# taz.de -- Normal oder zu behindert für den Job?
       
       > Können Theater womöglich das leisten, womit der Rest des Arbeitsmarktes
       > noch kämpft? Ein Besuch im inklusiven Theater Thikwa in Berlin
       
 (IMG) Bild: Tim Petersen, Schauspielveteran am Theater Thikwa, bei der Arbeit
       
       Vincent Bruckmann 
       
       Mereika Schulz macht einen Ausfallschritt, breitet die Arme aus und spricht
       hochkonzentriert den gelernten Text: „Zuerst ist alles dunkel. Wir gehen
       raus: Spot an, unser Auftritt!“ Mit Moritz Welz, Max Edgar Freitag und
       Rachel Rosen probt sie für ein Vorsprechen beim Grips-Theater, dem wohl
       bekanntesten Kinder- und Jugendtheater Deutschlands. Nebenan sitzen andere
       Beschäftigte der Thikwa-Werkstatt für Menschen mit Behinderung im
       Improvisationstraining. Das Training ist Teil des Thikwa-Konzepts, das aus
       zwei Bereichen besteht. Rechtlich und finanziell sind sie getrennt, im
       Tagesablauf jedoch eng verbunden.
       
       Die Werkstatt gehört zu einem sozialen Träger. Die Beschäftigten haben
       Improvisations- und Bewegungstraining, arbeiten aber auch an Holz- und
       Kunstobjekten, wie in anderen Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Das
       Theater ist eigenständig, bewirbt sich um Kulturförderung beim Senat und
       bringt jährlich zwei bis drei Premieren auf die Bühne.
       
       Seit den 1990er Jahren wirken dabei in jedem Stück Menschen mit und ohne
       Behinderung mit. Es sollen „Begegnungen zwischen PerformerInnen,
       ChoregrafInnen, RegisseurInnen mit und ohne Behinderung geschaffen werden,
       die etwas Neues entstehen lassen“, beschreibt Nicole Hummel, eine der
       künstlerischen LeiterInnen, das Arbeitskonzept im Theater Thikwa.
       
       Hat das Theater mit seiner künstlerischen Freiheit womöglich größere Räume
       für diese inklusive Herangehensweise als andere Bereiche der Arbeitswelt?
       Gerd Hartmann, auch Teil der künstlerischen Leitung, ist davon fest
       überzeugt. Er weiß aber auch, dass die SchauspielerInnen bei Thikwa
       Freiräume und Zeit bekommen, die es in den herkömmlichen Theatern nicht
       gibt. Strukturell müsste sich einiges ändern, damit auch an den „normalen“
       Häusern Menschen mit Behinderung Fuß fassen können, so Hartmann.
       Probenzeiten müssten verlängert, Arbeitsprozesse vollkommen umgeworfen
       werden. Sind herkömmliche Theater dazu bereit? Und, ist die vollständige
       Inklusion in der Theaterwelt überhaupt erstrebenswert? Bietet das
       Mischkonzept mit der Behindertenwerkstatt nicht die Umgebung, den
       Schutzraum, in dem sich die Thikwa-SchauspielerInnen am wohlsten fühlen?
       
       Tim Petersen, Schauspiel-Veteran am Theater Thikwa, könnte sich ein
       Engagement an einem dieser Theater schon vorstellen. Für ihn bedeutet
       Theaterspielen das „Eintauchen in ein fremdes Leben“. Gerade lief das Stück
       „miTim“, mit und über ihn selber, das er gemeinsam mit einem weiteren
       Thikwa-Schauspieler, der Regisseurin und einem Musiker erarbeitet hat.
       Darin nimmt er die ZuschauerInnen in seinem eigenen Tempo mit auf eine
       klangvolle Reise durch seine Wahrnehmung der Welt.
       
       Auf die Frage, ob es einen Unterschied mache, ob er mit Menschen mit oder
       ohne Behinderung zusammenarbeitet, reagiert er irritiert: „Im Großen und
       Ganzen gibt es ja kein behindert oder nicht behindert. Jeder Mensch kann
       etwas, was der andere nicht kann.“ Das passt zu den Leitfragen, mit denen
       das Theater Thikwa und Tim Petersen die ZuschauerInnen schon lange
       herausfordern: Was heißt hier schon „behindert“? Was heißt „normal“?
       
       Einige Tage nach dem Besuch bei Thikwa gibt es Nachricht von Gerd Hartmann:
       Das Vorsprechen beim Grips-Theater, auf das sich vier der „Thikwas“
       vorbereitet haben, war teilweise erfolgreich. Max Edgar Freitag und Rachel
       Rosen wird man bald auf der Bühne am Hansaplatz erleben können.
       
       Über Inklusion auf der Arbeit diskutieren wir auch beim taz lab
       
       31 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Vincent Bruckmann
       
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