# taz.de -- „Die Hexenjagd ist zurückgekehrt“
       
       > FEMINISMUS Die Theoretikerin Silvia Federici im Gespräch über unbezahlte
       > Hausarbeit im Kapitalismus, die blinden Flecke von Marx und den
       > verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen der neuen Commons
       
       INTERVIEW TIM STÜTTGEN
       
       taz: Frau Federici, wenn ich mir die Veröffentlichung „Aufstand aus der
       Küche“ anschaue, so geht es um eine marxistisch-feministische
       Reproduktionskritik, die bis heute im Zentrum Ihrer Arbeit steht. 
       
       Silvia Federici: Die Frage der Reproduktion ist schon seit mehr als 30
       Jahren zentral für meine theoretische Arbeit. Eine relevanter Moment war
       dabei meine Zusammenarbeit mit dem Internationalen feministischen
       Kollektiv, der Organisation, die 1972 die internationale Kampagne für
       bezahlte Hausarbeit lanciert hat. Meine Arbeit ist von den Theorien des
       italienischen Operaismus der sechziger Jahre beeinflusst wie auch von den
       Theorien der antikolonialen Kämpfe und der Bürgerrechtsbewegung in den USA.
       Der Operaismus verfolgte eine Lesart von Marx, die mir half, die politische
       Dimension des Lohnverhältnisses als eine primäre Form der sozialen
       Herrschaft zu verstehen. Die TheoretikerInnen des antikolonialen Kampfes
       hingegen schrieben aus der Perspektive derer, die aus dem Lohnverhältnis
       und kontraktuellen Beziehungen insgesamt ausgeschlossen waren. Beide
       theoretischen Perspektiven waren grundsätzlich für mein Verständnis von der
       Ungleichheit, die Frauen in der kapitalistischen Arbeitsteilung erfahren.
       Sie halfen mir, zu sehen, dass es eine direkte Verbindung zwischen der
       Unterordnung der Frauen unter die Männer im Kapitalismus und ihrer
       unbezahlten Situation als Hausarbeiterinnen gibt.
       
       Auch Ihr viel beachtetes Buch „Caliban & The Witch“ erscheint erstmals ins
       Deutsche übersetzt. Wer sind diese beiden Charaktere, die dem Buch den
       Titel geben? 
       
       Der Kaliban und die Hexe sind Charaktere von Shakespeares „Sturm“. Kaliban
       ist ein animalisches Monster, das von Prospero dem Magier unterworfen
       wurde, als es mit seinem Schiff auf dessen Insel strandete. Von Kaliban
       wird gesagt, dass er der Sohn einer Hexe war, und im Stück wird er als
       instinkthaftes Geschöpf dargestellt, das permanent gezwungen wird, zu
       arbeiten, und dagegen rebelliert. Im Buch steht er für die im Kapitalismus
       kolonisierten Bevölkerungen, aber auch für den proletarischen Körper, den
       der Kapitalismus in eine Ressource für Arbeitskraft umwandelte und
       domestizierte. Die Hexe ist die Mutter von Kaliban, doch sie steht auch für
       die vielen Frauen, die im 16. und 17. Jahrhundert am Horizont moderner
       kapitalistischer Gesellschaften wegen angeblicher Hexerei verbrannt oder
       gehängt wurden.
       
       Der Untertitel Ihres Buches bezieht sich auf die „ursprüngliche
       Akkumulation“, die Sie bei Marx entleihen. 
       
       Die „ursprüngliche Akkumulation“ ist ein Begriff, den Marx benutzt, um den
       Prozess zu analysieren, der im 16. Jahrhundert in England begann, als die
       Grundbesitzer anfingen, die Bürger vom Lande zu vertreiben, ihre Häuser zu
       zerstören und ihren kollektiven Landbesitz zu zerteilen. Dieser Prozess war
       in Marxs Perspektive die „natürliche“ Vorbedingung für die Entwicklung des
       kapitalistischen Zusammenhangs und für die Formation des lohnbasierten
       Proletariats.
       
       Gleichzeitig stellen Sie Marxs Lesart infrage. 
       
       Marx übersah, dass ein essenzieller Aspekt für die Entwicklung des
       Kapitalismus die Aufteilung zwischen der Warenproduktion und der
       Arbeitskraft war. Nur die Produktion von Waren war als Arbeit anerkannt,
       während die Produktion von Arbeitskraft, insbesondere der Teil, der zu
       Hause stattfindet und normalerweise Hausarbeit genannt wird, als
       persönlicher Service definiert wurde, der keiner Bezahlung wert war. Diese
       Dichotomie ist eine immense Quelle für ökonomische Akkumulation. Sie hat
       die schweren Schultern der Arbeiterklasse erleichtert, zumeist auf Kosten
       der Frauen, die die Arbeitskraft reproduzierten.
       
       Welche Funktion hatte der „Great Witchhunt“? 
       
       Erstens zerstörte er eine Welt voller Praktiken und sozialer Subjekte, die
       nicht mit der kapitalistischen Entwicklung kompatibel waren. Außerdem brach
       er die soziale Macht von Frauen und presste sie in die passive Rolle, die
       sie gegenüber den arbeitenden Männern hatten. Diese Separation von
       Produktion und Reproduktion ist bei Marx ungedacht, und diese
       Naturalisierung von weiblicher Hausarbeit und die Vertiefung der
       Geschlechterunterschiede transformierte die Frauen in eine körperliche
       Maschine für die Produktion von Arbeitskraft. Frauen, die dem durch ihre
       Lebensform widersprachen, waren die sogenannten Hexen.
       
       Sie unterstreichen immer wieder dass viele Formen kommunalen Lebens
       zerstört wurden, und nennen dabei auch die Häretiker mit ihrer polygamen
       Sexualität oder Frauenräume der Heilung und der Magie. 
       
       Die magischen Praktiken mit denen viele BürgerInnen im Mittelalter zu tun
       hatten, repräsentierten eine Form von Gegenmacht, weil sie den Menschen
       eine Form von Kontrolle über ihre Existenz gaben, die für den sich
       entwickelnden Nationalstaat gefährlich war. In manchen Fällen wissen wir
       heute, dass diese Kräfte real waren. Frauen waren die Heilerinnen der
       Gemeinschaft im Mittelalter, und wir wissen, dass sie ein großes Wissen
       hatten, das bis heute in der Medizin benutzt wird. Außerdem halfen sie
       anderen Frauen, Kinder zu gebären oder zu verhüten. So stellten sie eine
       soziale Kraft in der Gemeinschaft dar, die der Staat kontrollieren und
       brechen wollte.
       
       Wie kann man diese Praktiken heute noch als Gegenmacht denken? Ist das
       realistisch oder, polemisch gesagt, nicht etwas eskapistisch? 
       
       Sicher stellen magische Praktiken auf dem Grassroots-Level nicht mehr die
       gleiche Bedrohung dar wie zu einer Zeit, als sich der Staat noch in der
       Bildung befand und erst begann, seine Kontrolle über seine Einwohner
       auszuüben. Es ist jedoch wichtig, anzumerken, dass in den letzten zwei
       Jahrzehnten, beispielsweise in Afrika und Indien, die Hexenjagd
       zurückgekehrt ist. Dazu gab es den Zuwachs von satanischen Bewegungen. Es
       ist bisher wenig erforscht, welche Rolle ökonomische Faktoren in diesen
       Entwicklungen gespielt haben. Ähnlich ist es bei evangelikalen Sekten,
       deren Menge und Einfluss in der gleichen Zeit stark zugenommen hat. Es ist
       eindeutig, dass die Ideologie, die die derzeitigen Hexenjagden beeinflusst,
       von diesen Sekten stark promotet wird.
       
       Ein wichtiger Begriff, der heute wieder viel Aufmerksamkeit erfährt, ist
       der der Commons. Sie sprechen von dem Commons des Mittelalters. 
       
       Kommunale Formen der Arbeit und des Zusammenlebens haben weltweit seit
       jeher existiert. Auf die Commons beziehe ich mich in meiner Arbeit als das
       Gemeinsame, das sich im mittelalterlichen Europa des Feudalismus entwickelt
       hat auf der Basis eines geteilten Gebrauchs von Land und von anderen
       natürlichen Ressourcen, die der Adel den Bauern zusprach im Tausch gegen
       Arbeitskraft. Dieses Gemeinsame, das Felder, Weiden, Teiche und Ödland
       einschloss, war die materielle Basis für eine intensive kommunale Existenz,
       in der Arbeit großenteils kollektiv verrichtet wurde, da die Entscheidungen
       über Saat und Ernte gemeinsam getroffen wurden. Die mittelalterlichen
       Commons und die Bauernversammlungen waren weiterhin ein wichtiger Ort; die
       Sozialität insbesondere von Frauen und die Aufteilung der Arbeit waren
       weniger rigide als im folgenden Kapitalismus. Das heißt aber nicht, dass
       die mittelalterlichen Commons vollkommen egalitär waren. Differenzen
       existierten zum Beispiel je nach der Menge von Land, die ein Bürger neben
       dem gemeinsam gebrauchten Land zur Verfügung hatte.
       
       Was verbindet die damaligen „Commons“ mit den heutigen? 
       
       Heute meinen wir mit den Commons etwas, was wir produzieren, ob beim Urban
       Gardening oder im Internet. Was allerdings damals wie heute relevant ist,
       sind der gemeinsame Entscheidungsprozess und die Form der Versammlung als
       eine Regierung von unten. Es existiert derzeit eine große Debatte darüber,
       was die Commons konstituiert und ob die Commons eine Basis sind für eine
       Form nichtkapitalistischer, egalitärer Produktion. Auch wenn die
       Diskussion, worauf diese Commons basieren sollten, noch sehr aktiv ist,
       gibt es Einigung darüber, dass Commons die gleichberechtigte Teilung von
       Reichtum bedeuten und auf einer Gemeinschaft basieren, die die
       Verantwortung dafür übernimmt, mit Ressourcen bewusst umzugehen.
       
       ■ Silvia Federici: „Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die
       ursprüngliche Akkumulation“. Aus dem Engl. v. Max Henninger. Mandelbaum
       Verlag, Wien 2012, 340 S., 24,90 Euro
       
       „Aufstand aus der Küche“. Aus dem Engl. v. Max Henninger. Edition
       Assemblage, Münster 2012, 80 S., 9,80 Euro
       
       10 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) TIM STÜTTGEN
       
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