# taz.de -- Das Diktat von Greenwich
       
       > Bei „Salims Salon“ im Konzerthaus traten fünf Musizierende an, die Klänge
       > außereuropäischer Musiktraditionen zu verfremden
       
 (IMG) Bild: Die Geräusche surren, kratzen und kringeln. Die Magennerven werden strapaziert
       
       Von Vincent Bruckmann
       
       Die bunten Stuhlreihen des Werner-Otto-Saals im Konzerthaus sind nur halb
       gefüllt. Liegt es daran, dass die vier MusikerInnen schon den zweiten Abend
       in Folge auftreten? Oder scheut das Berliner Publikum das Experiment, das
       das Konzerthaus hier unternommen hat? Im Publikum finden sich
       ZuschauerInnen, die es sonst wahrscheinlich nicht ins Konzerthaus
       verschlagen hätte. Die vier MusikerInnen, die hier auftreten, sind wohl nur
       Menschen bekannt, die sich für elektronische Klangexperimente
       interessieren.
       
       Die vier sitzen zu Beginn an einem Tisch am Rand des Saals. Sie plaudern,
       trinken Tee aus einer Kaffeekanne, wie in einem Salon. „Salims Salon“ ist
       dieses „szenische Konzert“ auch betitelt. Nach und nach kommen sie auf die
       Bühne. Es fällt schwer, überhaupt von einer Bühne zu sprechen. Eine
       Konstruktion von Holztischen mit einem Gewirr aus Kabeln, Verstärkern und
       einigen wenigen herkömmlichen Instrumenten ist der Spielplatz.
       
       Seth Ayyaz macht den Anfang. Er stellt sich an seine Regler. Mit dem ersten
       Geräusch entsteht ein Sog, der den Zuhörer vereinnahmt und bis zum Ende
       dieser einstündigen Performance nicht mehr abreißt. Ayyaz arbeitet mit
       Vibrationen, er kreiert Geräusche mit Hilfe von traditionellen arabischen
       Instrumenten wie der Nay (Langflöte) oder der Daf (Handpercussion) und
       verändert sie mit elektronischen Hilfsmitteln so sehr, dass nur ein Hauch
       vom ursprünglichen Sound übrigbleibt. Die Geräusche surren, kratzen und
       kringeln. Die Magennerven werden strapaziert, Unbehagen ausgelöst.
       
       Die Ägypterin Jacqueline George gesellt sich zu Seth Ayyaz, und das
       gemeinsame Spiel beginnt. George schiebt an ihren Reglern und singt etwas
       in ihr Mikrofon, um es sofort bis zur Unkenntlichkeit zu verzerren. Als
       Zuhörer fühlt man sich an eine Bühne im Jazzclub erinnert, in dem eine
       Improvisationssession angesetzt ist und alle MusikerInnen die Bühne ganz
       nach ihrem Gusto betreten und verlassen.
       
       Kritiker heben häufig die Herkunft von Künstlern hervor, und fast ebenso
       häufig ist das überflüssig. Bei der Beschreibung dieses Konzerts ist es
       paradoxerweise eben deswegen notwendig, da die vier MusikerInnen sich
       diesen Zuschreibungen zu entziehen versuchen.
       
       Die in Kamerun geborene und in Berlin aufgewachsene Anaba M’bala Elsa
       Tatiana betritt die Bühne und stellt sich vor ihren Synthesizer. Man möchte
       sie fast drängen, die afrikanische Kalimba (Daumenklavier) und die Rasseln,
       die sie vor sich liegen hat, so zu verwenden, wie man es gewohnt ist. Doch
       diesen Gefallen tut sie dem Publikum nicht.
       
       Man ertappt sich dabei, wie man mit der Herangehensweise ringt, wie man
       kategorisieren will. Hört man dort vielleicht den Gesang eines Muezzins?
       War das nicht gerade ein Dudelsack? Das Ticken der Uhr, das hört sich doch
       an, wie Pink Floyds „Time“! Als könnten sie Gedanken lesen, zerstören die
       Musiker just in diesen Momenten jeglichen Wiedererkennungswert. Stereotype
       „arabischer“ oder „afrikanischer“ Musik gelten für die vier nicht, das
       „Exotische“, was sich so manche von diesem Konzert vielleicht erhofft
       haben, bekommen sie von ihnen nicht zu hören.
       
       In aus dem Off eingespielten O-Tönen erzählen die vier Musizierenden von
       ihrem Weg zur Musik. Man erfährt: Es war eine ständige Suche nach sich
       selbst, der eigenen, individuellen Identität in einer Gesellschaft, die sie
       lieber in Schubladen steckt. Die vier rächen sich mit der betörenden
       Strukturlosigkeit ihres Auftritts. Aber die Frage bleibt: Inwiefern
       zementiert man Zuschreibungen und Identitäten erst, in dem man sie so stark
       betont, auch wenn das Ziel ihre Dekonstruktion sein mag?
       
       Der künstlerische Leiter des Projekts, der Komponist Hannes Seidl, hat
       unter anderem durch diese Audioaufnahmen eine Struktur vorgegeben und ist
       damit in die Rolle des weißen Mannes, der versucht zu ordnen und zu takten.
       Er ist sich dieser Probleme bewusst. Der fremde Takt ist das Thema dieses
       Abends und Gegenstand der Komposition: Die Stimmen aus dem Off sprechen
       nicht nur über eigene Erfahrungen, sondern die „Taktung, die Kolonisierung
       des Fremden durch ein fixiertes Zeitregime“, wie Seidl es formuliert.
       
       Die Stimmen zitieren aus Texten, unter anderem aus „The Colonisation of
       Time“ von Giordano Nanni. Es werden Zusammenhänge hergestellt zwischen dem
       Greenwich-Zeitdiktat, gottähnlichen Dirigenten und den Hierarchien an den
       Konzerthäusern dieser Welt. „Neben dem Skript habe ich als Komponist hier
       eher die Rolle des Zuhörers eingenommen“, sagt Seidl. Wie ein
       Fußballtrainer habe er zur Improvisation beim Üben Feedback gegeben.
       
       Mit Synthesizer und Cimbalom reiht sich Cedrik Fermont, geboren im Kongo,
       aufgewachsen in Belgien, in die Reihe der vier Dekonstrukteure ein. Der
       drahtige Soundkünstler mit Irokesenfrisur und Springerstiefeln fabriziert
       mit seinen Reglern und Instrumenten Klänge, die so unbekannt bekannt
       scheinen, dass man fast wütend wird beim Versuch, sie einzuordnen. Ein
       älteres Ehepaar hat nach einiger Zeit genug. Der Mann verlässt den Saal,
       seine Frau zögert kurz, folgt ihrem genervten Ehemann dann aber.
       
       Dieses Konzert, das in einer Zusammenarbeit mehrerer Konzerthäuser
       entstanden ist, hätte größeren Zuspruch verdient gehabt. Mit einem Verlust
       des Zeitgefühls, erschöpft und herausgefordert, verlässt man schließlich
       den Saal.
       
       24 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Vincent Bruckmann
       
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