# taz.de -- Raubbau am Victoriasee: Die Sandmafia
       
       > Sand, der wichtigste Rohstoff für den weltweiten Bauboom, wird knapp. An
       > Ugandas Küste des Victoriasees zerstört der Raubbau brutal die Umwelt.
       
 (IMG) Bild: Sie pumpen Sand aus dem Victoriasee
       
       VICTORIASEE taz | Ein lautes Knattern hallt über die Wogen des Sees,
       begleitet von einem dumpfen Stampfen. Es klingt, als würde jemand den
       Seeboden mit einem gewaltigen Hammer bearbeiten. „Dieser Lärm hat alle
       Fische vertrieben“, sagt Bootsmann Omar Katongele und schöpft mit seiner
       Hand etwas Wasser: „Guck dir das an: schmutzige braune Brühe.“
       
       Langsam steuert Katongele, in kurzen Hosen, T-Shirt und Baseballmütze, sein
       Boot auf den gigantischen See hinaus. Es geht nur ein leichter Wind. Die
       Sonne scheint, doch ihre Strahlen spiegeln sich nicht auf der glatten
       Oberfläche. Das Wasser ist trüb und riecht leicht faulig, wie eine
       abgestandene Pfütze.
       
       Der Victoriasee im Herzen Afrikas ist das flächenmäßig größte
       Süßwassergewässer der Welt, ungefähr so groß wie Irland. Drei Länder
       grenzen an seine Ufer: Kenia, Tansania und Uganda. Von hier aus fließt der
       7.000 Kilometer lange Nil ab in Richtung Norden, zum Mittelmeer.
       
       Der Victoriasee ist schon seit den 1950er Jahren bekannt für seine
       ökologischen Desaster. Damals setzten die Kolonialherren hier den nicht
       heimischen Barsch aus, einen Raubfisch, der das ökologische Gleichgewicht
       durcheinanderbrachte. Er wurde weltweit unter dem Namen „Victoriabarsch“
       bekannt, und kann mitunter Ausmaße wie ein Delphin erreichen.
       
       Der Bootsmann Katongele hat viele Fotos von diesen Riesenbarschen auf
       seinem Handy und zeigt sie stolz. Als Bootsbesitzer ging der 44-Jährige
       früher mit Hobbyfischern, meist weißen Touristen aus Europa, Australien und
       den USA, auf die Jagd nach den Riesenbarschen. Noch vor wenigen Jahren
       gingen sie hier vor den Ufern der ugandischen Hauptstadt Kampala ins Netz.
       Jetzt müsse man sehr weit hinausfahren, um auch nur die kleinen,
       sardinenartigen Mukene zu fangen, klagt Katongele. Das habe ihm das
       Geschäft fast ruiniert.
       
       ## Nur noch Inseln statt Festland
       
       Grund ist neben der extremen Überfischung auch das Knattern und Stampfen,
       das über Kilometer hinweg in der Bucht vor Kampala zu hören ist. Es stammt
       von riesigen Pumpen, die tonnenweise Sand durch einen Schlauch vom Seeboden
       schlürfen, wie gigantische Staubsauger. Sie wirbeln die Sedimente auf, das
       Wasser wird trüb und dunkel.
       
       Katongele steuert auf eine Plattform zu, die auf dem See treibt. Das
       Geräusch wird lauter. Er zeigt auf ein paar Baumkronen, die jenseits der
       Plattform noch mit einigen Blättern aus dem Wasser ragen. „Das war einmal
       alles Festland, doch hier wurde so viel Sand abgepumpt, dass alles unter
       ging“, schreit er und zeigt auf einen grünen Hügel, der aus dem Wasser
       ragt. Ein paar Kühe grasen darauf, daneben steht ein rundes Dutzend
       Lehmhütten mit Wellblechdach. Einst lebten hier Fischerfamilien. Doch auch
       die sind weggezogen, als das Knattern losging und der See keinen Fisch mehr
       hergab. „Seit rund einem Jahr ist das jetzt eine Insel.“ Seine Stimme wird
       übertönt, als sich das Boot der Plattform nährt.
       
       Knapp ein Dutzend junge kräftige Männer mit nackten Oberkörpern wuchten
       einen Schlauch in ein großes Boot, das tief und schwer im Wasser hängt.
       Sand, vermischt mit Wasser, quillt mit großem Druck aus dem Rohr, daneben
       knattert ein Dieselgenerator. Langsam füllt sich der Bauch des Bootes. Mit
       Schaufeln verteilen zwei Männer den Sand gleichmäßig im Bootsraum. Sie sind
       nass vom Wasser und Schweiß: Knochenarbeit. Die Ladung von rund zwölf
       Lastwagen pumpen sie täglich aus dem See hinauf, gibt einer der Arbeiter
       auf der Plattform Auskunft. Doch bei der nächsten Frage werden die Männer
       skeptisch, winken ab und signalisieren Katongele zu verschwinden.
       
       Denn was hier vor den ugandischen Ufern geschieht, ist absolut illegal,
       aber äußerst lukrativ. Sand gehört zu den Rohstoffen, die weltweit stark
       gefragt sind. Ob beim Bau von Häusern, Brücken, Staudämmen oder Straßen –
       überall wo Zement, Beton oder Asphalt verarbeitet wird, ist als
       Hauptbestandteil Sand drin. Auch bei der Produktion von Glas und Keramik
       wird Sand verwertet.
       
       ## Schuld ist die Urbanisierung
       
       Sand und Kiesel machen 85 Prozent der global geförderten Rohstoffe aus,
       weit mehr als Kupfer, Kobalt oder Coltan, so eine Studie der
       UN-Umweltagentur Unep aus dem Jahr 2014. Und mit zunehmender Urbanisierung
       und dem dazu notwendigen Bauboom – ob in Dubai, Shanghai, Singapur oder
       mittlerweile auch in Afrika – steigt die Nachfrage ins Unermessliche.
       
       Die Unep warnt: Die weltweiten Sandvorkommen werden knapp. Bislang wurde
       Sand vor allem aus Flussbetten abgetragen, auch in China. Doch die
       Ressourcen der Flüsse erschöpfen sich. Der Sand von den Meeresstränden ist
       mit Salz und Sodium versetzt, was aufwendig ausgewaschen werden muss, bevor
       er sich verarbeiten lässt. Die letzten und gut zugänglichen Sandvorkommen
       liegen in den großen Südwasserseen – vor allem im Victoriasee. Hier liegt
       der sandige Boden nicht sehr tief unter Wasser, hier gibt es zahlreiche
       Inseln und Landzungen: Abertausende Kilometer sandige Strände und sandige
       Sumpfgebiete.
       
       Manche dieser Sandablagerungen sind mehr als 60 Millionen Jahre alt – jetzt
       ein gefundenes Fressen für die weltweit agierende Sandmafia. Die ist
       mittlerweile auch in Uganda aktiv. Vor allem chinesische Investoren saugen
       in den Sumpfgebieten und auf dem offenem See Sand in gewaltigen Mengen ab.
       Der jüngste Bericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der
       der taz vorliegt, nennt unter anderem die chinesische Firma Mango Tree, die
       schätzungsweise 1.000 Kubikmeter pro Tag fördert und dabei 20 Meter tiefe
       Löcher in den Seeboden gräbt.
       
       Die Plattform auf dem See, die Bootsfahrer Katongele zeigt, gehört nicht zu
       Mango Tree, sondern einem ugandischen Investor. Sie ist eine kleine
       Variante der Methode, die die Chinesen benutzen. Auf dem großen See
       geschieht die Sandförderung nahezu unbeobachtet. An den Ufern aber sieht
       man sie schon von Weitem: gewaltige Berge aus schwerem, nassem Sand. Sobald
       er getrocknet ist, kommen Lastwagen und transportieren ihn ab: auf Ugandas
       Großbaustellen wie den Karuma-Staudamm am Nil, der von Chinesen gebaut
       wird, oder die Schnellstraße in Richtung Flughafen, die erst vor wenigen
       Wochen vom chinesischen KP-Parteivorsitzenden Wang Yang eröffnet wurde.
       
       ## Die Chinesen zerstören die Lebensgrundlage hier
       
       „Die Invasion der Chinesen zerstört unseren See und damit unsere
       Lebensgrundlage“, schimpft Matthias Bwanika, der Vorsitzender des
       Verwaltungsbezirks Wakiso, in dem die größten und längsten Uferabschnitte
       und Inseln liegen. Er ist sichtlich wütend. In Wakiso lebt die Mehrheit der
       Bevölkerung vom Fischfang; die Bauern, die in der Minderheit sind,
       bewässern ihre Felder mit Seewasser; ein Großteil des Bezirks ist reines
       Sumpfgebiet am Ufer, in dem der Echte Papyrus wächst, eine Graspflanze, die
       natürliche Kläranlage des Sees. Für die Bewohner von Wakiso ist der
       Victoriasee die wichtigste Lebensgrundlage. Und die ist jetzt in Gefahr,
       fürchtet Bwanika.
       
       Seit zwei Jahren führt er einen Krieg gegen die Sandmafia, wie er sagt,
       „wie bei David gegen Goliath“. Der kleine, untersetzte Mann sitzt in seinem
       zu großen Anzug hinter einem Schreibtisch in einem heruntergekommenen
       Verwaltungsgebäude. Er öffnet einen dicken Aktenordner mit der Aufschrift
       „Sandabbau“. Loses Papier quillt heraus. Bwanika verteilt die gesammelten
       Umweltberichte, Briefe an Ministerien und die Umweltbehörde (NEMA) quer auf
       seinem Schreibtisch. Er wühlt nach Fotos, die er bei seinen Inspektionen
       geknipst hat, und tippt mit dem Zeigefinger auf ein ausgedrucktes Bild:
       Statt wie eine grüne Landschaft mit blühender Flora und Fauna wirkt der
       abgebildete Lwera-Sumpf wie ein Industriegebiet: Bagger heben Gruben aus;
       ein Förderband ragt empor, auf dem Sand transportiert wird, der auf einen
       großen Haufen fällt; Lastwagen bringen den Sand weg und hinterlassen tiefe
       Spurrillen im Feuchtgebiet. „Das ist eine ökologische Katastrophe“, sagt
       Bwanika aufgebracht: „Fische legen hier ihre Eier im Sand, die werden alle
       mit abgetragen.“ Er warnt: „Unsere Fischereibetriebe sind in Gefahr!“
       
       Bwanika hat schon vor zwei Jahren die Regierung auf den illegalen Sandabbau
       am See aufmerksam gemacht. Doch die hat im Umgang damit ein Problem:
       Industrieller Sandabbau ist gesetzlich nicht reguliert. Sand wird im
       Minengesetz, in dem der Abbau von Gestein, Gold und anderen Rohstoffen im
       Boden geregelt ist, ausdrücklich nicht erwähnt, denn bislang gab es in
       Uganda genug Sand und immer nur kleine Abbaugebiete, in denen Männer mit
       Schaufeln und Schubkarren Sand aushoben, um damit ein Haus zu bauen. Sand
       galt als Allgemeingut, ähnlich wie Humus für den Ackerbau.
       
       Doch jetzt zählt Bwanika allein in seinem Bezirk knapp zehn Unternehmen,
       die mit großen Schaufelbaggern und Pumpen den Boden tonnenweise
       abtransportieren. Im Untersuchungsbericht des Parlaments von 2016 ist
       allein im Lwera-Sumpf von 24 Abbaugebieten die Rede: alle „illegal“.
       Daneben gebe es zahlreiche Unternehmen, auch ugandische, die Sand aus dem
       See pumpen und von den Inselstränden abtragen.
       
       ## Große Freunde, ganz oben in der Regierung
       
       Bwanika zeigt auf einen Brief der Umweltbehörde NEMA, die er 2017
       eingeschaltet hat. Darin heißt es: „Jegliche industrielle Aktivität in
       Sumpfgebieten, auf Seen und in Flüssen ist per Gesetz verboten, denn diese
       unterliegen dem besonderen staatlichen Schutz.“ Daraufhin war Bwanika mit
       dem Polizeichef seines Bezirks in den Sumpf eingerückt und hatte die
       Arbeiter verhaften lassen. Darunter waren Chinesen und Nigerianer, auch
       Mitarbeiter der chinesischen Firma Mango-Tree. „Wir haben sie ins Gefängnis
       gesperrt, doch noch vor Mitternacht waren sie wieder frei“, sagt er
       entrüstet. Seitdem würden die chinesischen Abbaugebiete von Soldaten der
       Armee bewacht. „Die Polizei kann da jetzt gar nichts mehr ausrichten“,
       flucht er. Wie kann das sein? Bwanika macht große Augen: „Ich sag nur
       eines: Die haben ganz große Freunde ganz oben in der Regierung“, nickt er
       und zeigt mit dem Finger gen Himmel, als würde er über Gott persönlich
       sprechen. Dann senkte er die Stimme und flüstert: „Mir wurde sogar gedroht
       für den Fall, dass ich die Sache nicht sein lasse.“
       
       „Ganz oben“, das ist General Caleb Akandwanaho, besser bekannt unter seinem
       Kriegsnamen Salim Saleh. Der jüngere Bruder von Präsident Museveni hat 1986
       für diesen das Land als militärischer Rebellenführer erobert. Er steht auf
       der UN-Sanktionsliste wegen des Krieges im benachbarten Ostkongo. Bis heute
       ist er Musevenis persönlicher Sicherheitsberater und Vorsitzender der
       „Operation Wohlstandsgenerierung“. Bei dieser Unternehmung wird die Armee
       eingesetzt, um die landwirtschaftliche Produktion zu steigern. Salim Salehs
       Vize, Charles Angina, ist in der Broschüre von Mango Tree auf Fotos
       abgelichtet, dicht neben dem chinesischen Mango-Tree-Manager Chun. Dieser
       erwähnt Saleh im Gespräch als jemand, „der unsere Unternehmungen versteht“.
       
       Saleh hat sich zu Beginn des Jahres in der Tageszeitung Observer für den
       Sandabbau ausgesprochen. Er nannte den Bau der über tausend Kilometer
       langen Eisenbahnstrecke vom tansanischen Hafen Daressalam nach Uganda als
       Beispiel für den hohen Bedarf. Saleh veranschlagte dafür 12 Millionen
       Tonnen. Er kritisiert die Umweltbehörde NEMA dafür, dass sie den Sandabbau
       im See nicht erlaube: „Wo soll der Sand denn sonst herkommen?“, fragte er
       und nannte auch eine weitere Firma, die 2.000 Tonnen Sand benötige: Die
       chinesische Goodwill Ceramic Company, die in einem Industriepark in Uganda
       Keramikfliesen für Bäder und Küchen herstellt. Dieser Industriepark,
       Namunkekera genannt, liegt 70 Kilometer nordwestlich von Kampala und gehört
       – welch Zufall – dem General.
       
       Noch bevor sich Manager Fan Shu Chun an den Tisch in einem
       Schnellrestaurant in Ugandas Hauptstadt Kampala gesetzt und seinen
       Ingwertee bestellt hat, lässt er über seine chinesische Übersetzerin
       klarstellen: „Mango Tree ist nicht involviert in den Sandabbau.“ Als Beweis
       zeigt er Fotos in einer Firmenbroschüre: ein 70 Meter langes Schiff aus
       rostfreiem Stahl mit einem gewaltigen Bauch, das am Ufer des Victoriasees
       zusammengeschweißt wird. Ein Gigant im Vergleich zu den anderen Fähren und
       Transportbooten, die auf dem See bislang kreuzen. Rohre und Schläuche mit
       aufgesetzten Schneideköpfen ragen aus dem Rumpf hervor, ein riesiges
       Förderband hängt über dem Bug wie eine Galionsfigur. Der Schneidekopf sei
       der Beweis dafür , dass es kein Sauger, sondern ein Bagger sei: „Wir
       baggern damit den Seeboden aus, um ihn für die Schifffahrt passierbar zu
       machen“, lässt er die Übersetzerin erklären: „Wir bauen Wasserkanäle“.
       
       ## „Wir baggern nur“
       
       Es ist ungewöhnlich, dass sich ein chinesischer Firmenvertreter, der kein
       Wort Englisch spricht, auf ein Interview einlässt, vor allem in Uganda. Die
       Chinesen gelten hier als medienscheu. Fan Shu Chun verstand am Telefon zwar
       nichts, hatte aber sofort Zeit, nannte nur eine Adresse. Eine Stunde nach
       dem Telefonanruf sitzt er im verschwitzten T-Shirt vor seinem Ingwertee und
       redet und redet. Die Übersetzerin kommt kaum hinterher. Der private
       Schiffbaukonzern sei spezialisiert auf Öl- und Containertransporte in
       schwierigen Regionen, die Geschäfte in den Bürgerkriegsländern Südsudan und
       DR Kongo laufen ganz gut – kein Vergleich mit den Problemen, die er derzeit
       in Uganda habe. Dabei habe alles so gut begonnen, seufzt er und erzählt
       eine Geschichte, die sich im Zuge der weiteren Recherche als Lüge entpuppt.
       
       In Kampala werde gerade mit Krediten von deutschen Banken und
       Hermes-Bürgschaften ein neuer Industriehafen gebaut. Doch der See sei nicht
       tief genug, um große Frachtschiffe anlanden zu lassen. Da sei nun Mango
       Tree von den Deutschen angeheuert worden, um das Hafenbecken auszuheben
       und die Schifffahrtskanäle bis an den Hafen Mwanza in Tansania
       freizubaggern.
       
       „Die Ugander verstehen das nicht, die denken, wir pumpen Sand ab, dabei
       baggern wir nur“, entrüstet er sich. Auf die Frage, ob er eine Lizenz habe,
       winkt er etwas verlegen ab: Er habe eine Schiffbaulizenz und er habe sich
       um eine Baggerlizenz beworben: „Aber die wurde uns verweigert – wir
       warten“, sagt er. Jeder Tag, an dem das Schiff am Ufer liege, sei ein
       Verlustgeschäft. Auf die Frage, warum die Polizei 2016 auf die Initiative
       von Bezirksvorsteher Bwanika ein Verfahren wegen illegalen Sandabbaus
       eingeleitet und NEMA ihn im Februar in einem Brief ausdrücklich gemahnt
       hatte, „jeglichen Sandabbau im Victoriasee unverzüglich einzustellen“, wird
       er verlegen. Die Übersetzerin stottert nur kurze Sätze. Sie erklären nicht,
       warum die Firma 20 Millionen Dollar in ein Schiff investiert und 16 Hektar
       Land für eine Werft am Ufer des Victoriasees gekauft hat, ohne eine Lizenz
       für die Baggerarbeiten zu haben.
       
       Letztlich beschuldigt er die Umweltbehörde der Rufschädigung. „Dabei holen
       wir neben Sand und Geröll doch auch den Abfall wie alte Plastiktüten aus
       dem See“, rühmt er sich: „Die wollen sicher nur Geld – wir kennen die
       Ugander“, sagt er und meint damit die Bestechungsmentalität.
       
       ## Industrieller Sandabbau ist kontraproduktiv
       
       „Diese Chinesen lügen wie gedruckt“, seufzt Jerome Lugumira und knallt
       einen 300 Seiten dicken Bericht auf seinen völlig überfüllten Schreibtisch:
       der Beweis, dass Mango Tree tatsächlich im Sandgeschäft tätig ist. Der für
       Böden und Rohstoffe zuständige Abteilungsleiter in der Umweltbehörde NEMA
       ist Ugandas führender Sandwissenschaftler. Er war 2016 von seinem
       Professorenstuhl an einer amerikanischen Universität zurückgerufen worden,
       als die Regierung die ersten Beschwerden von Bezirksvorsteher Bwanika
       erreichten. Seitdem versucht Lugumira, jedem ausgebaggerten Sandkorn
       nachzugehen: „Solange ich hier sitze und meinen Job mache, schwöre ich,
       wird niemand ungestraft unseren Sand abtransportierten“, sagt er und
       schlägt den dicken Bericht auf. „Antrag auf eine
       Umweltverträglichkeitsuntersuchung für das geplante Sandabbauprojekt der
       Mango-Tree-Gruppe“, steht auf dem Deckblatt; eingereicht am 30. August
       2016. Darunter hatte Lugumira später mit rotem Kugelschreiber gekritzelt:
       „abgelehnt“.
       
       Fünf Tage hatte der Sandforscher zur Inspektion auf dem großen Boot mit
       dem Namen „Mango Tree“ verbracht. Er zeigt Fotos: Tausende Kubikmeter
       purer, feiner Sand im Rumpf des gigantischen Schiffes. Für Lugumira der
       Beweis, dass die Chinesen keine Wasserstraßen freibaggern: „Wenn sie
       tatsächlich baggern würden, würden sie Geröll, Gestein und tatsächlich Müll
       ausheben“, sagt er: „Doch das ist reiner Sand.“ Er zeigt weitere Fotos: das
       Förderband, das den Sand aus dem Rumpf des Schiffs ans Seeufer
       transportiert; Sandberge am Festland, die mit Schaufelbaggern abgetragen
       werden; überladene Lastwagen, die Sand abtransportieren. „Die Beweise sind
       klar“, so Lugumira: „Die Chinesen pumpen Sand aus dem See. Und das ist
       illegal.“
       
       Bis heute kreuzt das Schiff im See umher und pumpt Sand ab. Bootsman
       Katongele sieht es regelmäßig rund um die vielen Inseln umherschiffen, weit
       weg vom Festland. Jüngst wurde es sogar nahe dem internationalen Flughafen
       und dem Präsidentenpalast in der Stadt Entebbe gesichtet und von den
       Leibwächtern des Präsidenten beschossen. Industrieller Sandabbau im See sei
       „kontraproduktiv“ und untergrabe die Anstrengung der Regierung, die
       Fischbestände vor dem Aussterben zu bewahren, so Lugumira.
       
       Vor einem Jahr hatte die Regierung alle Fischereilizenzen suspendiert, die
       Marine verhaftet seitdem Fischer, die illegal Netze auswerfen. Das Ziel:
       Die Fischbestände sollten sich erholen. Doch wenn jetzt der Sandabbau
       vorangeht, „dann gehen die Fischbestände noch weiter zurück, weil die Eier
       im Sand abgetötet werden“, so Lugumira.
       
       Zu Beginn des Jahres hatte NEMA mithilfe der Polizei Patrouillen auf dem
       See unternommen, um den Sandabbau zu stoppen und die Arbeiter zu verhaften.
       „Doch vergeblich“, berichtet Lugumira. Mit eigenen Augen habe er gesehen,
       wie schwer bewaffnete Soldaten die Sandhaufen und das Schiff von Mango Tree
       begleiten. Gegen sie kann die Polizei nichts ausrichten. Auch er spricht,
       wie Bezirksvorsitzende Bwanika von hohen Generälen, die „die Sandmafia
       schützen“.
       
       6 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
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