# taz.de -- Zu enge Einzelkäfige für Schweine: Lasst die Sau raus!
       
       > Viele Tiere werden monatelang auf kleinstem Raum eingesperrt. Die
       > zuständigen Landkreise schauen über diesen Rechtsbruch einfach hinweg.
       
 (IMG) Bild: Schweinezucht in Deutschland: Viele Nutztiere leiden unter schlechten Haltungsbedingungen
       
       BERLIN taz | Die Landkreise mit den meisten Schweinezüchtern setzen einen
       Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts für mehr Tierschutz auch nach
       eineinhalb Jahren nicht um. Deshalb werden die [1][1,9 Millionen Sauen] in
       Deutschland überwiegend monatelang in Einzelkäfigen gehalten, die so klein
       sind, dass die Tiere nicht jederzeit die Beine ausstrecken können. Das
       zeigen Antworten der zehn Landkreise mit den meisten Plätzen in
       Schweinezuchtbetrieben auf Anfragen der taz.
       
       Die „Kastenstand“ genannten Metallgestelle sind ungefähr so groß wie das
       Schwein. Es kann sich nicht umdrehen und sich nur langsam hinlegen. Im
       „Abferkelstall“ hat dies den Vorteil, dass die Jungtiere nicht so leicht
       erdrückt werden. Im „Deckzentrum“ – in dem Stall, in dem die Sauen besamt
       werden – erleichtert der Kastenstand dem Personal den Überblick. In beiden
       Ställen spart der Kastenstand Platz, denn außerhalb des Käfigs ist mehr
       Bewegungsfreiheit vorgeschrieben.
       
       Tierschützer kritisieren jedoch, dass die Kastenstände oft Geschwüre im
       Schulter- und Hüftbereich verursachten. Es sei Tierquälerei, die Sauen ohne
       Kontakt zu Artgenossen und ohne Möglichkeiten zu halten, herumzulaufen,
       ihren Erkundungstrieb auszuleben oder sich zu suhlen. Wenn Sauen genug
       Platz hätten, würden ohne Kastenstand auch nicht wesentlich mehr Ferkel
       erdrückt werden.
       
       Die [2][Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung] erlaubt Kastenstände zwar
       für einen begrenzten Zeitraum. Aber sie und ihre Vorgängerverordnung von
       1988 schreibt vor, dass „jedes Schwein ungehindert aufstehen, sich hinlegen
       sowie den Kopf und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann“.
       
       Doch diese Vorschrift wird mit Billigung der Behörden seit Jahrzehnten
       missachtet. Die [3][Ausführungshinweise] des Landes Niedersachsen etwa
       verlangen eine Breite des Kastenstands von nur 70 Zentimetern. Nach
       Berechnungen des bundeseigenen Friedrich-Löffler-Instituts für
       Tiergesundheit aber braucht die Durchschnittssau, die 250 Kilogramm wiegt,
       [4][82 Zentimeter,] um sich ungehindert hinzulegen und aufzustehen. Ist der
       Kastenstand schmaler, kann die Sau die Beine nur ausstrecken, indem sie sie
       in den Käfig neben sich steckt. Das geht aber häufig nicht, zum Beispiel,
       wenn das Tier nebenan ebenfalls gerade liegt.
       
       Nur wenige Veterinärbehörden haben solche Rechtsbrüche verhindert. Die
       Kreisverwaltung Jerichower Land in Sachsen-Anhalt ging gegen den
       niederländischen Agrarindustriellen Adrianus Straathof unter anderem wegen
       zu enger Kastenstände vor. Er wehrte sich vor Gericht – und unterlag im
       November 2015 vor dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg. Ein Jahr später
       wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Firma ab und erklärte
       das Urteil für rechtskräftig. Die Richter stellten fest: Wenn in der
       Verordnung steht, dass die Schweine sich ungehindert ausstrecken können
       müssen, dann gilt das – jederzeit. Das sei [5][„nicht weiter
       klärungsbedürftig“], weil die Vorschrift eindeutig sei.
       
       Aber selbst eineinhalb Jahre nach dieser höchstrichterlichen Ohrfeige
       halten Landwirte die meisten Sauen immer noch in zu engen Kastenständen.
       Und die wichtigsten Veterinärbehörden bleiben untätig. Diese zehn Kreise
       sind dafür zuständig, das Tierwohl von etwa 32 Prozent der Sauen in
       Deutschland zu überwachen. Die meisten werden im Landkreis Emsland
       gehalten. Doch statt nach den Gerichtsentscheidungen durchzugreifen, hat
       die Behörde „die Kontrollen der Sauenhalter in 2017 im Landkreis Emsland
       zurückgefahren“, teilte sie der taz mit. „Infolge einer unklaren Rechtslage
       war eine gezielte Kontrolle der Kastenstände nicht im Focus der
       Überprüfungen“, so das Amt weiter. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht
       ja gerade die Rechtslage klargestellt.
       
       Das Veterinäramt begründet ihre Untätigkeit so: „Eine sofortige Umsetzung
       des Magdeburger Urteils wäre für viele Betriebe existenzbedrohend. Aus
       einem Alleingang des Landkreises Emsland würden massive
       Wettbewerbsverzerrungen resultieren.“ Deshalb werde der Kreis wie „alle
       anderen Kommunen in Niedersachsen mit der Umsetzung des ‚Magdeburger
       Urteils‘ beginnen, sobald durch das Land oder den Bund Rechtssicherheit
       geschaffen wurde“.
       
       ## 15 Jahre sind zu lang
       
       Es wird also weiter das Recht gebrochen – und zwar massenhaft: Es sei davon
       auszugehen, so der Landkreis, „dass 70 bis 80 Prozent der emsländischen
       ferkelerzeugenden Betriebe die Anforderungen des ‚Magdeburger Urteils‘,
       zumindest in Teilbereichen, nicht erfüllen“. Auch die Kreise Steinfurt,
       Borken und Cloppenburg etwa teilten der taz mit, dass sie vorerst keine
       Umbauten nach den Vorgaben des Urteils durchsetzen würden. Alle wollen
       warten, bis der Bund die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung geändert
       hat.
       
       Die Agrarminister von Bund und Ländern wollen auf ihrer Konferenz von
       Mittwoch bis Freitag in Münster über einen [6][Entwurf der Reform]
       diskutieren. Laut dem in diesen Dingen gewöhnlich gut informierten
       Fachblatt Top Agrar sollen in Deckzentren, die künftig gebaut werden, die
       Sauen nur noch acht Tage fixiert werden dürfen. Die Kastenstände müssen je
       nach Größe der Sau 60 bis 90 Zentimeter breit sein. In neuen
       Abferkelställen dürfen die Tiere maximal fünf Tage im Kastenstand gehalten
       werden. Die alten – also derzeit illegalen – Kastenstände aber sollen noch
       lange weiter benutzt werden dürfen: 12 bis 17 Jahre. Der Bauernverband
       fordert diese lange Frist mit dem Argument, dass wegen der Umbaukosten
       sonst zu viele Sauenhalter aufgeben müssten. Allein in den letzten zehn
       Jahren ist etwa in Niedersachsen laut dem Agrarministerium in Hannover die
       Zahl der Betriebe um 60 Prozent und die Zahl der Zuchtsauen um knapp 25
       Prozent gesunken.
       
       Auch der Deutsche Tierschutzbund ist bereit, über Übergangsfristen zu
       reden. Aber 15 Jahre zum Beispiel seien zu lang, sagte Präsident Thomas
       Schröder der taz. „Im Grundsatz muss in allen Vereinbarungen stehen: Der
       Kastenstand hat keine Zukunft in der Schweinehaltung. Dieser Kompromiss
       will den Kastenstand retten“, kritisierte der Tierschützer.
       
       Tierrechtler wie die Organisation Animal Rights Watch dagegen fordern
       gleich das Ende der gesamten Tierhaltung. „Denn ob mit oder ohne
       Kastenstand, die Schweinezucht und mit ihr die gesamte Tierindustrie
       verursacht stets unermessliches Leid“, so der Verband. Stattdessen sollten
       pflanzliche Lebensmittel und der bio-vegane Landbau gefördert werden.
       
       24 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/TiereundtierischeErzeugung/Tabellen/BetriebeSchweineBestand.html#FussnoteA
 (DIR) [2] https://www.gesetze-im-internet.de/tierschnutztv/__24.html
 (DIR) [3] https://www.schweine.net/services/files/tierschutz/Ausfuehrungshinweise_niedersachsen.pdf
 (DIR) [4] https://www.openagrar.de/servlets/MCRFileNodeServlet/Document_derivate_00012648/FLI-Empfehlungen_Kastenstandbreiten_20150717.pdf
 (DIR) [5] https://www.bverwg.de/081116B3B11.16.0
 (DIR) [6] https://www.topagrar.com/news/Schwein-News-Schwein-Kastenstand-Einigung-noch-im-April-9143895.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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