# taz.de -- Verleihung des Deutschen Filmpreises: Nah am Wasser gebaut
       
       > Emily Atefs Romy-Schneider-Drama gewinnt beim Deutschen Filmpreis sieben
       > Lolas. Hauptdarstellerin Marie Bäumer weint ausufernd.
       
 (IMG) Bild: Glücklich über ihre Auszeichnung: Romy-Schneider-Darstellerin Marie Bäumer
       
       Jene drei denkenswerten Tage in Quiberon waren geprägt von Selbstzweifel
       und Verzweiflung, von Manipulation und Ausnutzung. Und stehen damit
       symbolisch für eine Zeit, in der (vorwiegend männliche) Journalisten sich
       das Recht herausnahmen, Antworten durch Beleidigungen, Kränkungen,
       abfällige Bemerkungen zu provozieren: [1][Emily Atefs kluges
       Romy-Schneider-Drama], das bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises am
       Freitag mit sieben Lolas ausgezeichnet wurde, darunter auch die Goldene
       Lola für den Besten Film, ist gleichzeitig Sittenbild und Hommage.
       
       Es ehrt sowohl die darin porträtierte Künstlerin als eine natürliche,
       verletzliche und intuitive Schauspielerin als auch Marie Bäumer, die sich
       gefährlich nah an Romys zerrissene Psyche heranwagt. Bäumer weint ausufernd
       und glücklich, als sie den Preis für die Beste Darstellerin verliehen
       bekommt, und wiederholt später in Interviews: „Weinen ist so wichtig!“ Ja,
       das ist es – und zwar bekanntlich auf und vor der Leinwand gleichermaßen.
       
       Wie nah der deutsche Film momentan – im besten Sinne – am Wasser gebaut
       ist, wie sensibel er Film auf Stimmungen reagiert und wie aktuell er sie
       wiedergibt, zeigte die Auswahl, aus der die 1.900 Mitglieder ihren Gewerken
       gemäß abstimmen dürfen: Um Verlust, Trauerarbeit und Rechtsradikalismus
       geht es im Gewinner der Lola in Silber, [2][Fatih Akins „Aus dem Nichts“],
       um Heimat, Fremde und Kommunikationsstörungen in Valeska Grisebachs
       „Western“, dem Gewinner der Bronzenen Lola.
       
       Dabei ist Grisebachs grandioses Langzeitduell noch der formal
       ungewöhnlichste der nominierten Filme: Sie arbeitete stark mit
       Vorgefundenem, besetzte nicht nur alle Rollen mit LaiendarstellerInnen,
       sondern ließ auch dem vergessenen Dorf im Süden Bulgariens, in dem der
       Konflikt zwischen den ostdeutschen Bauarbeitern und den AnwohnerInnen
       köchelt, seine eigene Rolle: Organisch hat sie ihre Geschichte dort ein-
       und dem Umständen untergeordnet.
       
       ## Ungewohnt lakonisch
       
       Was ansonsten bei der entspannten, von Edin Hasanović verlässlich cool
       moderierten Preisverleihung unter der Leitung der ebenfalls immer entspannt
       wirkenden Sherry Hormann am Freitag auffiel, war das Fehlen vom künstlichen
       Pathos, das solcherlei Shows normalerweise überzuckert. Ob Charly Hübner,
       der seine Laudatio auf die drei nominierten Darstellerinnen frei und
       glaubhaft begeistert hielt, oder die wegen der üblichen Skype-Ausfälle fast
       wie ein gespielter Witz wirkende, dennoch emotionale Schalte zum Gewinner
       des Besten-Nebendarsteller-Preises Robert Gwisdek, der mit einem Ohr drauf
       hörte, ob seine Freundin im Nebenzimmer ihn vielleicht zum
       Nabelschnurabschneiden braucht – sie stand anscheinend Sekunden vor der
       Geburt.
       
       Das mit den Familien, seien es angeborene, selbst gegründete oder
       zufällige, ist eben ein funktionierendes, verbindendes Element. Und jedeR
       kann mitfühlen, was es bedeutet, wenn Birgit Minichmayr, Gewinnerin der
       Lola für die Beste Nebendarstellerin, von der Bühne nach Hause (in Richtung
       Babybett) ruft: „Ich bin morgen früh wieder zurück, dann gibt’s auch wieder
       Milch!“
       
       Ob die Methode des privaten Sichtens immer gewährleistet, dass tatsächlich
       alle Akademiemitglieder ihre Aufgabe erfüllen, bleibt fragwürdig, ist aber
       schlichtweg nicht anders lösbar – gemeinsamen Sichtungsterminen stehen
       1.900 unterschiedliche, komplizierte Schedules gegenüber. Man wird also
       damit leben müssen, dass einige Kreuzchen bestimmt dem Umstand geschuldet
       sind, erst einmal den einen Film zu gucken, über den alle reden, und dann
       eventuell keine Zeit mehr für die anderen zu haben. Und ob man weitere
       Werke in die engere Auswahl hätte nehmen müssen, jüngere, provokantere
       vielleicht, etwa Jakob Lass’ „Tiger Girl“ oder Sonja Maria Kröners Debüt
       „Sommerhäuser“, darüber kann und darf man streiten. Eine einzige,
       „richtige“ Ansicht dazu gibt es eh nicht.
       
       Ungewohnt lakonisch hatte gleich zu Anfang die Akademiepräsidentin Iris
       Berben ihre Kritik formuliert: „Ich hätte auch eine Rede aus einem der
       letzten Jahre nehmen können, ich rege mich immer über die gleichen Dinge
       auf!“ Dann appellierte sie daran, den Diskurs um den [3][#metoo] „ohne Häme
       und Ausgrenzung“ zu führen. Der in Bosnien geborene Moderator Hasanović
       konnte dagegen mit seinem eigenen Hintergrund gegen Nationalismus und
       Rechtspopulismus auftrumpfen. Ob sein Talent und seine Sprüche bis zu Björn
       Höcke durchdringen? Hoffentlich. Und auch wenn sie dort nichts ändern –
       politische Statements gegen Intoleranz und braune Soße gehören auf jede
       Kulturbühne.
       
       29 Apr 2018
       
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