# taz.de -- Berliner Elternsorgen: Die allererste Bürgerpflicht
       
       > Demokratie heißt geben und nehmen: Erhöht ehrenamtliches Engagement als
       > Wahlhelfer vielleicht die Chance auf einen der raren Kita-Plätze in
       > Berlin?
       
 (IMG) Bild: Als Wahlhelfer kann man schon in ganz jungen Jahren Engagement beweisen
       
       Mein Sohn hat jetzt Post vom Bezirksamt bekommen. „Sehr geehrter Herr S.“,
       beginnt das hochoffizielle Schreiben, in dem er an die bevorstehenden
       Europawahlen im Mai erinnert wird. Die bereiten dem Amt offenbar Sorgen,
       denn man habe „noch einen großen Mangel an ehrenamtlichen Wahlhelferinnen
       und Wahlhelfern für unseren Bezirk feststellen müssen“. Ein gutes Gelingen
       der Wahl sei aber auch davon abhängig, heißt es weiter, dass engagierte
       Bürgerinnen und Bürger am 26. Mai „in einem Wahlvorstand Verantwortung für
       ein Stück gelebte Demokratie übernehmen“.
       
       Nach diesem demokratieerklärenden Vorabgeschwurbel kommt die schreibende
       Dame vom Amt endlich zum Punkt. In einer „ausschließlich nach dem
       Zufallsprinzip“ erstellten Liste, heißt es, sei auch mein Sohn ausgewählt
       worden. „Ich bitte Sie daher, sich freiwillig (Fettung im Original) für
       dieses Ehrenamt in einem der Wahllokale zur Verfügung zu stellen. Wir
       hoffen auf Ihr Engagement.“
       
       Mein Sohn reagierte mit einem seiner unartikulierten Stöhnlaute und wollte
       den Brief am liebsten gleich zerreißen. Aber als verantwortungsvoller Vater
       habe ich ihm zu überlegtem Handeln geraten. Schon weil eine demokratische
       Gesellschaft ja tatsächlich auf die Mitarbeit ihrer BürgerInnen angewiesen
       ist. Demokratie ist nicht nur Nehmen, sondern auch Geben. Das kann man
       nicht früh genug lernen.
       
       Geldbuße droht 
       
       Zu denken gab mir zudem, dass auf der Rückseite des Schreibens darauf
       hingewiesen wird, dass so ein Wahlvorstand zwar ein Ehrenamt sei, für das
       es 50 Euro Erfrischungsgeld gebe – und die sogar steuerfrei. Dass dieses
       Amt aber nur aus „wichtigem Grund“ abgelehnt werden dürfe. Dafür müsse mein
       Sohn etwa Abgeordneter, Senatsmitglied, Tierarzt, Hebamme oder älter als 65
       sein. Jugend aber, und das ist das Einzige, was mein Sohn bisher vorweisen
       kann, wird als Grund nicht genannt. So droht ihm bei Ablehnung eine
       „Geldbuße bis zu fünfhundert Euro“. So hoch ist sein Taschengeld nun
       wirklich nicht.
       
       Ausschlaggebend aber war, dass mein Sohn – und fast drängender noch seine
       Eltern – auf ein anderes wichtiges Schreiben warten. Es geht um die
       Vergabe der Kitaplätze ab dem Sommer. Bei denen haben wir wiederum „noch
       einen großen Mangel für unseren Bezirk feststellen müssen“. Mein Sohn ist
       zwar gerade erst 9 Monate alt, aber wenn er im Mai seiner ersten
       Bürgerpflicht als Wahlvorstand nachkommt, dann sollte das doch umgekehrt
       seine Chancen auf einen Platz ab August in einer Kita des Bezirks
       entscheidend erhöhen, oder? Demokratie ist nicht nur Nehmen, sondern auch
       Geben.
       
       Also haben mein Sohn und ich uns hingesetzt, die beigelegte
       Bereitschaftserklärung ausgefüllt und in den Freiumschlag gesteckt. Seine
       Unterschrift ist arg krakelig geworden. Aber das wird das Bezirkswahlamt
       bei so einer engagierten Nachwuchskraft hoffentlich nicht stören.
       
       11 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
 (DIR) Kita
 (DIR) Erziehung
 (DIR) Ehrenamt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA