# taz.de -- Geschichten von Kunst und Marktwert: Kapital und Hofkunst
       
       > Wolfgang Ruppert demontiert den Mythos Kreativität und dessen Bedeutung
       > für den Kunstmarkt. Und kommt doch nicht so recht aus dem Narrativ
       > heraus.
       
 (IMG) Bild: Elfriede Jelinek (l. v.) und Valie Export (r. v.) bei einer Ausstellung von Export in Wien 1997
       
       Der Kunstmarkt ist noch immer einer der Millionenrekorde. Gekauft wird, wen
       die Aura des genialen kreativen Freigeistes umgibt. Ein Mythos, dessen
       Entwicklung nun ein Buch zur neueren Kunstgeschichte nachzeichnet.
       
       Der seit 1988 als Professor für Kultur- und Politikgeschichte an der
       Universität der Künste Berlin lehrende Wolfgang Ruppert arbeitet sich darin
       nicht wie üblich durch ihre dominanten Stile, sondern zeichnet die
       Evolution des Berufsbildes Kunstschaffender seit der Formierung einer
       bürgerlichen symbolischen Ordnung im 18. Jahrhundert nach. Jenes vom
       „Hofkünstler“ und „Handwerker“ hinter sich lassend, brachte die Moderne das
       Narrativ des freien kreativen Subjekts hervor, das sich erstmals in Caspar
       David Friedrichs ikonischem Gemälde „Mönch am Meer“ von 1808 zeigte.
       
       Auf der einen Seite also: das schöpferische Künstlersubjekt. Auf der
       anderen: eine an Kunst interessierte Öffentlichkeit. Gespeist aus deren
       normativer Wertsetzung bildete sich, so zeigt Ruppert auf, die Praxis Kunst
       heraus, wie wir sie heute kennen, und – hier spricht der Autor mit dem
       Begriff des Soziologen Pierre Bourdieu – der Habitus der KünstlerInnen,
       ihre Verhaltensstrategien. Diese aber entwickelten sich nur so frei, wie
       der Mythos Glauben machen mochte.
       
       ## Kritik und Erhabenheit
       
       So reglementierte vor allem der Kunstbetrieb die neue Kreativität von
       Anfang an mit seinen in der Moderne etablierten Institutionen: Markt,
       Ausstellung und Kritik. Ein Beispiel Rupperts ist der Einfluss Will
       Grohmanns, einem Starkritiker der Nachkriegszeit, der etwa Wassily
       Kandinsky als erhabenen Genius inszenierte, die abstrakte Kunst zur einzig
       gültigen erhob, so die dogmatische Setzung von Abstraktion und Informell
       ökonomisch forcierte und damit potente Vertreter wie Jackson Pollock.
       
       Daran, wie der Betrieb über Inklusion und Exklusion entscheidet, hat sich
       in zwei Jahrhunderten wenig geändert. Kulturelles Kapital hat, wer in
       Ausstellungen und Feuilletons präsent ist, das treibt die Preise am Markt
       hoch und hohe Preise erhöhen die Präsenz in Ausstellungen und Feuilletons.
       Dazwischen: blinde Flecken.
       
       Zwar verweist der Autor schon im Klappentext darauf, dass „die
       Künstlerprofessionen lange Zeit männlich geprägt waren“, doch handelt er
       das Thema im Unterkapitel „Die Geschlechterfrage: KünstlerInnen“ schnell
       ab. Es konzentriert sich auf den Ausschluss von Frauen aus der
       künstlerischen Ausbildung an den wichtigen staatlichen Institutionen. In
       München etwa, erfahren LeserInnen, musste 1920 ein ihr vorgesetztes
       Ministerium die erzkonservative Akademie erst zwingen, sich für Frauen zu
       öffnen.
       
       ## Männliche Spitzenverdiener
       
       In Weimar konnten Frauen ab 1912 studieren, das Bauhaus – das seine
       Bedeutung wegen der „epochalen Neuausrichtung der künstlerischen
       Kreativität“ erlangte und bei Ruppert mit einem Kapitel bedacht wird – war
       für Frauen ab der Gründung 1919 ebenfalls offen, nur wurden die vielen
       Studentinnen, die sich einschrieben, schließlich unabhängig von ihren
       künstlerischen Ambitionen in die Klasse für Weberei gedrängt.
       
       Zwar kommen in dem Band Valie Export sowie hier und da eine Kollegin vor;
       zwar exemplifiziert der Autor politische Zeitgenossenschaft anhand der
       Biografie Leni Riefenstahls, der „Hofkünstlerin Hitlers“; zwar wechselt er
       mit einem Kapitel zu Pina Bausch am Ende die Perspektive, vor allem, um mit
       der Tänzerin und Choreografin die Entgrenzung der Künste seit den 1960er
       Jahren aufzuzeigen. Doch bleibt auch seine Kunstgeschichte vor allem eine
       der männlichen Spitzenverdiener.
       
       Immerhin: Das Buch wirft einen genauen Blick darauf, wie Mythenbildung und
       Kult um Genie und Originalität – von der Postmoderne nur vermeintlich
       dekonstruiert – möglich wurden, Kunst marktgängig machten und zu den
       bekannten Festschreibungen in ihrer Geschichte führten.
       
       ## Deutsche Malerei
       
       Ruppert nennt das Beispiel der Galerie Michael Werner, die in den letzten
       Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts unter geschickter Nutzung der
       Institutionen des Betriebs drei Künstler als Synonym für deutsche Malerei
       durchgesetzt habe: Georg Baselitz, Markus Lüpertz und Jörg Immendorff.
       Kunst wird schließlich mit den Preisexplosionen Mitte der 1990er und noch
       einmal Mitte der 2000er Jahre zum Seifenschaum zwischen den
       Spekulationsblasen. Andy Warhol oder Gerhard Richter, Jeff Koons oder
       Damien Hirst, Vertreter einer weißen, männlichen Elite also, sind die
       Hofkünstler des Kapitals – und gleichzeitig die unantastbaren Helden
       subjektiver Kreativität.
       
       Zu Leni Riefenstahl vermerkt Ruppert, der sich unter anderem mit seiner
       Forschung zu Kunst und Nationalsozialismus verdient gemacht hat, dass erst
       der moderne Mythos der kreativen Künstlerin es Riefenstahl – wie auch
       anderen – nach 1945 ermöglicht habe, sich aus der Verantwortung zu
       flüchten.
       
       Im biografischen Abriss zu Joseph Beuys verweist Ruppert auf dessen Mäzen
       Karl Ströher, einen bundesrepublikanischen Karrieristen, dessen Firma
       während des Wirtschaftswunders boomte. Ihr Erfolg beruhte auf
       Haarpflegeprodukten der Marke Wella, für deren Herstellung während des
       Krieges auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt worden waren.
       
       Trotz aller Unterschiede können Riefenstahl wie Beuys als prototypische
       Beispiele eines Mythos gelten, der sich mit der Lektüre als in politischen
       wie ökonomischen Kontexten tief verstricktes Konstrukt erweist. Epochale
       Verschiebungen des etablierten, westlich-patriarchalen Narrativs zeichnen
       sich noch nicht ab. Doch machen sich Positionen von Antiheldinnen, etwa
       Künstlerinnen aus dem globalen Süden, heute daran, es nachhaltig zu stören.
       In Rupperts Band kommen sie nicht vor.
       
       10 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine Weier
       
       ## TAGS
       
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