# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Berlin gehört allen
       
       > Eigentlich irre, dass sich überhaupt noch irgendjemand Wohnungen in
       > Berlin leisten kann. Oder?
       
 (IMG) Bild: Eigentlich sollte hier Platz für alle sein: Berlin
       
       Neulich durfte ich mal wieder raus aus meinem Viertel. Drei
       U-Bahn-Stationen weit, das war schön. Ich war auf einer Lesung, aber nicht
       von mir selber, sondern von einer Kollegin, die ein Buch über die
       Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschrieben hat. (Spoiler: Klappt nicht
       so richtig mit der Vereinbarkeit.)
       
       Nach der Lesung waren wir noch etwas trinken. Ich hatte mich extra
       geschminkt für den Abend und sogar einen BH angezogen, da wollte ich meine
       Erscheinung auch noch ein Stündchen vorzeigen. Wozu mach ich mir sonst die
       Mühe?
       
       Wir gehen in eine der letzten Neunziger-Jahre-Kneipen in Prenzlauer Berg.
       Da saßen wir schon als Kinder drin, wenn wir Schule geschwänzt haben. Zwei
       Amerikaner warten auf uns. Besuch aus New York. Filmemacher, Bekannte
       meiner Kollegin. Ich halte Vorträge über Gentrifizierung und über den
       Ausverkauf der europäischen Innenstädte.
       
       „Früher sind die Leute in Urlaub gefahren, haben sich in Hotels
       eingemietet, die Gegend erkundet, sind essen und ins Theater gegangen und
       dann wieder nach Hause gefahren. Heute mieten sie Privatwohnungen. Und
       Leute, die richtig Geld haben, kaufen sich Wohnungen. Berlin, Venedig,
       Wien, München. In jeder Stadt eine eigene Wohnung, die die meiste Zeit des
       Jahres leer steht.“
       
       Ich hole tief Luft. Hab mich etwas in Rage geredet. Der amerikanische
       Filmemacher neben mir schaut mich entzückt an. „Was arbeitest du noch
       mal?“, will er wissen. „Ich bin Autorin“, sage ich. „Schriftstellerin.
       Schreibe Kolumnen fürs Radio und für Zeitungen, trete auf Bühnen auf und
       schreibe gerade meinen zweiten Roman.“
       
       „Und du wohnst hier in Berlin?“, fragt der Filmemacher.
       
       Ich nicke. „Schon immer“, sage ich. „Bin sogar hier geboren. Wie meine
       Eltern. Und meine Großeltern. Sogar ein Teil meiner Urgroßeltern …“
       
       Der Filmemacher fängt an zu lachen. „Das ist so typisch Berlin“, sagt er.
       „Dieser Stolz auf die eigene Herkunft. In New York interessiert es
       niemanden, wo du geboren wurdest.“ Ich schweige beschämt.
       
       „Weißt du“, sagt er. „Es ist alles richtig, was du sagst. Aber ich finde es
       so irre, dass du als Autorin dir eine Wohnung in Berlin leisten kannst.“
       „Na ja“, sage ich. „In Pankow. Ist ja nicht grad Mitte.“
       
       „Trotzdem“, sagt er. „Du bist mit dem Fahrrad hier, right? You see, meine
       Frau und ich, wir sind ziemlich erfolgreiche Filmemacher in the US. Für
       documentary. Und wir können uns keine Wohnung in New York leisten. Vor zehn
       Jahren haben wir in Berlin gewohnt. Bötzowviertel, kennst du?“
       
       Ich nicke. „Bin da groß geworden“, sage ich. „Damals habe ich Berlin
       gehasst“, sagt er. „Es war piefig, provinziell. Wenn ich damals Leuten in
       New York erzählt habe, ich würde in Berlin wohnen, sagten die ‚Oh yeah? But
       why?‘, niemand wollte hierher.
       
       Wenn ich heute Leuten sage, wir gehen nach Berlin tomorrow, sagen sie: ‚Ah
       cool, I’ll be there next week. Where are you staying? A friend of mine has
       got an apartment in Prenzlauer Berg. You can stay there if you want.‘“
       
       Ich bin auf einmal sehr müde. Es ist auch schon spät. Nach 22 Uhr. Die
       Kollegin und ich entschuldigen uns. Die Kinder. Wir müssen morgen früh
       raus.
       
       Die New Yorker bleiben noch ein bisschen. Sie müssen ihren Jetlag
       verarbeiten. Außerdem ist es ihr gutes Recht. Es gehört sowieso im Grunde
       alles ihnen.
       
       24 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lea Streisand
       
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