# taz.de -- Zwischennutzung in Berlin-Kreuzberg: Wenn sich Investoren anrobben > Bevor er dort neu baut, lässt ein Investor das ehemalige Gelände von > Robben & Wientjes als Kunstraum nutzen. Doch die Zwischennutzung stößt > auf Kritik. (IMG) Bild: Party, sponsored by Investor: Hier tanzt die UdK Das schönste Detail ist eine verblichene Doppelseite aus dem Berliner Kurier, die an einer Eisentür hängt. Unter dem Schriftzug „Danke, ihr Helden!“ ist die Fußballnationalmannschaft zur WM 2014 zu sehen, und man ist sich nicht sicher, wer diese Devotionalie nun aufgehängt hat: die MechanikerInnen, die hier bis vor einigen Wochen noch Autos reparierten – oder ist das Poster am Ende Teil einer Kunstinstallation? Zwischen Werken von KünstlerInnen aus Zagreb und Caracas weist der Erinnerungsfetzen darauf hin, dass in der Ausstellungshalle mit ihrem blau glänzenden Boden bis vor Kurzem der Mietwagenverleih Robben & Wientjes residierte. Bis hier, auf einem Gewerbehof an der Kreuzberger Prinzenstraße, ein Neubauprojekt entsteht, dürfen Kulturschaffende die ehemaligen Hallen von Robben & Wientjes bespielen. Gerade stellen die diesjährigen Nominierten des „Berlin Art Prize“ und der Potsdamer Maler Jonas Liesaus aus. Für manche ist das „The Shelf“ betitelte Zwischennutzungsprojekt ein Off-Kultur-Juwel: viel roher Industriecharme, viel Raum, um Kunst wirken zu lassen. Für andere ist das Projekt in Nachbarschaft zur Otto-Suhr-Siedlung, laut Sozialatlas Berlins ärmster Kiez, vor allem: ein großer Etikettenschwindel. 2017 hatten Dietmar Robben und Ulrich Wientjes, die Gründer des Berliner Autoverleihs, ihr Unternehmen an den Konkurrenten Buchbinder verkauft. Dieser wollte den Kreuzberger Standort nicht übernehmen. In Folge kaufte die Grundstücke an der Prinzen- und Ritterstraße Anfang des Jahres die Pandion AG, ein Immobilienunternehmen aus Köln. Im August haben die Bauarbeiten auf dem Gelände Prinzenstraße 89/90 begonnen, kurz zuvor hatte Pandion seine Pläne vorgestellt: Auf dem Areal sollen Gewerbehöfe entstehen. Herzstück des Projekts ist ein fünfgeschossiges Bauwerk, dessen an ein Regal erinnernde Anmutung dem Kunstraum „The Shelf“ (engl. für Regal) seinen Namen gab. Derzeit läuft das Baugenehmigungsverfahren, im Dezember 2020 soll der erste Neubau fertig sein. Auf dem gegenüberliegenden Grundstück werden die Bauarbeiten im November 2018 beginnen.150 Millionen Euro investiert Pandion in beide Grundstücke. Es ist nicht das erste Mal, dass Pandion seine Räume zur Zwischennutzung zur Verfügung stellt: An der Nürnberger Straße in Charlottenburg ließ das Unternehmen im letzten Jahr 165 KünstlerInnen einen Bürokomplex zum Street-Art-Museum umgestalten. Das Projekt „The Haus“ bestand 56 Tage und zog Tausende Besucher an, nun entstehen dort Luxuswohnungen. Immer wieder betont Pandion, wie wichtig ihnen Kunst ist. Doch nicht alle sind froh über diese Affinität: Die AktivistInnen des Kollektivs „Kunstblock and beyond“, eines Zusammenschlusses von KünstlerInnen und Kulturschaffenden, die sich „für eine gerechte Raumpolitik in Berlin“ einsetzen wollen, kritisieren das Unternehmen. „Solche Zwischennutzungen sind Teil kapitalistischer Verwertungslogik“, sagt Kim Sonntag, Sprecherin des Kollektivs. Pandion sei nicht die einzige Immobilienfirma, die auf die Strahlkraft temporärer Kunsträume setze. „Es ist klar eine Marketingstrategie, um sich als Kunst- und Popkulturförderer zu präsentieren“, sagt Sonntag. „Nach ein paar Monaten Zwischennutzung hat die Firma schließlich ein Image, KünstlerInnen und Kulturschaffende hingegen haben weiterhin Raumnot.“ Bei einer Ausstellung von Studierenden der Kunsthochschule Weißensee startete die Initiative eine Intervention: Mit einer Videoinstallation und Plakaten protestierten sie gegen das Unternehmen. „Unser Ziel ist es, sichtbar zu machen und darüber zu informieren, wie Pandion und andere, die ähnliche Ziele verfolgen, arbeiten – große Immobilienunternehmen, die für ihren Profit Segregation und Gentrifizierung betreiben“, sagt Sonntag. „Viele Besucher von Projekten wie The Shelf wissen leider gar nichts davon.“ Konkret fordern die AktivistInnen von Pandion, einen Teil ihres Areals an den Bezirk zurückzugeben – und zwar stolze 51 Prozent. Ganz ernst gemeint ist das zwar nicht: „Als KünstlerInnenkollektiv nehmen wir uns die Freiheit raus, im großen Stile Forderungen zu stellen“, sagt Sonntag. Dennoch fordere „Kunstblock and beyond“ einen Kurswechsel in der Wohnungs- und Raumpolitik, weg von Spekulationen und Verdrängung. Bei Pandion stößt die Kritik der AktivistInnen auf Unverständnis. „Wir verstehen die Forderungen bei diesem konkreten Grundstück überhaupt nicht“, sagt Mathias Groß, Leiter der Berliner Niederlassung von Pandion. „Die Flächen, auf denen The Shelf entsteht, waren nie im Eigentum des Landes Berlin und werden seit 120 Jahren von privaten Unternehmen gewerblich genutzt.“ Den Vorwurf, nicht im Austausch mit der Nachbarschaft im Kreuzberger Kiez zu stehen, weist das Unternehmen von sich. Vor Baubeginn habe man einen Architekturwettbewerb ausgelobt, in dessen Jury neben FachjurorInnen auch VertreterInnen des Stadtplanungsamts des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg saßen. Außerdem nehme man an Gesprächen im Kiez teil. „Von den 18.000 Quadratmetern, die uns im Objekt zur Nutzung zur Verfügung stehen, wollen wir außerdem 680 Quadratmeter preisreduziert für kulturelle und kleingewerbliche Nutzung zur Verfügung stellen“, kündigt Groß an. Preisreduziert bedeutet: Pandion will auf 50 Prozent der Miete verzichten. Bei freier Vermietung läge die Miete für das Objekt bei 20 bis 25 Euro pro Quadratmeter, reduziert bei 10 bis 12,50 Euro. Zum Vergleich: 2017 lag die durchschnittliche Gewerbemiete in Berlin bei etwa 15 Euro plus Nebenkosten. Streng genommen, sagt Groß, haben die Aktivisten eine rechtliche Grenze überschritten: Für ihre Aktionen haben sie Bildmaterial von Pandion und das Corporate Design von The Shelf genutzt, für das sich die PR-Agentur GLUT verantwortlich zeichnet. Eine Urheberrechtsverletzung. „Aber diese Diskussion wollen wir nicht führen, weil wir das als Kunstfreiheit sehen“, sagt Groß. Kritik greift das Unternehmen auf seinen Social-Media-Kanälen gern wohlwollend auf: Ein Protestbanner, das die Berliner Graffitigruppe Toy Crew einst an der Fassade von The Haus entrollte, bezeichnete man auf der Facebook-Seite des Projekts als „größten Liebesbrief an The Haus“. Eine Strategie, die so ambivalent ist wie das Konzept Zwischennutzung selbst: Wohlwollende können Pandion bescheinigen, die Besonderheiten Berlins – im Rahmen ihres geschäftlichen Interesses – stärker würdigen zu wollen als andere Firmen. Weniger Wohlwollende sehen solche Zugeständnisse als Masche, um sogar kreativen Protest zu vereinnahmen. Florian Schmidt, grüner Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, äußert sich auf Anfrage der taz diplomatisch zum Konzept der Zwischennutzung. „Kunst braucht bezahlbare Räume. Allerdings kann eine Zwischennutzung die Kunst auch in die Lage bringen, als Marketingbaustein gebraucht zu werden“, so Schmidt. Was das Bauprojekt dem strukturschwachen Kiez um den Moritzplatz bringen wird, ist unklar. Fest steht: In wenigen Wochen wird in The Shelf die AbsolventInnenausstellung der Ostkreuzschule für Fotografie zu sehen sein. Danach werden die Robben-und-Wientjes-Hallen abgerissen. 9 Sep 2018 ## AUTOREN (DIR) Julia Lorenz ## TAGS (DIR) Kunst Berlin (DIR) Kunststandort Berlin (DIR) Zwischennutzung (DIR) Berlin-Kreuzberg (DIR) Kommerz (DIR) Gentrifizierung (DIR) Kunst Berlin (DIR) Humboldt Forum (DIR) Gentrifizierung (DIR) Stadtentwicklung ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Ateliernot in Berlin: Kunst im Verdrängungsprozess Im Atelierhaus in der Treptower Mörikestraße fürchten die Künstler Verdrängung: Der Besitzer will das Haus neu gestalten. (DIR) Kulturbotschaft Lichtenberg: Eine Werkstatt für die Kunst Das Refugium für ehemalige Künstler aus dem Tacheles darf am Freitag zur 11. Langen Nacht der Bilder öffnen – für nur einen Tag. 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