist der Nachbar, der beim Ordnungsamt anruft. Gefährlicher als der
       Überwachungsstaat sind die Hilfspolizisten, die seine Regeln ohne
       Legitimation durchzusetzen versuchen.
       
       Vergangene Woche hatte ich wieder einen Termin beim Bürgeramt, dieses Mal
       war ich da. Für die Sachbearbeiterin bin ich eine abzuarbeitende Aufgabe.
       Sie fragt nach Foto, aktueller Adresse und ob ich meine Fingerabdrücke
       speichern lassen will, ohne ein einziges Mal den Blick vom Bildschirm
       abzuwenden.
       
       Erst als ich ihr meinen alten abgelaufenen, zerknickten Personalausweis
       zuschiebe, schaut sie mir das erste Mal ins Gesicht. „Sie können doch nicht
       … “, empört sie sich, „das ist Beschädigung von Staatseigentum!“ Ich sage
       nichts. Sie lacht laut los. Genau mein Humor.
       
       7 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bednarczyk
       
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