# taz.de -- Debatte um Sandwesten: Kein Zaubermittel für unruhige Kinder
       
       > An Hamburger Schulen tragen einzelne Kinder Sandwesten zur besseren
       > Konzentration. Ein Kinderpsychiater kritisiert das. Auch der Hersteller
       > warnt, das Kleidungsstück ist kein Allheilmittel
       
 (IMG) Bild: Sehen schick aus, sind aber noch nicht gründlich erforscht: Sandwesten
       
       HAMBURG TAZ | An einigen Schulen in Hamburg tragen Kinder neuerdings mit
       Sand befüllte Westen. An 13 Grund- und Stadtteilschulen sollen Kinder
       „besser still sitzen, indem sie die bis zu fünf Kilogramm schweren Westen
       anlegen“, titelte jüngst das Abendblatt. Darüber das Foto eines Jungen, der
       so eine Weste trägt und in die Kamera lächelt.
       
       Laut dem Bericht sind diese Westen, die aussehen wie Mini-Daunenwesten, bei
       Lehrern und Kindern beliebt. Die Sonderpädagogin einer Harburger Schule
       lernte sie in den USA kennen und sagt, sie habe sich, dafür stark gemacht,
       dass der Schulverein dieses Hilfsmittel kauft. Jetzt sollen sieben weitere
       her.
       
       Bei Kindern, die unter Wahrnehmungsstörungen litten, kämen die Reize
       verquer an, erklärt die Pädagogin. Der gleichmäßige Druck der Sandwesten
       soll über die Muskel- und Belastungssensoren dem Gehirn neue Impulse geben.
       „Für die Kinder ist das wie ein behutsames Handauflegen, das gut tut“,
       ergänzt eine Kollegin. Und eine Schulleiterin sagt: „Ideal wäre, wenn wir
       für jede unserer 20 Klassen eine hätten. Immer griffbereit am
       Kleiderhaken.“
       
       Die Kinder streiten in dem Bericht sogar darum, wer das Stück zuerst tragen
       darf. „Die Weste macht mich ruhiger“, sagt ein Junge. „Und meine Schrift
       ist dann nicht mehr so krakelig.“
       
       Michael Schulte-Markwort, Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie
       an der Uniklinik Eppendorf, kritisiert den Einsatz und sagt: „Mir sind
       diese Westen nicht als Therapie bekannt.“ Was man am Klinikum untersucht
       hat, ist etwas anderes: Licht hat in Klassenräumen Auswirkung auf
       Motivation und Konzentration. „Das Licht muss einen hohen Blauanteil und
       eine hohe Luxzahl haben“, sagt er. „Das Licht in den Schulen ist dramatisch
       schlecht“, sagt Schulte-Markwort.
       
       Bei den Westen sieht er ethische Grenzen. „Wir machen so etwas nur bei
       Kindern, nicht bei Erwachsenen.“ Unruhe könne ganz verschiedene Ursachen
       haben. „Das kann das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) oder
       Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder eine
       Teilleistungsstörung sein, oder das Kind hat etwas Belastendes erlebt“,
       sagt der Kinderpsychiater. „Da möchte ich wissen, welche Unruhe das ist,
       dies muss ich diagnostizieren.“ In der Schule sei es ohnehin so: „Wenn ein
       Kind stört, muss das Kind sich ändern. Wir gucken nicht, wie können wir uns
       auf das Kind einstellen. Das muss man aber tun.“
       
       Gar nicht glücklich mit der Aufmerksamkeit scheint der Hersteller zu sein,
       die „Beluga Healthcare“ im niedersächsischen Scheeßel. „Wir stellen diese
       Westen seit 18 Jahren her. Das ist aus der Ergotherapie heraus entwickelt“,
       sagt Roland Turley, der die Firma mit seiner Frau betreibt.
       
       Die Idee entstand, als ein Ergotherapeut ein Hilfsmittel für ein Kind mit
       Down-Syndrom benötigte und bei der Firma für Tauchausrüstung anfragte, ob
       sie eine Weste herstellen könne. Seither habe man „tausende zufriedene
       Kunden“. Für Menschen mit Wahrnehmungsstörungen sei die Weste, oder
       alternativ auch eine Sanddecke, eine gute Hilfe.
       
       Allerdings solle der Einsatz nur kurz erfolgen, da sonst im Gehirn ein
       Gewöhnungseffekt eintrete. „Eine Studie über die Wirksamkeit gibt es
       nicht“, sagt Turley. „Wir haben es versucht, aber bisher hatte kein
       Institut Interesse.“ Nur eine Ergotherapie-Studentin will im Rahmen ihrer
       Bachelorarbeit eine positive Wirkung bei Autisten festgestellt haben.
       
       Die Firma hat nun eine Erklärung auf ihre Homepage gestellt. Trotz der
       Freude über die Öffentlichkeit wolle man nicht, dass die Produkte als
       „Zaubermittel bei jeder Form von Konzentrationsschwäche eingesetzt werden“.
       Nicht jedes unruhige Kind benötige eine Sandweste. Kinder müssten sie
       freiwillig tragen, und man brauche eine „fundierte Diagnose“, durch
       Ergotherapheuten oder Kinderärzte.
       
       Die Schulbehörde bestätigt, dass die Westen an 13 Schulen regelmäßig
       eingesetzt werden. Auch wenn deren Wirkung nicht belegt sei, werde der
       Einsatz in Einzelfällen begrüßt. Eine Evaluation des möglichen Nutzens
       durch die Behörde ist aber nicht geplant.
       
       11 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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