# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Die Kultur des Bolzplatzes
       
       > Im Verzeichnis des immateriellen Weltkulturerbes findet sich nichts, was
       > in die Tradition des Fußballs gehört. Dabei gehört der Bolzplatz auf die
       > Liste.
       
 (IMG) Bild: Die solidarische Erfahrung des Bolzplatzes: Allein kann man kein Fußballteam sein
       
       Der Titel mag sperrig klingen, aber auch Mesut Özil kriegt ihn fehlerfrei
       hin. „Ich unterstütze voll und ganz die Initiative des Deutschen
       Fußballmuseums, die Bolzplatzkultur in das Verzeichnis des immateriellen
       Kulturerbes aufzunehmen“, sagt der Weltmeister.
       
       Das Verzeichnis gehört im weiteren Sinne zur Unesco-Liste des
       Weltkulturerbes, und dort findet sich tatsächlich vieles, das mit
       Körperkultur zu tun hat: etwa Charrería, eine Reitertradition aus Mexiko,
       oder Kuresi, eine kasachische Form des Ringens. Interessanterweise jedoch
       kaum etwas aus Europa und gar nichts, was in die Tradition des Fußballs
       gehört.
       
       Warum also nicht die Bolzplatzkultur? Die Idee kommt vom Deutschen
       Fußballmuseum in Dortmund, und dessen Direktor Manuel Neukircher sagt: „Der
       Bolzplatz ist ein prägender Sozialisationsraum. Hier treten Kreativität,
       spontane Selbstorganisation, Fairness und Durchsetzungsvermögen in
       wechselseitige Beziehung.“
       
       Diese Begründung zündet nicht so recht. Auch die Schule ist ein „prägender
       Sozialisationsraum“, und auch im Jugendzentrum gibt es „spontane
       Selbstorganisation“. Es irritiert, dass offenbar gleich ist, was die
       Kiddies machen. Hauptsache an der frischen Luft, Hauptsache unter sich. So
       wären Feldhockey und Gummitwist genauso listungswürdig.
       
       ## Man kann alleine kein Fußballteam sein
       
       Ja, sind sie bestimmt auch, aber sollte nicht, wer speziell die
       Bolzplatzkultur würdigen will, dann auch das Spezielle herausstellen? Die
       bemerkenswert schwache Begründung des doch so sympathischen Projekts, der
       Bolzerei gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, verweist auf den arg
       oberflächlichen Umgang, den man hierzulande mit Sport pflegt.
       
       Da werden penibel alle möglichen Funktionen aufgelistet, nicht aufgeführt
       wird dagegen etwa, dass auf dem Bolzplatz körperlich Solidarität erfahren
       wird, weil man alleine halt kein Fußballteam sein kann. Oder dass Räume
       imaginiert werden – etwa durch das mit Pullover oder Schultaschen markierte
       Tor.
       
       Fürs Ins-Worte-Fassen schwieriger Sachverhalte gibt es ja Literaten. „O
       abgetropfter Ball! O eingeschlenztes Leder“, hat Ludwig Harig gedichtet.
       „Der fußbezeugten Kunst begleicht und opfert jeder / Tribut und Obolus im
       hirnverzückten Schrei“. Ein Sporthasser wie der Schriftsteller Peter Weiss
       nannte den Fußball „eine kurze, erlaubte Freiheit“, in der „alles Verlangen
       nach Selbständigkeit und Erfindung glühend“ aufgeht.
       
       Fußball, gerade auf dem Bolzplatz, ist eben etwas Besonderes. Mesut Özil
       unterstützt den Antrag des Fußballmuseums deswegen. Ein anderer Großer hat
       einmal geäußert: „Das Geheimnis des Fußballs ist ja der Ball.“ Und über den
       Autor dieses klugen Satzes lesen wir bei dem Schriftsteller Ror Wolf:
       „Wissen Sie, was mir beim Seeler vor allen Dingen gefallen hat, war das: es
       hat bei ihm keine Sensationen gegeben oder irgendwie.“ So ist es: Der
       Bolzplatz gehört auf die Liste oder irgendwie.
       
       10 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Krauss
       
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