# taz.de -- Protest gegen Abtreibungsgegner*innen: „Kondome, Spirale, Linksradikale!“
       
       > In Münster hat eine Demo für sexuelle Selbstbestimmung stattgefunden. Sie
       > richtete sich gegen einen Marsch von christlichen Fundamentalist*innen.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen Abtreibungsgegner 2012 in Berlin
       
       MÜNSTER taz | Kondome fliegen und drehen sich in der Luft. “My body, my
       choice: Raise your voice!“ („Mein Körper, meine Wahl: Erhebt eure Stimme!“)
       rufen die, die sie geworfen haben. Eine Person in dem Sprechchor ist als
       Einhorn verkleidet. Ihr Kondom fliegt in einem Bogen über die Köpfe der
       Polizist*innen hinweg. Es klatscht aufs Pflaster, jemand tritt drauf.
       
       Abgeschirmt durch die Polizei, schreitet eine Prozession zu Kirchenmusik
       vorbei. Zwei Menschen pro Reihe, im Arm je ein großes, weißes Kreuz. Sie
       schreiten ein bisschen schneller, da kommen wieder Kondome geflogen.
       „Fundamentalismus raus aus den Köpfen!“, intoniert der Sprechchor vom
       Straßenrand.
       
       In Münster hat am Samstag der sogenannte „1000-Kreuze-Marsch“
       stattgefunden. Dieses Jahr mit etwa 70 Kreuzen. [1][Jährlich kommen hier
       ein paar christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner*innen zusammen] –
       und ebenfalls jährlich findet zeitgleich eine Demonstration für sexuelle
       Selbstbestimmung statt. Viele kleine Aktionen begleiten den Weg des
       Marsches durch die Stadt und manche Passant*innen, die in Fußgängerzonen am
       Shoppen sind, stimmen in die Sprechchöre ein. „Für die Freiheit, für das
       Leben: Fundis von der Straße fegen!“ In Münster kennt man den Marsch
       inzwischen.
       
       „Es ist ja jedes Jahr hier und deshalb ist klar, dass wir uns jedes Jahr
       wieder diesen ekelhaften Menschen in den Weg stellen müssen“, sagt die
       Demonstrantin Anne. Viele der Teilnehmer*Innen haben Kleiderbügel aus Draht
       dabei. An einigen steht, „Never again“ („Nie wieder“). Solche Drahtbügel
       hat man in Zeiten, in denen Schwangerschaftsabbrüche straffrei nicht
       möglich waren, als Abtreibungswerkzeug benutzt. Häufige Folgen waren innere
       Blutungen, Infektionen, Bauchfellentzündungen und Blutvergiftungen.
       
       Die Demonstrant*innen verstehen nicht, dass manche Menschen die
       Gesellschaft in die Zeit der Kleiderbügel zurückwünschen. „Sie sind dumm
       und haben keine Argumente“, sagt Anne. „Mit denen kann man nicht reden. Es
       gibt keine Ebene, um sich auszutauschen. Man kann’s versuchen, aber im
       Zweifel fangen die an, für einen zu beten.“ Die christlichen
       Fundamentalist*innen treffen sich zu ihrem Marsch ein paar Straßen weiter.
       
       ## Für die Minimenschen
       
       Nah beieinander sind die beiden Veranstaltungen: Die Polizei ist zahlreich
       vertreten. Auch den Zugang zum Platz vor der Aegidii-Kirche, von wo der
       Marsch beginnen soll, regeln Beamt*innen von allen Seiten. Die Kirchenmauer
       hat jemand für die Fundamentalist*innen vorbereitet: In Hellblau und Lila
       steht da: „Mein Körper, meine Entscheidung“.
       
       Dass die Menschen mit den Kreuzen gegen Schwangerschaftsabbrüche
       marschieren, basiert auf Unwissen, stellt sich heraus. Denn es gehe ihm ja
       gar nicht um Zellen, sagt Klaus Hengstebeck, ein Organisator des Marsches.
       Nein, ab dem Zeitpunkt der Befruchtung sei da ein Minimensch im Bauch der
       Frau. Der würde sich nicht mehr verändern, nur noch wachsen.
       Schwangerschaftsgewebe? Sowas gebe es nicht. „Sonst würden wir nicht
       rausgehen“, sagt Hengstebeck. Wäre da anfangs Zellgewebe – was Fakt ist –
       dann hätte er nichts gegen Schwangerschaftsabbrüche. Aber Hengstebeck geht
       auf die Straße für die Minimenschen.
       
       Bestätigt fühle er sich durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
       „Zum Schrecken von Grünen und Linken will die Bundesregierung jetzt mit
       fünf Millionen ein Projekt fördern“, sagt Hengstebeck. „Zum
       Post-Abortion-Syndrom.“ Spahn gibt Millionen für eine Studie aus, deren
       These schon mehrfach widerlegt wurde: Forschungsstand ist, dass vor allem
       Kriminalisierung, Vorurteile und erschwerter Zugang zu Abbrüchen Frauen mit
       ungewollten Schwangerschaften zu belasten scheinen.
       
       ## Die Geschichte von Reue und Schuldgefühlen
       
       Aber Abtreibungsgegner*innen erzählen weiter die Geschichte von Reue und
       Schuldgefühlen und schauen auf zu einem Bundesminister, von dem sie sich
       verstanden fühlen. Auch davon, dass Frauenärzt*innen an einem Abbruch viel
       weniger verdienen als an einer Frau, die ein Kind austrägt, will
       Hengestebeck nicht wissen. „Das ist ein Riesengeschäft“, wiederholt er.
       
       „Ob Kinder oder keine: Entscheiden wir alleine!“ – „Kondome, Spirale,
       Linksradikale!“ Ein Strom von Gegendemonstrant*innen begleitet den Marsch
       durch die Stadt. Als die 70 Menschen mit den Kreuzen am Versammlungsort der
       Demo für sexuelle Selbstbestimmung vorbeiziehen, wird es richtig laut.
       Hunderte blasen in Trillerpfeifen und brüllen, wieder stimmen Passant*innen
       vereinzelt mit ein, wieder fliegen Kondome. „My body, my choice: Raise your
       voice!“ Die Kreuzträger*innen ziehen vorbei. Später werden sie niederknien
       und Blumen verstreuen – im Gedenken an die Minimenschen. „Allez, allez,
       Feminismus, Feminismus, allez, allez, allez!“, hallt durch Münsters
       Straßen.
       
       17 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anett Selle
       
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