# taz.de -- Kleinparteien bei der Wahl in Hessen: Die Hoffnung stirbt um sechs
       
       > Promille-Parteien haben es schwer im Wahlkampf. Und doch geben sie nicht
       > auf. Zu Besuch bei violetten und radikalchristlichen Polit-Träumern.
       
 (IMG) Bild: Glaubensfrage: Hotspot des Wahlkampfes der Violetten in Hessen
       
       „Die Violetten“ sind nicht mehr spirituell. Auch in der Kleinstpartei,
       bekannt für „ganzheitliche Politik“, fantasievolle Wahlwerbespots und
       Schamanismus, toben die Flügelkämpfe. „Da krachen dann schon mal die
       Energien aufeinander“, berichtet Jochem Kalmbacher, ihr Spitzenkandidat für
       die hessische Landtagswahl. Es stehen: Fundis gegen Realos, ganz wie bei
       den Grünen früher.
       
       Zusammenstöße oder zumindest Transformationen des inneren Kindes
       durchziehen auch Kalmbachers eigene Biografie. In den Achtzigern war er für
       ein paar Jahre Mitglied der Jungen Liberalen in Maintal. Der Eintritt in
       die „Violetten“: ein Kulturschock. „Auf ein paar neue Regeln musste ich
       dann schon drängen – zum Beispiel, sich an Tische zu setzen und nicht mehr
       in einen Stuhlkreis.“
       
       Kalmbacher betreibt einen ambulanten Pflegedienst mit 26 Mitarbeitern,
       fährt einen Mercedes-Geländewagen und besitzt Ringerstatur. Mit seinen
       riesigen Händen könnte er einem jederzeit die Hüfte brechen, so sanft, man
       bekäme es nicht einmal mit. Daneben ist er, der Realpolitiker, allerdings
       noch Reikimeister und Huna-Schamane, bietet für 80 Euro pro Stunde
       „Jenseitskontakte“ über „keltische Karten“ an, verwendet „Baummagie“ und
       „Quantenheilung“ und trat sogar schon bei Astro TV auf. Für die
       Wahlkampfkasse der „Violetten“ in Hessen hat er „Energiebilder“ gemalt.
       Eines davon sei immerhin verkauft worden, für 110 Euro.
       
       Sonst aber fährt er einen säkularen Kurs. Den Namenszusatz „für spirituelle
       Politik“ hat der Landesverband gestrichen. „Damit haben wir jahrzehntelang
       immer nur 0,1 Prozent geholt. Was soll das überhaupt heißen? Jeder Mensch
       ist spirituell, das braucht man nicht noch als Politik. Wir wurden
       regelmäßig am Wahlkampfstand dafür ausgelacht.“ Stattdessen hätten die
       „Violetten“ jetzt das Thema „Pflege“ „voll nach vorne geknallt“. Kalmbacher
       raucht weiter.
       
       ## High Noon in der Fußgängerzone
       
       Kugelschreiber in Spritzenform gibt es am Wahlkampfstand, Samstagvormittag
       in Mühlheim. High Noon in einer sonst wohl noch leereren Fußgängerzone.
       Rechtschreibfehler zieren die Schaufenster. Mangels Passanten dürfen auch
       Autos im Schritttempo durch. Kalmbacher in Hochform: Während Schatzmeister
       Dieter Knaus Flyer verklammert und zwei Frauen, von denen die eine
       „Betty-Baby“ genannt wird, miteinander tratschen, geht er auf die Menschen
       zu. Das kann er, das mag er.
       
       Mühlheim und Offenbach seien die „Hotspots“ ihres Wahlkampfes, meint Knaus.
       Dort haben sie ihre beiden Direktkandidaten: in Offenbach-Stadt Kalmbacher
       selbst, in Mühlheim die ansässige Hausärztin Beatrice Goldenthal. „Ach, die
       Frau Goldenthal, die kenne mer doch“, freut sich eine ältere Frau –
       leichtes Spiel für Kalmbacher. Sobald er „Pflege“ sagt, hat er ohnehin bei
       den meisten gewonnen. Bessere und kostenlose Ausbildungen, mehr Zeit für
       die Patienten, 25 Prozent Lohnerhöhung für Pfleger: Das kommt an in der
       Seniorenrepublik.
       
       Dann aber kommt manchmal der andere Kalmbacher durch, der weniger softe –
       der, der seine liberalen Wurzeln nie ganz abgeworfen hat. Der, der sich
       über den angeblich massenhaften „Betrug“ durch Hartz-IV-Empfänger
       echauffiert und als Quelle die Sendung „Armes Deutschland“ auf RTL nennt.
       Der, der auf die Pharmaindustrie schimpft, aber findet: „Man sollte lieber
       mit den Unternehmen in Kontakt treten, als immer gleich Gesetze zu
       beschließen.“ Und: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“
       
       Der Big Daddy der hessischen „Violetten“ finanziert deren Wahlkampf zum
       Großteil aus eigener Tasche. Ohne ihn stünden sie wohl gar nicht zur Wahl.
       „Mir geht es nicht um Karriere“, beteuert Jochem Kalmbacher. Worum dann?
       Den Bundesvorsitz der „Violetten“, den er zwischenzeitlich innehatte, gab
       er aus Zeitmangel ab. Bei der Europawahl aber ist er wieder ganz vorne
       dabei.
       
       Was sie antreibe? Da muss Andrea Rehwald nicht lange überlegen: „Ich bin
       Mutter von sechs Kindern.“ Rehwald, Anfang 50, schwarze Locken, ist
       Spitzenkandidatin der Partei „Bündnis C – Christen für Deutschland“.
       Rehwald und ihre Mitstreiter verstehen die (ins Deutsche übersetzte) Bibel
       buchstäblich als Wort Gottes. Sie hören seine Stimme und reden mit ihm.
       „Vor 25 Jahren hatte ich ein Erlebnis, das war Prophetie. Da wurde mir
       gesagt: Du wirst einmal eine Führungsposition übernehmen“, berichtet
       Rehwalds Stellvertreter Edgar Winand. Und Frank Hussmann aus dem Wahlkreis
       Bensheim erzählt, „Er“ habe nach der Gründungsveranstaltung der lokalen,
       damals noch Lucke-nahen AfD auf dem Parkplatz zu ihm gesprochen und ihn
       gehindert, deren Autoaufkleber auf sein Auto zu kleben und sich darin
       weiter zu engagieren.
       
       Hussmann war noch früher einmal FDP-Mitglied, wäre sogar fast in den
       Kreistag gekommen – eine Woche vor der Wahl sei die Partei aufgrund der
       Fukushima-Katastrophe jedoch von 12 auf 4 Prozent abgestürzt. Mehr als nur
       Zufall? Nun sitzt der 2,10-Meter-Mann in einem Büroraum seiner
       Vermögensverwaltung in Bensheim und zeigt Bilder der „Wesselmänner“ von
       „Bündnis C“, also der extragroßen Plakataufsteller. Er kriegt sich gar
       nicht mehr ein, wiederholt ständig: „Wesselmänner“, „Wesselmänner“,
       „Wesselmänner“. In 6 Tagen schuf Gott die Welt. In 5 Jahren kann er Hessen
       verändern, steht darauf. „Ist doch toll, nicht? Mal was anderes. Nicht
       immer dieses übliche Blabla: Zukunft gestalten, und so weiter.“
       
       ## Wahlomat und Facebook
       
       Dann stehen die drei auf der Terrasse und beten. Sie haben auch irdische
       Unterstützung, zwei junge Männer mit Stativ, Licht und Kamera. Nacheinander
       geben sie Video-Statements „für Facebook“. „In den Medien kommen wir ja
       sonst kaum vor“, klagt Rehwald. „Nur der Wahlomat ist noch ein gutes
       Werbemittel für uns“, fügt Hussmann hinzu. Das „C in der Politik ist viel
       zu kurz gekommen“, erklärt er dann cyberviral. Die Aufrufzahlen rangieren
       im mittleren zweistelligen Bereich.
       
       „Christliche Werte“, schimpft ein älterer Herr am Stammtisch ein paar Tage
       später, die gebe es ja bei der CDU längst nicht mehr. Vor Kurzem sei er
       ausgetreten. Warum? „Homoehe“, grummelt er. Die ist, neben der Abtreibung,
       das zentrale Feindbild von „Bündnis C“.
       
       Bundesvorsitzende Karin Heepen ist eine der ganz harten.
       „Gender-Ideologie“, schreit sie bei der AfD-nahen „Demo für alle“, deren
       Anhänger Kindern verbieten wollen, in der Schule über Liebe und Sex zu
       lernen, was nicht heteronormativ ist. Der Einfluss, den „Bündnis C“ ausübt,
       wirkt auch, ohne dass es in Parlamenten vertreten ist. „Es wäre schon ein
       großer Erfolg, wenn etablierte Parteien Forderungen von uns übernehmen und
       sich auf die Fahnen schreiben“, gibt Rehwald zu.
       
       Sie erzählt begeistert, wie sie im Wahlkampf aus Versehen bei einem
       lesbischen Ehepaar geklingelt habe. Eine der Frauen habe sich befruchten
       lassen, das Kind könne, wenn es wolle, ab dem 18. Geburtstag Kontakt zum
       biologischen Vater aufnehmen. Was daran jetzt genau schlecht sei? „Gehen
       Sie mal zu ‚Gegen Gender‘“, empfiehlt der ältere Herr, wobei er „Gender“
       mit hartem G spricht, wie in „Gonorrhoe“ oder „Gott“.
       
       Ob Umverteilung nicht doch etwas christlicher wäre? Überlegt Rehwald: „Auf
       jeden Fall nicht zu sehr. Das hatten wir ja schon mal, mit dem Sozialismus,
       das hat ja nicht so gut geklappt. Aber wenn der funktioniert, dann habe ich
       auch damit kein Problem.“ Nanu? Und andere Religionen? „Glauben kann ja
       jeder, was er will – auch an das fliegende Spaghettimonster. Wir wollen
       nicht missionieren. Staat und Kirche sind in Deutschland aus gutem Grund
       getrennt.“ Aber was bleibt dann? Wofür braucht man „Bündnis C“, wenn am
       Ende eh wieder alle machen dürfen sollen, was sie wollen?
       
       Die „Berufspolitiker“ hätten den Kontakt zum „einfachen Bürger“ verloren,
       meint Rehwald. Sie hingegen, sie seien „ganz normale Leute“. Da ist sie
       erstaunlich nah bei Kalmbacher. Auch er wirbt damit: Die „Violetten“ kämen
       direkt „aus der Pflege“; wüssten, wovon sie reden. Rehwald ist erstaunlich
       gut über ihn informiert, sieht Übereinstimmungen: im Sozialen, in der
       Familienförderung. Und erzählt am Rande, eine engere Zusammenarbeit mit
       „anderen Kleinen“ zu erwägen. Auch Kalmbacher begrüßt das.
       
       Die „Sonstigen“, sie liegen laut aktueller Umfrage zusammen bei 2 Prozent.
       Glaube versetzt Berge.
       
       26 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adrian Schulz
       
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