# taz.de -- Umweltschäden durch Sandabbau: Strand aus Glaskieseln
       
       > Sand wird weltweit knapp. Recycling und Wüstensand sollen die
       > Abhängigkeit der Baubranche von der endlichen Ressource verringern.
       
 (IMG) Bild: Künstliche Insellandschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Wüstensand ist zwar reichlich vorhanden, aber dafür nicht geeignet
       
       Möchten Sie Ihre nächsten Ferien an einem Strand aus recyceltem Glas
       verbringen? In Nordkalifornien bei Fort Bragg zieht ein solcher Glasstrand
       Touristen in Scharen an. Über Jahre haben dort die Gezeiten eine ehemalige
       Müll- und Glasdeponie in einen Strand aus rund geschliffenen und matt
       glänzenden Glaskieseln verwandelt. Auch in Lake Hood in Neuseeland, auf
       Hawaii, Curacao oder bei Wladiwostok im äußersten Osten Russlands sind auf
       ähnliche Weise Strände entstanden.
       
       In Florida bei Fort Lauderdale hat man diese Idee aufgegriffen und
       Recyclingglas mit Meeressand gemischt, um weggespülte Strände wieder
       aufzufüllen. Zerkleinert und gemahlen besitzt Glas fast identische
       Materialeigenschaften wie Sand und wird auch von Tieren und Pflanzen
       angenommen. Denn wie fast überall auf der Welt geht auch den Stränden in
       Florida der Sand aus. Zwischen 75 und 90 Prozent aller Strände sind
       betroffen, schätzt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep).
       
       Nach Wasser ist Sand der meist verbrauchte Rohstoff überhaupt. Ob in Glas,
       in Kunststoffen, in Pharmazeutika, Autoreifen oder als Putzhilfe in
       Zahnpasta und Reinigungsmitteln, Sand ist allgegenwärtig. Er steckt in
       Glasfaserkabeln und Computerchips. Ohne aus Sand gewonnene Minerale wäre
       unsere digitale Gesellschaft undenkbar.
       
       Etwa drei Viertel des weltweit geförderten Sandes verwandelt die
       Bauwirtschaft in Beton und Asphalt. Sand prägt wie kein anderer Rohstoff
       unsere Infrastruktur und Städte. Der anhaltende Bauboom gerade in den
       asiatischen Schwellenländern lässt den Bedarf weiter wachsen. Mit dem
       Fracking vor allem in den USA ist der Verbrauch von hochwertigem Quarzsand
       seit 2006 noch mal deutlich gestiegen. Unep schätzt den globalen Sand- und
       Kiesabbau pro Jahr auf 40 Milliarden Tonnen. Das ist das Doppelte der
       Sedimentmenge, die sämtliche Flüsse der Welt nachliefern. Was nicht an
       Staudämmen hängen bleibt, wird in Füssen, Seen und den Weltmeeren abgebaut.
       
       Um die Strände und damit den Tourismus zu retten, werden Jahr für Jahr
       Millionen Tonnen Sand aufwendig und teuer aus dem Meer gebaggert und mit
       Hochdruck an die Küsten gepumpt. Auch auf Sylt ist das gängige Praxis. Eine
       Sisyphusaufgabe, denn der neue Sand wird kontinuierlich abgetragen, um die
       Lücken zu füllen, die durch das Abbaggern am Meeresboden entstanden sind.
       
       ## Zerkleinertes Glas
       
       In Florida wird zerkleinertes Glas inzwischen nur noch für
       Notfallreparaturen an erosionalen Hotspots verwendet. Das Volumen reiche
       nicht aus, um damit ganze Strände zu renovieren, sagt Professor Charles W.
       Finkl vom Institut für Geowissenschaften an der Atlantic University,
       Florida, und ergänzt: „In den USA wird deutlich mehr Geld ausgegeben, um
       bereits erodierte Strände zu renovieren, als Strände vor der Erosion zu
       schützen.“
       
       Alle Rekorde brechen jedoch Landaufschüttungen wie in Dubai oder Abu Dhabi,
       wo Hunderte Millionen Tonnen Meeressand zu künstlichen Inseln aufgeschüttet
       wurden. Der reichlich vorhandene Wüstensand taugt aufgrund seiner glatten
       Körnung und seiner Mineralzusammensetzung nicht für die Landgewinnung. Sand
       aus recyceltem Glas hingegen eignet sich hervorragen dafür.
       
       Oder Singapur. Der Stadtstaat hat seine Fläche seit den 1960er Jahren durch
       Aufschüttungen vor seiner Küste um 20 Prozent vergrößert. Den Sand dafür
       lieferten Indonesien, Kambodscha und Vietnam. Mit fatalen Folgen: Ohne
       Sandstrände als natürliche Barriere gegen die Brandung wirkt sich der
       Anstieg des Meeresspiegels noch verheerender aus. In Indonesien sind
       bereits 25 Inseln verschwunden, 83 weitere sind in Gefahr. Den Malediven –
       ebenfalls ein großer Sandexporteur – sind 12 Inseln verloren gegangen. Für
       die flüchtenden Bewohner werden Wohnungen mit dem Sand gebaut, der
       eigentlich ihre Inseln schützen sollte.
       
       Täglich durchkämmen Tausende Schwimmbagger die Meere und Küstenregionen der
       Welt. Die größten von ihnen fördern täglich bis zu 400.000 Kubikmeter Sand.
       Und mit dem Sand verschwindet auch alles Leben vom Meeresgrund. Als Teil
       des marinen Ökosystems hängt das Überleben vieler Arten vom Meeressand ab.
       Die beim Abbau aufgewirbelten Substanzen ersticken zudem Korallen und
       Seegräser. Auch Korallenriffe schützen als natürliche Wellenbrecher die
       Küsten vor Erosion.
       
       Legal ist der riesige Bedarf kaum zu decken. Während in der Europäischen
       Union strenge Gesetze den Sandabbau reglementieren, bilden sich in
       Schwellen- und Entwicklungsländern kriminelle Strukturen. In Indien etwa
       kommt kaum ein Bauherr an der sogenannten Sandmafia vorbei. Sie gilt
       inzwischen als mächtigste kriminelle Organisation des Landes. Nicht selten
       sind es Kinder, die unter Lebensgefahr mit Eimern nach Sand tauchen,
       berichtet die NGO Awaaz Foundation.
       
       ## Alternativen für die Bauwirtschaft
       
       Sicher wird Recycelglas allein den wachsenden Bedarf kaum decken. Zumal das
       Material für Stahlbeton ungeeignet ist. Die im Zement enthaltenen Alkalien
       lösen einen Teil des zermahlenen Glases und lassen Beton rissig werden.
       Daher braucht es insbesondere in der Bauwirtschaft Alternativen, um die
       Abhängigkeit von der endlichen Ressource Sand zu verringern.
       
       In Deutschland werden etwa 90 Prozent des Bauschutts wiederverwendet und
       oft an Ort und Stelle von Brechanlagen zu Sand und Kies zerrieben. Zwar
       liefert das Recycling von Bauschutt Volumen, allerdings reicht auch hier
       die Qualität bestenfalls für den Tief- und Straßenbau. Für
       Hochleistungsbeton, wie er etwa für Brücken oder den Hochbau verwendet
       wird, müssen die Sandkörner jedoch vom Zement und anderen Zuschlagsstoffen
       getrennt werden.
       
       Um das zu realisieren, wurde am Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP)
       Holzkirchen ein Verfahren aus der Versenkung geholt, das russische
       Wissenschaftler bereits in den 1940er Jahren entwickelten: die
       elektrodynamische Fragmentierung.
       
       Hierzu wird Beton in einen Wassertank gegeben. Ein Speziallaser schießt
       ultrakurze Blitze auf diesen ab. Bei einem Blitz von weniger als 500
       Nanosekunden besitzt Wasser eine höhere Durchschlagsfestigkeit als die
       meisten festen Stoffe. Der Blitz schlägt nicht mehr ins Wasser ein, sondern
       sucht sich im Beton den Weg des geringsten Widerstands. Das ist die Grenze
       zwischen Sand, Kies und Zement. Der Beton wird in diese Einzelbestandteile
       zerlegt.
       
       ## Sand, Kies und Zement
       
       Das Ergebnis ist neuer Sand und Kies, aber auch Zement. Was nicht zuletzt
       die CO2-Emission der Zementherstellung verringert. „In etwa einem halben
       Jahr wird ein erster Prototyp betriebsbereit sein“, erklärt Volker Thome,
       Abteilungsleiter Mineralische Werkstoffe und Baustoffrecycling am
       Fraunhofer-Institut in Holzkirchen. Die Nachfrage aus der Baubranche sei
       groß, so Thome weiter.
       
       Aber auch Wüstensand kann für die Bauwirtschaft aufbereitet werden. Im
       thüringischen Gehlberg entwickelte das Unternehmen PolyCare Research
       Technology in Zusammenarbeit mit der Weimarer Bauhaus-Universität einen
       Formziegel, der zu 90 Prozent aus Wüstensand besteht. Ein spezieller
       Kunstharz kittet die kleinen, glatten Sandkörner. Naturfaser verstärken das
       Material, das dann zu Ziegeln gebrannt wird. Ausgehärtet ist dieser Stein
       leichter als Beton und widerstandsfähig gegen Hitze, Frost und
       Feuchtigkeit. In Windhoek, Namibia, und Neu-Delhi stehen bereits
       Musterhäuser. Bis 2030 sollen in Namibia 40.000 Häuser für die ärmsten
       Einwohner des Landes gebaut werden.
       
       Für den Hochbau, wo die Hauptträger weiterhin aus Stahlbeton gebaut sein
       müssen, ist dieser Polymerbeton aus Wüstensand und Kunstharz jedoch keine
       Alternative. An der TU Dresden wird daher an einem Materialverbund aus
       Carbonfasern und Hochleistungsbeton gearbeitet. Damit können beispielsweise
       Brücken mit Betonschichten von nur einem statt der üblichen acht
       Zentimetern verstärkt werden. Die Einsparung an Sand und Zement ist
       erheblich.
       
       Volker Thome ist sich sicher, dass in Deutschland die genehmigten
       Abbaugebiete in etwa zehn Jahren erschöpft sein werden. Zwar ist
       Deutschland mit ausreichenden Sand- und Kiesvorkommen gesegnet, die
       Lagerstätten befinden sich jedoch oft unter Wohngebieten oder Natur- und
       Landschaftsschutzgebieten, und die Genehmigungsverfahren für neue
       Abbaustätten sind kompliziert und langwierig.
       
       15 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Nitz
       
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