# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Angst einjagen
       
       > In Berlin darf jetzt wieder gejagt werden. Zum Beispiel Rehe. Über die
       > Jagd aus Sicht von Ernährung und – tatsächlich! – Lustgewinn.
       
 (IMG) Bild: Rehe – hier ohne Jäger oder Jägerin. Ach, wie schön!
       
       Jetzt darf in Berlin wieder gejagt werden – auf junge Rehe und Reh-Mütter.
       Ganzjährig werden Wildschweine, Waschbären, Füchse und Kaninchen gejagt. In
       der letzten Saison erwischten die Berliner Jäger 338 Rehe, 2.339
       Wildschweine, 18 Waschbären, 81 Füchse und 862 Kaninchen. Deutschlandweit
       wurden 2017 rund 134.000 Waschbären und 435.000 Füchse getötet.
       
       Rechtzeitig zur Jagdsaison erschien „Die Jagd – Licence for Sex and Crime“
       des Ethno-Psychoanalytikers Paul Parin mit Nachworten von einer Zoologin,
       einer Historikerin, einem Bibliothekar und einem Ethnologen. Das Buch war
       bereits 2003 mit einem Nachwort von Christa Wolf erschienen, aber völlig
       verstümmelt worden, „in einer eigenartigen Mischung aus Respektlosigkeit,
       Prüderie und sachlicher Unkenntnis“ – so dass eine Neuherausgabe notwendig
       wurde.
       
       Der Autor war Jude und Sozialist: Beide jagen meistens nicht, aber Parin
       war eine „Ausnahme“. Zudem gehörte er zu den Tiermördern, die bei einem
       gelungenen Schuss einen Orgasmus bekamen, auch beim Reiten gelegentlich,
       ebenso beim Ausgepeitscht werden und beim Auspeitschen. „Das Jagdfieber
       gewährleistet hemmungslosen sexuellen Genuss und die Lust am Verbrechen,“
       schreibt er, denn natürlich ist das alles extrem unmoralisch, außerdem jagt
       man heute nicht mehr, um sich zu ernähren, sondern um mit Lust zu morden.
       „Jagd ohne Mord wäre ein Oxymoron.“
       
       Schon für seinen Vater, ein Gutsbesitzer in Slowenien, galt: Seine
       „Jagdleidenschaft hatte die Grenze verwischt, die Anstand und Moral von
       Vergehen und Verbrechen scheidet“. Nach dem ersten erlegten Rehbock bekam
       die jugendliche „Gier“ seines Sohnes „ein Ziel: der Mord an einer Kreatur“.
       
       ## Verharmlosende „Waidmannssprache“
       
       Die heutigen Jäger benutzen eine verharmlosende „Waidmannssprache“, um dies
       zu kaschieren, einige entblöden sich nicht, sich als „Ökologen“ und
       „Naturschützer“ zu bezeichnen. Parin meint, dass „solche unbeholfenen
       Versuche, die Jagd vom Geruch der Sucht und Grausamkeit freizusprechen, gar
       nicht mehr nötig sind“, denn „es könnte sein, dass die brutale Umgestaltung
       der Welt nicht mehr rückgängig zu machen ist“.
       
       Zwar wird gelegentlich behauptet, dass Jäger aggressiver und sadistischer
       als nicht jagende Menschen sind, aber, wie es in einem der Nachworte heißt,
       „neuropsychologische Forschungen legen nahe, dass vor allem Männer Gewalt
       um der Gewalt willen ausüben und daran Spaß haben.“
       
       Die Jagd hat natürlich mit Macht zu tun, mit der Herrschaft des Menschen
       über die Natur. Aber mit der Forderung nach mehr Frauen in den
       Führungsetagen legen nun auch immer mehr Frauen die Jagdprüfung ab – und
       auf jagbares Wild an.
       
       Die Schriftstellerin Dörte Hansen erwähnt in ihrem norddeutschen Dorfroman
       „Mittagsstunde“ (2018) einen Jagdverein, in dem die Frauen bereits die
       Mehrheit stellen. Mit der Folge, dass das Wild von ihnen nicht mehr gejagt,
       sondern gehegt und gepflegt (gekuschelt) wird.
       
       ## Eine Art „Urvertrauen“
       
       Dies mag ein bloßer Autorenwitz sein, für den Münchner Ökologen Josef
       Reichholf steht jedoch fest, dass die Angst der Tiere vor den Menschen eine
       Folge der Jagd ist und dass sich bei einem umfassenden Jagdverbot wieder
       eine Art „Urvertrauen“ bei ihnen einstellt, wie es die Tiere in vielen
       Gegenden der Welt an den Tag legten – bevor die Weißen kamen und alle
       zutraulichen töteten.
       
       Parin hat solche „Tierparadiese“ noch erlebt – in der Sahelzone, dort
       hielten sich Gazellen und Trappen zwischen den Rinderherden der
       Einheimischen auf, die keine Gewehre besaßen. Reichholf erlebte im Golf von
       Kalifornien, wo Wale nicht mehr gejagt werden dürfen, dass ein Walweibchen
       an sein „Whale-Watcher-Boot“ kam und sich von ihm die lästigen Seepocken
       abpflücken ließ. Die Erfahrung, dass mit dem Jagdverbot die Fluchtdistanz
       von Wildtieren geringer wird, macht man in fast allen Nationalparks.
       
       In Berlin darf man bei Strafe keine Wildtiere füttern – und sollte das auch
       nicht, denn sobald sie etwas weniger scheu werden, erschießt man sie. Aber
       ist das nicht ihre einzige Überlebensmöglichkeit – dass wir halbwegs
       friedlich mit ihnen zusammenleben? Die in die Städte eingewanderten Tiere
       bemühen sich doch bereits darum.
       
       25 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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