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       > Ferdinand Försch hat sich von den Konventionen der Komposition gelöst.
       > Aber nicht von seinen 100 Klangskulpturen. Für sie sucht er eine neue
       > Heimat, doch Hamburg ist nicht länger erschwinglich für einen Mann, der
       > eine Frage noch nie gestellt hat: ob es sich rentiert
       
 (IMG) Bild: Die Begegnung mit John Cage hat ihn aus dem Korsett der Zwölftonmusik befreit: Ferdinand Försch Foto: Miguel Ferraz
       
       Von Friederike Gräff
       
       Eine Hofeinfahrt in Hamburg-Wandsbek, davor eine mehrspurige Straße,
       daneben ein mehrstöckiger Betonklotz. Ein Mann kommt langsam näher,
       Lederstiefel, Schnauzbart, Zigarette. Sieht wie ein alternder Cowboy aus.
       Ferdinand Foersch ist Klangkünstler, das ist ungefähr so nischig wie
       Kühetreiben heutzutage. Bis vor kurzem war das kein Problem; Försch hat
       immer wieder Mäzene gefunden, die sagten: Hier, zieh in mein Anwesen, da
       ist noch ein Häuschen frei. Der Betonklotz ist trostlos, aber er bietet
       immerhin genügend Platz für Förschs 100 Klangskulpturen. Nun wird das Haus
       abgerissen und eines scheint sicher: In Hamburg wird er nicht unterkommen.
       
       In der Wandsbeker Allee kann man etwas über Klangkunst erfahren, über Töne,
       die zu Skulpturen werden. Aber diese Kunst braucht Raum, den Försch nicht
       hat, und so erfährt man etwas über den Preis, den man zahlt, wenn man einen
       Weg geht, der nicht links und rechts bausparvertragsgesichert ist.
       
       „Beginnen wir mit einer Pause“, sagt Försch und nimmt einen mit in den
       ersten Stock, wo er einen kleinen Tisch gedeckt hat mit sorgfältig
       gefalteten Papierservietten und Baumkuchen, den er bei einem Konditor von
       Ruf gekauft hat. „Sie haben sich schließlich die Mühe gemacht, zu kommen“,
       sagt er. Früher, als sein Klanghaus noch in Billbrook untergebracht war, in
       einem alten Backsteinhaus, hat er die GastkünstlerInnen, die zu ihm kamen,
       wie Könige behandelt.
       
       „Wenn sie einen 30 Jahre alten Whisky tranken, habe ich das herausgefunden
       und der stand dann auch auf ihrem Tisch.“ Auch als Ausgleich dafür, dass
       das Honorar nicht üppig war. Die Kulturbehörde hat Försch damals 4.500 Euro
       jährlich dazu gegeben. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, findet er. Deshalb
       habe er die Honorare für die Gäste aus seiner Privatkasse aufgebessert.
       
       Es stand nicht an Ferdinand Förschs Wiege, einen Beruf ohne
       Sicherheitsgeländer zu ergreifen, einen, der in keiner Broschüre der
       Arbeitsagentur steht. Er ist auf dem Land aufgewachsen, in einfachen
       Verhältnissen und wenn man nach seinen Eltern fragt, erzählt er nur eine,
       bittere Geschichte, unverständlich noch für den 66-Jährigen. Dass er als
       kleiner Junge eine Marienfigur geschnitzt hat, lange und mühsam und eines
       Tages nach Hause kam und die Figur nicht mehr fand. „Wo ist die Maria?“,
       hat er seine Mutter gefragt. „Ich habe sie verbrannt“, hat sie geantwortet.
       
       Natürlich ist das jetzt sehr küchenpsychologisch, aber die Frage nach dem
       Respekt für die Arbeit, die man selbst oder ein anderer tut, zieht sich
       durch Ferdinand Förschs Leben. Er erzählt von einem Journalisten, der vor
       Jahrzehnten zu ihm in eine Ausstellung getrampelt kam. Es war seine erste
       in Hamburg und er baute gerade sein Instrument auf, der Journalist aber
       wollte, dass er für ein Foto posierte. Hinterher erschien eine Kritik, die
       Försch als vernichtend empfand.
       
       Er erzählt von der Hamburger Kultursenatorin Dana Horákowá, die bei
       Dienstantritt befand, dass alle Kulturorte mit weniger als 70 Plätzen
       künftig ohne Zuschuss auskommen müssten. „Es hat niemanden aus der Behörde
       interessiert, da vorher einmal bei mir vorbeizukommen“, sagt Försch.
       
       Försch hat Schlagzeug, elektronische Musik und Komposition an der
       Musikhochschule in Stuttgart studiert. Er traf dort auf einen Lehrer, der
       ihn ermutigte, sein Vorspiel auf einer umgebauten Dachrinne zu bestreiten.
       „Die anderen Studenten konnten damit nichts anfangen“, sagt Försch.
       Wahrscheinlich ist nur so zu verstehen, was die Begegnung mit John Cage für
       ihn bedeutet hat, zu einer Zeit, als sogar die Studierenden strikte
       Vorstellungen davon hatten, womit man Töne erzeugt, die zu hören sich
       lohnt. Wenn Försch von der Begegnung mit Cage erzählt, klingt es wie eine
       Erweckung, wie ein Leben vor John Cage und nach John Cage.
       
       Försch ist damals zu einem Seminar von Cage und dem Choreographen Merce
       Cunningham nach London gereist. „Er hat einfach gelost, welche
       Choreographie zu welcher Musik gehören sollte“, erinnert sich Försch. Für
       ihn wird diese Würdigung des Zufalls als Arbeitsprinzip zur Befreiung: Er
       verlässt das Korsett der Zwölftonmusik, ab jetzt sind alle Geräusche für
       ihn gleichwertig. Und er kann seiner zweiten Leidenschaft, dem Handwerken,
       dem Erfinden und Gestalten mit den Händen, nachgehen: künftig schafft er
       Musikinstrumente, Klangskulpturen, Plastiken.
       
       Die Begegnung mit Cage hat vieles freigesetzt und dann setzt die
       Nicht-Begegnung mit Cage etwas weiteres frei. Eine Freundin verschafft ihm
       eine Praktikumsstelle bei Cages Inszenierung seiner Oper Europeras 1&2 in
       Frankfurt. Försch sieht Cage am ersten Tag von ferne, am zweiten Tag von
       ferne, am dritten. „Morgen spreche ich ihn an“, sagt er sich jeden Tag aufs
       neue, „morgen frage ich, ob wir einmal zusammen arbeiten könnten.“ Er tut
       es nicht.
       
       Unverrichteter Dinge kehrt er nach Hause zurück. Fragt sich, wie er diese
       Chance vermasseln konnte. Schließlich überlegt er: „Was würde John Cage
       tun?“ – „Er würde ihn zu sich holen“, ist Förschs Antwort. Und dann
       komponiert er ein Stück aus den Tönen C-A-G-E und geht noch weiter. Aus der
       Anordnung der Noten ergibt sich „nach vielen Untersuchungen“ ein Diagramm
       und das wiederum übersetzt Försch in eine Skulptur.
       
       Man kann sich diese vielen Untersuchungen gut vorstellen, wenn man zuhört,
       wie Försch das anhand einer Skizze erklärt, mit einer Mischung aus Stolz
       und Überraschung, auch nach mehreren Jahrzehnten, wie ihn diese Idee
       gefunden hat und er sie. An den Wänden hängen die Zeichnungen der ins
       Dreidimensionale übertragenen Modelle. Auf dem Tisch am Fenster steht ein
       Abguss der Skulptur. Vielleicht ist ihm diese Arbeit so wichtig, weil sie
       ihn vom Flüchter zum Erfinder hat werden lassen – vielleicht auch, weil
       seine Beziehung zu Cage unübersehbar in Erz gegossen worden ist. Zu Ehren
       von Cages 80. Geburtstag entwickelt Försch Instrumentenskulpturen für die
       Alte Oper Frankfurt. Kurz vor der Eröffnung stirbt der Komponist. Försch
       baut seine Arbeit dennoch auf, aber es kümmert niemanden mehr.
       
       Ferdinand Försch hat sich von den Konventionen der Komposition befreit, er
       ist frei im Kopf, aber er reist mit schwerem Gepäck. Für jedes seiner
       Instrumente komponiert er nur ein einziges Stück. Das ist auf sonderbare
       Weise karg und verschwenderisch in einem, und es passt zu jemandem, dessen
       Fixpunkte Johann Sebastian Bach und John Cage sind.
       
       Försch kann und will sich nicht von seinen Klangskulpturen trennen, deshalb
       ist er darauf angewiesen, dass man ihm Raum dafür gibt. Und damit kommt ein
       Modell ins Spiel, das man eigentlich für längst ausgestorben hielt: Mäzene,
       die zu Försch sagen: Hier ist Platz auf meinem Landgut in Frankreich. Oder:
       bezieh’doch dieses Haus in Billbrook, es mag nicht glamourös sein, aber
       Platz gibt es jede Menge.
       
       Die Jahre in Billbrook müssen gute Jahre gewesen sein. Försch lädt
       vierteljährlich zu Konzerten ein. Dazu kommen Auftritte von Gästen,
       erstaunliche und fremdartige. Einer hatte einen elektrifizierten, mit
       Schusswaffen bearbeiteten Kontrabass dabei. Es scheint, als sei es Försch
       gelungen, diesen Ort mit Experimentierfreude und Ernst zugleich zu
       bespielen, als habe man hier etwas entdecken können, was mehr war als das
       Bewusstsein, zu einer Elite zu gehören.
       
       „Die Gäste sollten ohne Furcht kommen“, sagt Ferdinand Försch und das ist
       der zweite Teil dieser Geschichte, weil in der Berzeliusstraße in Billbrook
       zwei sehr unterschiedliche Außenseiter aufeinandertrafen: die Liebhaber
       ungewöhnlicher Klänge und eine Gruppe Sinti und Roma. Laut Försch wollten
       sie ihn als Nachbarn vertreiben. Er erzählt von einer vage bedrohlichen
       Atmosphäre und, konkreter, davon, dass er seine Zuschauerbänke auf ihrem
       Gelände wiederfand. Und wie er sich auf dem Kiez eine Pistole kaufte, mit
       ihr zu den Dieben zurückkehrte und vielsagend auf den Pistolengriff in
       seiner Tasche wies. Wie er einen Security-Dienst anheuerte, damit seine
       Gäste furchtlos zu den Konzerten kommen konnten.
       
       Försch hat einen Sinn für Inszenierung und Effekte, natürlich hat er das
       als Musiker. Und so wandert man zwischen Kontrasten, zwischen den
       Haferflocken und der Milch, von denen er sich als Student ernährte, weil
       das Geld so knapp war und den opulenten Firmenfeiern, bei denen er die
       Wirtschaftsgrößen von Siemens & Co fremdartigen Klängen zur Speisefolge
       aussetzte. „Sie haben wirklich zugehört“, sagt er und klingt stolz und
       überrascht.
       
       In einem Porträt über ihn steht, dass Försch mit 428 Euro Rente auskommen
       muss. Etwas kommt durch die Arbeit für Luk Percevals Inszenierungen am
       Thalia-Theater hinzu. Es klingt, als mache ihm die Zusammenarbeit mit den
       Theaterleuten Freude. So, wie die mit den Kindern, für die er Musikkurse
       gibt. Mit denen setzt er sich unter einen Baum und sammelt Geräusche.
       
       Vielleicht ist es ganz schlicht und es stimmt beides: die Freiheit und das
       Angewiesensein. Avantgarde zu sein und „Sounddesigner alter Schule“, wie
       ein Rezensent geschrieben hat, der es nicht einmal unfreundlich meinte.
       Sich davon zu trennen, Geräusche in gute und schlechte einzuteilen und
       gequält zu sein von der Lasertag-Arena, die nachts in Wandsbek unter ihm
       lärmt.
       
       Aber selbst hier sind seine Tage gezählt. Försch hat ein Faltblatt drucken
       lassen, „Gesucht! Ein Klanghaus für alle“, steht darauf. Auf den Fotos
       ringsum sieht man ihn, wie er mit einem kleinen Mädchen ein Instrument
       baut, man sieht ihn vor einer Wand mit Schlagwerken und, jünger und in
       strahlend weißem Hemd, umgeben von applaudierenden Zuhörerinnen. Ein
       Geschäftsmann hat ihm inzwischen eine Halle in Soltau als Unterkunft
       angeboten. Das ist nicht Hamburg, das ist möglicherweise auch nicht ein
       Standort, „der nach Möglichkeit als Multiplikator in einem kulturell
       aktiven Umfeld angesiedelt“ ist, wie es im Faltblatt heißt. Inzwischen hat
       sich herausgestellt, dass das Gebäude asbestverseucht ist.
       
       „Ich bin optimistisch und gewillt, trotz aller Widrigkeiten weiter
       Eisenbahnwaggons zu verschieben“, sagt Ferdinand Försch zum Abschied. Das
       mit den Eisenbahnwaggons wird man später als Zitat von ihm in einem anderen
       Text lesen. Vielleicht ein Klang, dessen Echo beruhigend wirkt.
       
       19 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
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