# taz.de -- Kartellrechtsexperte über Fusionsverbot: „Es gibt keinen Korrekturbedarf“
       
       > Mächtige Firmen betreiben ein unfaires Geschäftsmodell auf Kosten der
       > Kunden, findet Kartellrechtsexperte Daniel Zimmer. Fusionsverbote seien
       > deshalb richtig.
       
 (IMG) Bild: Fahren nicht gemeinsam: der französische TGV von Alstom und der deutsche ICE von Siemens
       
       taz: Herr Zimmer, Margrethe Vestager, die EU-Kommissarin für den Schutz des
       Wettbewerbs, [1][hat die von Siemens und Alstom geplante Fusion ihrer
       Bahntechnik-Sparten untersagt]. Warum finden Sie diese Entscheidung
       richtig? 
       
       Daniel Zimmer: Auf dem europäischen Markt für Hochgeschwindigkeitszüge und
       Signaltechnik gäbe es nach einer Fusion weniger Wettbewerb. Kein Konkurrent
       würde Siemens-Alstom Paroli bieten. Das gemeinsame Unternehmen würde höhere
       Preise durchsetzen, die schließlich die Bahnkunden bezahlen.
       
       Wettbewerb innerhalb Europas ist die eine Sache. Das spricht gegen
       Großfusionen. Andererseits stehen Deutschland, Frankreich und die EU in
       globaler Konkurrenz zu chinesischen und US-Firmen. Wirtschaftlicher
       Einfluss bedeutet auch politische Durchsetzungskraft. Wenn Europa sich und
       uns schützen will, braucht es starke Unternehmen. Das spricht für Fusionen. 
       
       Wollen wir, dass mächtige Firmen ihre Kunden hierzulande ausbeuten, um sich
       dank dieser Mehreinnahmen anderswo mit subventionierten Preisen gegen
       Konkurrenten durchzusetzen? Das halte ich für politisch fragwürdig. Über
       solch unfaire Wirtschaftspolitik beschweren sich hiesige Politiker gerne
       bei anderen Regierungen. Außerdem ist nicht gewährleistet, dass die
       Unternehmen ihre höheren Gewinne tatsächlich zur Expansion nutzen.
       Mindestens ebenso naheliegend erscheint, dass sie ihren Aktionären einfach
       mehr Dividende überweisen.
       
       Ein Argument für die Fusion bei Siemens und Alstom könnte sein: Wenn in
       Afrika europäische Züge rollen, und nicht nur chinesische, kann man mit
       dortigen Regierungen besser verhandeln – über Flüchtlinge, Rohstoffe,
       Umweltschutz. Was halten Sie von dieser Überlegung? 
       
       Sehr wenig. Der Zusammenhang leuchtet mir nicht ein. Warum sollte eine
       afrikanische Regierung Abkommen mit Deutschland schließen, nur weil dort
       Siemenszüge unterwegs sind?
       
       Auch ohne Fusion könnten Siemens und Alstom auf dem globalen Markt als
       gemeinsamer Anbieter auftreten. Ist die Zusammenarbeit in Firmen-Konsortien
       nicht ein guter Kompromiss zwischen internem Wettbewerb und äußerem
       Einfluss? 
       
       Der gemeinsame Verkauf ist eine Kooperationsmöglichkeit, die viele Firmen
       nutzen. Dabei müssen sie allerdings das Kartellrecht im Zielland beachten.
       Wenn Verkaufskartelle dort verboten sind, geht so etwas nicht. Wird das
       jedoch berücksichtigt, hätte ich keine erheblichen Bedenken gegen
       Konsortien.
       
       Siemens und Alstom warben für ihren Zusammenschluss mit dem schönen Begriff
       „Airbus auf Schienen“. Soll heißen: Der staatlich geförderte, europäische
       Flugzeugbauer hat eine Erfolgsgeschichte geschrieben, die es zu wiederholen
       gilt. Stimmt die Analogie? 
       
       Nein. In der weltweiten Flugzeugindustrie herrschte damals eine besondere
       Situation mit starken Tendenzen zur Konzentration. Der US-Konzern Boeing
       wuchs durch Fusionen und beherrschte den Markt für große
       Passagierflugzeuge. Mit Airbus entstand ein Gegengewicht. Ohne Airbus gäbe
       es weniger Wettbewerb. Dagegen kennt der globale Markt für Bahntechnik
       heute keinen so dominierenden Anbieter wie damals Boeing. Durch Europa
       fahren keine chinesischen Züge. Die hiesige Politik leidet an ihrer
       Fixierung auf eine Gefahr aus China.
       
       Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) plädiert neuerdings für
       Industriepolitik – auch gegen China und die USA. Beispielsweise soll Europa
       Batteriezellen für Elektroautos in gemeinsamen Fabriken selbst fertigen,
       anstatt sie in Ostasien einzukaufen. Spricht aus Wettbewerbssicht etwas
       gegen diesen Ansatz? 
       
       Auch auf dem Weltmarkt für Batterietechnologie existiert kein Monopol.
       Einige asiatische Anbieter konkurrieren miteinander, es gibt Auswahl, wenn
       auch mit wenig europäischer Beteiligung. Aus der Sicht des Wettbewerbs
       besteht deshalb keine Notwendigkeit, eine einheimische Batterieproduktion
       staatlich hochzuziehen. Und offenbar haben hiesige Unternehmen solche
       Investitionen in der Vergangenheit kaum für aussichtsreich gehalten. Das
       sollte der Politik zu denken geben.
       
       Als Reaktion auf die untersagte Bahnfusion wollen Altmaier und sein
       französischer Kollege Bruno Le Maire nun das europäische Kartellrecht
       ändern, wie sie verkündeten. Solche Zusammenschlüsse zu untersagen, soll
       schwerer werden. Können Sie sich vorstellen, was da kommt? 
       
       Vielleicht wird daran gedacht, eine Art europäischer Ministererlaubnis
       einzuführen. Soll die EU-Kommissarin für Binnenmarkt, Industrie und
       Unternehmertum dann den Entscheidungsvorschlag der Wettbewerbskommissarin
       aushebeln dürfen? Ich hielte das für falsch. Die EU untersagt
       durchschnittlich nur eine von 300 beantragten Fusionen pro Jahr. Da gibt es
       keinen Korrekturbedarf.
       
       20 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Archiv-Suche/!5568580&s=alstom/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kartell
 (DIR) Wettbewerb
 (DIR) Kartellrecht
 (DIR) Siemens
 (DIR) Alstom
 (DIR) Siemens
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
 (DIR) Alstom
 (DIR) Diesel-Nachrüstung
 (DIR) Fusion
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die „Rückkehr“ von Siemens: Hier landet (k)ein Ufo
       
       Der Konzern hat seine Rückkehr nach Berlin angekündigt. Als Erstes dürfen
       junge Start-ups ihre Ideen entwickeln. In den Werken aber geht weiter die
       Angst um.
       
 (DIR) Kommentar Europawahl-Kandidatin: Keine aus der Klüngelecke
       
       EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist unbequem. Mächtigen
       gegenüber teilte sie oft aus. Ihre Präsidentschaft wäre ein Glücksfall.
       
 (DIR) Veto gegen Fusion Siemens-Alstom: „China ist keine Gefahr“
       
       EU-Wettbewerbskommissarin Vestager begründet ihr Nein zum geplanten
       deutsch-französischen Champion mit dessen marktbeherrschender Stellung.
       
 (DIR) EU ermittelt gegen Autokonzerne: Ein Kartell der Stinker?
       
       Die EU-Kommission prüft eine Verschwörung: Haben sich BMW, Daimler und VW
       verabredet, um saubere Motoren auszubremsen?
       
 (DIR) Bahnindustrie im Umbruch: TGV und ICE nun aus einem Haus
       
       Die Mobilitätssparten von Siemens und Alstom aus Frankreich fusionieren.
       Auch Gewerkschafter sehen das Bündnis als unausweichlich an.