# taz.de -- Berlin macht Kitas kostenlos für alle: Arm, aber gebührenfrei
       
       > Eltern in Berlin müssen ab August keine Kitagebühren mehr zahlen. Auch in
       > Hessen, Niedersachsen und Brandenburg fallen Kosten weg.
       
 (IMG) Bild: „Frühkindliche Bildung ist für die Bildungsgerechtigkeit wichtig“, sagt Bildungsexpertin Anette Stein
       
       BERLIN taz | Es gibt sie noch, die guten Nachrichten. Zumindest für Eltern,
       die in der Hauptstadt wohnen. Und deren Kinder im Vorschulalter sind. Denn
       [1][Berlin hat als erstes Bundesland Kitagebühren komplett abgeschafft]. Ab
       Mittwoch sind Eltern von sämtlichen Gebühren befreit. „Berlin hält Wort und
       setzt weiter auf eine familienfreundliche Politik“, frohlockt
       Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) angesichts der Pionierleistung.
       
       Berlin hat in den letzten elf Jahren [2][schrittweise die Beitragsgebühren
       an Kindertagesstätten eingeschränkt]. Erst fiel die Gebühr für das letzte
       Betreuungsjahr weg, zuletzt wurden nur noch für Kinder unter einem Jahr
       überhaupt Gebühren erhoben. Mit dem neuen Vorstoß sind auch die letzten
       15.800 Berliner Kinder befreit. Lediglich die monatliche Essenspauschale
       über 23 Euro und eine – künftig bei 90 Euro gedeckelte – freiwillige
       Zuzahlung für besondere Angebote müssen Eltern noch berappen.
       
       Die Berliner Verhältnisse sind einzigartig im föderalen Deutschland, wo
       sich die Kitagebühren von Bundesland zu Bundesland und Kita zu Kita stark
       unterscheiden. In manchen sind je Ausstattung und Einkommen der Eltern
       mehrere hundert Euro fällig. Berlin hatte aber auch schon vor der
       kompletten Befreiung die kostengünstigsten Kitas im Land.
       
       Nach einer [3][Erhebung der Bertelsmann-Stiftung vom Mai zahlten Berliner
       Eltern] im Schnitt gerade mal 1,8 Prozent ihres Nettoeinkommens für die
       Kindertagesbetreuung. In Mecklenburg-Vorpommern (8,2 Prozent) oder
       Schleswig-Holstein (9 Prozent) wurde im Vergleich deutlich mehr fällig.
       Mitunter berappen Familien dort bis zu einem Viertel ihres Einkommens.
       
       ## Neues auch in Hessen, Niedersachsen, Brandenburg
       
       Das sind Belastungen, die den Eltern aber zunehmend mit Steuergeldern
       abgenommen werden. Denn der Trend geht über Parteigrenzen hinweg klar in
       Richtung Entlastung. Zehn Bundesländer haben bereits Teilentlastungen
       beschlossen. Neben dem rot-rot-grün regierten Berlin dürfen sich ab sofort
       auch Eltern in drei anderen Bundesländern freuen: In Hessen (schwarz-grün)
       und Niedersachsen (rot-schwarz) fallen die Kitagebühren für Kinder ab drei
       Jahren weg, sofern die Betreuung sechs beziehungsweise acht Stunden pro Tag
       nicht überschreitet.
       
       Und in Brandenburg (rot-rot) gilt ab heute: Eltern müssen das letzte
       Kita-Jahr ihres Sprösslings nicht bezahlen. SPD-Bildungsministerin Britta
       Ernst strebt wie in Berlin eine „komplett kostenfreie“ frühkindliche
       Bildung an. Auch Bremen und Mecklenburg-Vorpommern haben beschlossen,
       Eltern zu entlasten.
       
       Die Bundesregierung unterstützt den Kurs: In ihrem Koalitionsvertrag haben
       Union und SPD zugesagt, die Eltern bei den Kitakosten zu entlasten und
       Betreuungsangebote auszubauen. 3,5 Milliarden Euro stellt sie dafür bis
       Ende 2021 zur Verfügung. Die Koalition verspricht sich davon, die
       Bildungschancen von Kindern aus armen Haushalten zu erhöhen.
       
       Studien belegen, dass diese am meisten von der Förderung in Kitas
       profitieren. „Frühkindliche Bildung ist für die Bildungsgerechtigkeit
       extrem wichtig“, bestätigt Bildungsexpertin Anette Stein von der
       Bertelsmann Stiftung. Deshalb sei die Gebührenfreiheit der Kitas wie in
       Berlin langfristig der richtige Weg. Zumal ja auch Schule und Studium
       selbstverständlich umsonst seien. „Momentan aber“, würde Stein keine
       flächendeckende Gebührenfreiheit empfehlen: „Dafür stimmt die Qualität der
       Kitas noch nicht“.
       
       Konkret meint Stein damit den oft nicht guten Personalschlüssel und die
       auch deshalb geringe Attraktivität des Berufs. Momentan ist der Job nicht
       nur vergleichsweise schlecht bezahlt – im Schnitt verdient man in einer
       Berliner Kita um die 2800 Euro brutto – die Arbeit ist in vielen Kitas im
       Land auch stressig. Zu viele Kinder auf zu wenig Erzieherinnen, zu wenig
       Zeit für Vorbereitung oder Elterngespräche, beklagen Gewerkschaften schon
       seit Jahren.
       
       Zwar sorgen einige Bundesländer wie Baden-Württemberg und Bremen im Schnitt
       heute für den empfohlenen Betreuer-Kind-Schlüssel (1:3 bei Kinder unter
       drei Jahren; bei den älteren liegt er bei 1:7,5). Das sei aber längst nicht
       überall erreicht, beobachtet Stein. In Berlin etwa liegt er bei Kindern im
       Krippenalter (1-3 Jahre) doppelt so hoch. Ein kostenfreies Angebot sei
       deshalb nur dann sinnvoll, wenn „massiv“ in Personal investiert würde, so
       Stein.
       
       Das aber ist das Problem: ErzieherInnen sind heute schon rar. In Berlin
       fehlen nach Medienberichten derzeit rund 2.000 Fachkräfte. Bis zum Jahr
       2025 werden deutschlandweit 300.000 ErzieherInnen fehlen, warnten vor
       kurzem BildungsforscherInnen im Nationalen Bildungsbericht 2018.
       
       ## Pauschalen in Hessen und Brandenburg
       
       Die Prognose spiegelt auch den Kita-Ausbau wider, den Bund und Länder seit
       2007 betreiben. So werden inzwischen 61,9 Prozent aller Zweijährigen
       tagesbetreut, während es 2006 nur 26,5 Prozent waren. Der Trend zur
       Gebührenfreiheit dürfte den Fachkräftemangel noch verstärken, glaubt Anette
       Stein von der Bertelsmann Stiftung: „Wir sehen jetzt schon: Wo die
       Betreuung kostenlos ist, schicken mehr Eltern ihre Kinder in die Kita.“
       
       ErzieherInnenmangel und stark unterschiedliche Betreuungsschlüssel auch
       innerhalb einzelner Bundesländer sind aber nicht die einzigen Kritikpunkte
       an dem Trend zur Gebührenfreiheit. Ein weiterer ist das Geld: Würden alle
       Bundesländer auf Gebühren verzichten, müsste der Staat im Jahr rund 15
       Milliarden Euro zahlen. Zumal die Kommunen, die zum Teil ja Träger der
       Kitas sind, Sorge haben, dass der Staat die Differenz zu den ausbleibenden
       Elterngebühren nicht ausgleichen kann.
       
       In Hessen und Brandenburg erhalten sie künftig vom Staat pauschal 110
       beziehungsweise 135,60 Euro im Monat pro Kind – egal, wie gut ausgestattet
       die Einrichtungen sind. Die Sorge: pauschale Beiträge gehen zu Lasten der
       Einrichtungen mit hohen Ausgaben.
       
       ## Sozialneid als Ursache?
       
       Auch in Berlin gibt es immer wieder Kritik an der pauschalen Finanzierung:
       Die Bildungsgewerkschaft GEW beobachtet, dass diese nicht reicht, um alle
       Kosten der Kita-Einrichtungen zu decken. Die Folge: Lohndumping beim
       Personal. Nach GEW-Angaben bezahlten 2017 nur 13 Prozent der 2500 Berliner
       Kitas ihre Angestellte nach Tarif. Der Berliner Senat hat angekündigt, die
       Gelder bis 2021 schrittweise zu erhöhen. Auch sollen ErzieherInnen ab 2019
       bei den Tarifverhandlungen höher eingruppiert werden.
       
       Momentan sind deshalb trotz Gebührenfreiheit nicht alle Berliner Eltern mit
       der Kita-Situation zufrieden. Nicht alle finden auf Anhieb einen
       Kita-Platz, obwohl es seit 2013 einen rechtlichen Anspruch darauf gibt. Das
       führt zu chaotischen Wartelisten – und Frust. Erst im Mai demonstrierten
       deshalb aufgebrachte Eltern. Dementsprechend wurde die selbst erklärte
       Erfolgsmeldung des Berliner Senats auch negativ kommentiert: „Der Wegfall
       der Kita-Gebühren wird das Problem der fehlenden Plätze nicht lösen“,
       twittert etwa die FDP-Fraktion.
       
       Und natürlich weckt die Großzügigkeit der notorisch armen Hauptstadt
       außerhalb Berlins mitunter Sozialneid. Wenn ein kleiner Stadtstaat zuletzt
       4,2 Milliarden Euro aus dem Topf des Länderfinanzausgleichs bezieht, könne
       es nicht solche „Freibier-für-alle-Politik“ betreiben. Diese Äußerung kommt
       übrigens nicht von der CSU, sondern der Bayernpartei.
       
       31 Jul 2018
       
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