# taz.de -- Kinder- und Jugendarzt über Masern: „Die Impfung ist das kleinere Übel“
       
       > Heilpraktiker sagen gern, dass einen jede Krankheit weiterbringt. Stimmt,
       > sagt der Kinder- und Jugendarzt Christof Metzler – aber nur, wenn man sie
       > überlebt.
       
 (IMG) Bild: Eine potenziell tödliche Krankheit wie Masern als Entwicklungsschritt präsentieren, den ein Kind durchmachen muss? Zynisch, findet Christof Metzler
       
       taz am wochenende: Herr Metzler, wenn Eltern entscheiden müssen, ob sie ihr
       Kind impfen lassen oder nicht, stoßen sie im Internet schnell auf Abgründe.
       Zum Beispiel darauf, dass die Masernimpfung negative Konsequenzen haben
       kann, von einer Maserninfektion bis hin zum Autismus. 
       
       Christof Metzler: Angst und Sorge sind sehr verständlich, wenn es ums
       eigene Kind geht. Eine Impfung stellt immer einen Eingriff dar, der dem
       Kind wehtun kann. Aber viele verunsichernde Nachrichten entsprechen nicht
       unbedingt der Wahrheit – dass eine Masernimpfung Autismus auslösen kann,
       sind zum Beispiel „Fake News“. Dass ein Impfstoff die Krankheit auslösen
       kann, ist hingegen ein bisschen richtig.
       
       Ein bisschen? 
       
       Ungefähr eine Woche nach einer Lebendimpfung kann es zu einem kleinen
       Ausbruch kommen. Bei der gegen Masern bekäme das Kind dann Fieber und einen
       Masernausschlag. Je älter die Kinder werden, umso länger kann das dauern,
       ich habe mal über vier Tage bei einer Zehnjährigen erlebt. Das sind aber
       seltene Einzelfälle, kann ich nach 25 Jahren Praxiserfahrung sagen. So
       heftig wie bei Masern selbst wird es nie, außerdem ist das Risiko von
       Komplikationen wie Lungenentzündungen und Nachwirkungen bis zur
       Hirnhautentzündung bei einer Impfung im Vergleich zur Krankheit wirklich
       vernachlässigenswert gering. Die Impfung ist das kleinere Übel.
       
       Einige Heilpraktiker sagen, bei manchen Krankheiten sei Impfen zwar
       sinnvoll, aber Masern gehörten zum Leben dazu. Außerdem sei das Kind nach
       einer Infektion auch vor anderen Erkrankungen geschützt. 
       
       Da haben sie grundsätzlich recht. Jede Krankheit bringt dich weiter – wenn
       du sie überlebst. Bei einer Krankheit kommt der Körper zur Ruhe, alle
       Energie wird in die Erholung gesteckt, und sobald die Krankheit bekämpft
       ist, macht er einen großen Schritt nach vorne. Aber: Der Heilpraktiker ist
       eben kein Arzt. Er hat bestimmt noch nie ein an Masern erkranktes Kind
       behandelt, das mit dem Leben ringt. Oder eines, das an einer
       Hirnhautentzündung stirbt.
       
       Ein Heilpraktiker, der so etwas sagt, sollte verstummen und vor Scham
       erröten. Es ist eine absolut zynische Aussage, eine potenziell tödliche
       Krankheit wie Masern als einen Entwicklungsschritt zu präsentieren, den ein
       Kind durchmachen muss.
       
       Erhalten Kinder nicht auch durchs Stillen schon einen Impfschutz, indem
       Antikörper von der Mutter durch die Milch weitergegeben werden? 
       
       Beim Stillen werden keine spezifischen Antikörper weitergegeben, die gegen
       einzelne Krankheiten helfen. Was weitergegeben wird, sind allgemeine
       Immun-Antikörper der Klasse A, die das Immunsystem stärken. Das Kind wird
       also seltener und weniger heftig krank, ohne vollständig vor einzelnen
       Krankheiten geschützt zu sein.
       
       In den ersten Monaten ihres Lebens sind Kinder trotzdem gegen bestimmte
       Krankheiten geschützt. Wenn Mütter selbst die Krankheiten durchgemacht
       haben oder gegen sie geimpft waren, geben sie ihrem Kind Leihimmunität
       gegen Masern, Röteln, Mumps und Windpocken mit. Die hält allerdings nur
       sechs bis acht Monate an. Dass das Stillen die Impfung überflüssig macht,
       ist ein großer Irrtum, der zum Beispiel auch von manchen Hebammen
       weitergegeben wird, aber letztlich ist es einfach nur falsch.
       
       Es sind ja nicht nur Hebammen, es gibt auch genug Ärztinnen und Ärzte, die
       solche Empfehlungen abgeben. 
       
       Es gibt von 100 Ärzten ungefähr 3, die stark impfkritisch eingestellt sind.
       Die verhalten sich meiner Meinung nach nicht so, wie sich Ärzte verhalten
       sollten. Natürlich haben wir auch als Ärzte das Recht, unsere eigene
       Meinung zu haben, ich finde selber auch nicht alles gut, was in der Medizin
       vertreten wird. Aber es ist nicht meine Aufgabe, meinen eigenen Senf in die
       Welt zu schmieren, sondern die Erkenntnisse der Medizin weiterzugeben.
       
       Wenn ich kritisch gegenüber Impfungen bin, muss die erste Antwort auf
       Fragen an mich der Hinweis auf die eine gültige Empfehlung sein. Die wird
       von der Ständigen Impfkommission (Stiko) ausgesprochen. Das Problem ist ja
       auch, dass diese Leute so tun, als gäbe es grundsätzlich eine Alternative
       zur Stiko. Die gibt es aber nicht, sondern nur persönliche Meinungen.
       
       Die von der Stiko empfohlenen Impfungen sind eine ganze Menge, gerade in
       den ersten Lebensmonaten. Könnte man den Zeitraum nicht einfach ausdehnen? 
       
       Ich kann verstehen, dass es für ein Elternteil erschreckend wirkt, wie
       dicht dieser Plan ist. Aber ich als Arzt muss sagen: Das hat seinen Sinn.
       Die Impfungen werden so früh gemacht, weil es darum geht, das Kind so
       schnell wie möglich zu schützen – wann es einem Erreger begegnen mag, lässt
       sich ja nicht planen.
       
       Und unser Immunsystem ist multitaskingfähig: Über 187 solcher
       Abwehrreaktionen gleichzeitig können da verarbeitet werden, das muss man
       sich mal vorstellen! Könnten wir das nicht, würden alle Kinder nach dem
       Austritt aus dem sicheren Mutterleib innerhalb von Minuten sterben. Wenn
       die Fruchtblase platzt, fallen auf einmal Millionen solcher Erreger über
       das Kind her, das bis eben noch in einer sterilen Umgebung saß.
       
       Offenbar können wir mit all diesen Erregern umgehen. 
       
       Ja. Dagegen ist so ein Sechsfachimpfstoff wirklich nichts. Und ich freue
       mich über diese Mehrfachimpfungen, weil sie es erlauben, die enthaltenen
       Giftstoffe auf ein Minimum zu reduzieren – da können dann sechs Impfungen
       mit der Menge an Beimitteln für nur eine Impfung verabreicht werden.
       
       Moment: Giftstoffe? 
       
       Die gibt es, bekannt sind vor allem Quecksilber und Aluminium. Der Versuch
       war aber immer, diese Giftstoffe, so gut es geht, zu minimieren.
       Quecksilber kommt heute nicht mehr vor, und wenn, dann in einer
       ungefährlichen Form. Dass das anders wäre, hält sich aber als Mythos sehr
       hartnäckig. Was das Aluminium betrifft: Aluminiumhydroxid ist ein
       Wirkstoffverstärker, der in den meisten Impfungen gebraucht wird, aber auch
       sonst viel verwendet wird.
       
       Wo denn noch? 
       
       Um das mal ins Verhältnis zu rücken: 4 Milligramm Aluminium gelangen über
       die Impfungen in den ersten sechs Monaten in ein Kind – in der gleichen
       Zeit nimmt ein mit Flaschen gefüttertes Kind 40 bis 120 Milligramm
       Aluminium über die Milch auf, selbst ein gestilltes Kind nimmt 10
       Milligramm auf. Und jedes Mal, wenn Sie eine Tafel Schokolade essen, nehmen
       Sie 50 Milligramm Aluminium zu sich. Das gehört ganz allgemein zu unserer
       Lebensbelastung.
       
       Sollten sich Eltern dennoch gegen eine Impfung entscheiden, kann ihrem
       ungeimpften Kind unter tausend geimpften Kindern immerhin nichts passieren,
       oder? 
       
       Sie haben recht, ein ungeimpftes Kind wird von den vielen geimpften Kindern
       geschützt. Aber das ist ein Pseudoargument. Es gibt ja noch andere Eltern,
       die ihr Kind nicht impfen lassen. Polio zum Beispiel ist seit vielen Jahren
       in Deutschland ausgerottet. Aber immer wieder werden Erreger aus anderen
       Orten, an denen es vereinzelt noch Polio gibt, ins Land getragen. Damit die
       Krankheit nicht immer wieder in Deutschland ausbricht, braucht es eine
       bestimmte Durchimpfungsrate, die sogenannte Herdenimmunität. Und wenn ein
       ungeimpftes Kind mal ins Ausland geht, kann es sich da auch anstecken. Dazu
       kommen die, die nicht geimpft werden können, weil sie zum Beispiel Leukämie
       haben.
       
       Und was ist mit dem Argument, Impfungen seien nur ein Trick der
       Pharmaindustrie, um Geld zu machen? 
       
       Ich weiß, wie die Welt aussah, bevor wir die heutigen Impfstoffe hatten.
       Sie sind aus einer Not heraus entstanden und alternativlos in ihrer
       Funktion, die Menschen vor potenziell tödlichen Krankheiten zu schützen und
       im Idealfall Krankheiten wie Polio oder Masern aus der Welt zu kriegen. Den
       Firmen unterstelle ich, dass sie auch so denken.
       
       Ist das nicht etwas naiv? 
       
       Das mag sein, aber mir als Arzt bieten die Impfungen die Möglichkeit, vor
       tödlichen Erkrankungen zu schützen. Das wiegt für mich auf, dass damit
       vielleicht Profit erzielt wird. Ich arbeite selbst auch mit Firmen
       zusammen, das will ich nicht verstecken. Ich gebe ihnen Tipps, wie die
       Stoffe besser für den Praxisalltag werden, und lasse mich von ihnen
       informieren. Ich habe nicht das Geld, große Studien durchzuführen, da bin
       ich auf sie angewiesen.
       
       Sie sagten anfangs, Sie verstehen die Ängste der Eltern. Wie würde denn ein
       sinnvoller Umgang mit ihnen aussehen? 
       
       Sie müssen sich klar machen, dass die Entscheidung gegen die Impfung auch
       eine Entscheidung für die Krankheit oder deren Möglichkeit ist.
       Problematisch finde ich, wenn die Eltern sagen, dass sie noch warten
       wollen. Das schiebt die Entscheidung nicht nur auf, sondern gefährdet das
       Kind ganz akut. Aber letztlich muss das medizinische System Eltern in die
       Lage versetzen, diese Entscheidungen informiert zu treffen. Momentan bürdet
       der Staat ihnen diese Entscheidung auf und lässt sie dann alleine stehen.
       
       Wie einige Ärzte, die impfkritische Eltern sogar aus ihrer Praxis
       schmeißen. 
       
       Wir Ärzte müssen wieder Vertrauen herstellen. Wir versteifen uns darauf,
       dass manches selbstverständlich sein sollte, und wenn es nicht so ist,
       verstummen wir. Woanders posaunen impfkritische Heilpraktiker oder Mamis
       lautstark ins Internet – und werden gehört. Dagegen muss man ganz klar
       Stellung beziehen.
       
       11 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arved Clute-Simon
       
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