# taz.de -- Straßenbaupläne in Brandenburg: Die bedrohte Stille von Zempow
       
       > Der Bund will eine Straße durch eine der naturnahsten Ecken Brandenburgs
       > bauen. Dagegen formiert sich Widerstand in den betroffenen Dörfern.
       
 (IMG) Bild: Am Horizont der Wald des Dorfes Zempow: Da soll die neue Bundesstraße entlangführen
       
       Zempow, das sind braune Kühe auf sanft geschwungenen, frischgrünen Weiden,
       im Hintergrund Wald, in der Mitte eine Dorfstraße mit Backsteinkirche.
       Vielen BesucherInnen fällt als Erstes auf, was sie hören – nichts nämlich.
       Zumindest nach großstädtischen Maßstäben. Denn natürlich ist die Welt nicht
       geräuschlos hier, ganz oben im Brandenburger Nordwesten: Wind fängt sich in
       Bäumen, irgendwo blökt ein Schaf, Vögel zwitschern, ab und an rollt auch
       mal ein Auto durch den 140-Einwohner-Ort. Die Ruhe ist neben der Landschaft
       das größte Kapital der EinwohnerInnen, von denen viele vom Tourismus leben.
       
       „Früher war hier manchmal richtig was los, Zempow hatte das einzige
       Autokino der DDR“, sagt Ulrich Schnauder und lacht. Der Ortsvorsteher mit
       dunkelblauem Strickpulli und Nickelbrille führt den Gast aus Berlin in den
       „einLaden“, eine Mischung aus Café, Bioladen, Galerie und Treffpunkt, den
       seine Frau und er neben der Kirche betreiben. Zwischen Glasbehältern mit
       „Dinkelspitzbuben“ und Nougat-Talern, Saftflaschen und Schmuck mit
       künstlerischer Note sitzt man am Tisch. Schnauder hat extra einen Flipchart
       aufgebaut, um zu zeigen, was den Anwesenden auf den Nägeln brennt.
       
       Es ist eine Skizze der weiteren Umgebung: Links an der A14 liegt Wittstock,
       rechts oben Mirow, schon in Mecklenburg-Vorpommern. Zempow und einige
       andere Dörfer verteilen sich rund um eine grün schraffierte Fläche, die ins
       Bild hineinragt – der nordwestliche Ausläufer des Ruppiner Wald- und
       Seengebiets. Zwei rote Linien, die sich an den Enden berühren, zerschneiden
       das Bild: „Das sind die beiden Hauptvarianten für die B189n, die hier in
       den kommenden Jahren gebaut werden soll“, erläutert Schnauder, „für einen
       Ort wie Zempow wäre sie das Todesurteil.“
       
       Die kleine Runde ist ein Teil der Bürgerinitiative „B189nein“ – das
       offizielle „n“ steht für „neu“ –, die sich Ende November im Nachbarort
       Berlinchen gegründet hat. 50 Menschen kamen in die „Schmökerstuw“, ein
       Bistro mit Antiquariat, das Ortsvorsteher Dieter Welchering betreibt; auch
       er ist heute in den „einLaden“ gekommen. Die Leute aus den kleinen
       Ortschaften, aus Dranse, Sewekow, Schweinrich, Berlinchen und Zempow,
       wollen unbedingt verhindern, dass die Bundesstraße 189, die bis heute nur
       westlich der Autobahn Berlin-Hamburg verläuft, von Wittstock nach Mirow
       verlängert wird. Sie befürchten, dass die rund 40 Kilometer lange Strecke
       Verkehr, Lärm und Gestank in ihre stille Landschaft spülen würde.
       
       ## „Vordringlichem Bedarf“
       
       Sie werden sich sehr anstrengen müssen, um das noch zu verhindern: Die
       B189n ist Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans 2030 (BVWP 2030), der sie
       als Projekt mit „vordringlichem Bedarf“ einstuft: Sie bringe „eine
       Verbesserung der Verbindung des Oberzentrums Neubrandenburg und des
       Mittelzentrums Neustrelitz sowie der Ferienregion Mecklenburgische
       Seenplatte mit dem Mittelzentrum Wittstock“.
       
       Seit Ende 2016, als der Bundestag das Sechste Gesetz zur Änderung des
       Fernstraßenausbaugesetzes verabschiedete, besteht Planungsrecht. Noch ist
       freilich kein Baum gefällt, hat kein Bagger seine Zähne in den Boden
       geschlagen. Aber es werden schon Varianten geprüft – wie die, die am
       Waldrand von Zempow entlangführen würde, in Sicht- und Hörweite der
       „Bioranch“, wo viele HauptstädterInnen im Sommer ein Ferienhäuschen
       beziehen und ihre Kinder auf Ponys reiten lassen.
       
       Aber die Menschen in der Gegend haben Erfahrung mit dem Protestieren: Nach
       Süden hin erstreckt sich das riesige Areal des einstigen „Bombodroms“, des
       Truppenübungsplatzes der Roten Armee, den in den 1990ern die Bundeswehr
       übernahm, unter anderem um hier laute Tiefflugübungen durchzuführen. Lange
       Jahre versammelten sich viele Aktive zu Ostermärschen für eine „Freie
       Heide“, stellten Schilder in ihren Gärten auf, machten Druck in Potsdam und
       in Berlin. Und hatten 2009 endlich Erfolg. „Zehn Jahre ist das schon wieder
       her“, sagt Sabine Radert, die Sprecherin von „B189nein“, am Tisch in
       Zempow, „das müssten wir eigentlich feiern.“ Aber jetzt steht erst einmal
       der neue Kampf im Vordergrund.
       
       „Die Planung der Bundesstraße stammt noch aus dem letzten Jahrhundert“,
       sagt Radert – was wörtlich zu verstehen ist: Seit den 1990ern will die
       Politik vor allem im benachbarten Bundesland die schnelle Verbindung nach
       Westen und zur A24 nach Hamburg. Für Radert ein Unding: „Man kann doch
       heute nicht mehr nur vom Auto her denken!“ Der Klimaschutz etwa schlage
       sich in den Planungen überhaupt nicht nieder. Und dann das Zerschneiden
       einer so großen zusammenhängenden Naturlandschaft: Der südliche Teil des
       ehemaligen Bombodroms werde mittlerweile von der Heinz-Sielmann-Stiftung
       ökologisch saniert und für den nachhaltigen Tourismus entwickelt. „Das
       sollte auch hier oben so gemacht werden.“
       
       ## Katastrophe für die Gegend
       
       Nicht alle waren gleich Gegner der B189n: „Als Ulrich im Ortsbeirat das
       Thema aufgebracht hat, war ich zuerst als Einziger für die Bundesstraße“,
       sagt Niels Detloff aus Zempow, der Sabine Radert gegenübersitzt. „Ich
       dachte: Prima, biste zehn Minuten schneller in Wittstock.“ Dann sei ihm
       aber schnell klar geworden, dass ein solcher Verkehrsweg eine Katastrophe
       für die Gegend sei.
       
       Die anderen pflichten ihm bei: Wenige Minuten Zeitgewinn für Autofahrer in
       Richtung Mecklenburg könnten nicht den Ausschlag geben. Aber wenn Straßen
       erst einmal gebaut sind, zögen sie Verkehr an. Sie zitieren Prognosen im
       Zusammenhang mit dem BVWP 2030, die von 1.000 Lkws am Tag auf der neuen
       Bundesstraße ausgehen. Im Grunde erlebt die Gegend schon jetzt einen
       Vorgeschmack davon, denn seit Bundesstraßen Mitte 2018 mautpflichtig wurden
       seien, weichen viele Lastwagenfahrer auf die kleineren Kreisstraßen aus und
       donnern über die Dörfer.
       
       Deshalb gehört auch eine Durchfahrtbeschränkung für Lkw ab 7,5 Tonnen zu
       den Forderungen der Bürgerinitiative, die jetzt im Vorfeld der
       Kommunalwahlen am 26. Mai richtig aufdrehen will. Es werden Postkarten und
       Flyer gedruckt, auch TouristInnen sollen ermuntert werden, Druck auf die
       Infrastruktur-Ministerien in Potsdam und Schwerin zu machen. Dass am 18.
       April die Brandenburger Landesgartenschau in Wittstock startete, kommt der
       Initiative dabei gelegen. Im Kreistag hat sie schon einige Verbündete, wie
       das Grünen-Urgestein Wolfgang Freese und Linken-Fraktionschef Freke Over,
       den in Berlin noch viele aus seiner Hausbesetzerzeit kennen.
       
       Ebenfalls aus Berlin kommt ein weiterer Aktivist: Matthias Dittmer,
       Vorsitzender der grünen Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität und ein Enfant
       terrible der Ökopartei, hat ein Standbein in der Region, er verbringt
       privat viel Zeit in Zempow. Der umtriebige Politiker, früher als
       TV-Darsteller bekannt, hat einen ganz neuen Zug in die Debatte gebracht –
       was durchaus als Wortspiel gemeint ist: Er fordert, dass die stillgelegte,
       aber noch nicht entwidmete Bahntrasse zwischen Wittstock und Mirow
       reaktiviert wird. Auch den Rest der Initiative hat er davon überzeugt, dass
       das ein Teil der Lösung sein kann.
       
       ## Ökologischere Schienenlösung
       
       Denn große Teile des Schwerlastverkehrs zwischen den beiden Städten hängen
       mit dem großen Holzverarbeitungswerk in Heiligengrabe bei Wittstock
       zusammen. Das Schweizer Unternehmen Swiss Krono, das hier OSB-Platten und
       Bauelemente herstellt, bekommt viel Nachschub aus dem Osten. „Ab einer
       Entfernung von 150 Kilometern rechnet sich der Transport über die Schiene“,
       sagt Dittmer und weist darauf hin, dass Heiligengrabe, das über einen
       eigenen Schienenanschluss verfügt, dann quasi direkt mit dem polnischen
       Seehafen Stettin verbunden sei.
       
       Mit seinem grünen Parteifreund Freese hat er einen Besuch bei Swiss Krono
       absolviert – um erfreut festzustellen, dass der Standortleiter, gebürtiger
       Neuruppiner, sich offen für die ökologischere Schienenlösung zeigte: „Er
       hat uns versichert, dass das Unternehmen die Bahn als Transportmittel
       gegenüber Lkws bevorzugen würde.“
       
       Matthias Dittmer hat es sogar schon geschafft, den Verband Deutscher
       Verkehrsunternehmen (VDV) davon zu überzeugen, die Bahnstrecke in die
       „Liste reaktivierungswürdiger Strecken“ aufzunehmen, die der Verband
       zurzeit im Auftrag der Bundesregierung erstellt. Als Gründe für die
       Neueinstufung listet der Verband den Güterverkehr zur Swiss Krono und den
       eher geringen baulichen Aufwand zur Wiederherstellung der Trasse auf, aber
       auch den potenziell verbesserten Anschluss der Region an die
       Bundeshauptstadt. Denn die Regionalexpress-Verbindungen von Wittstock nach
       Berlin sind heute viel besser als vor 20 Jahren, als die Trasse nach Mirow
       stillgelegt wurde.
       
       ## Ökotouristischer Coup
       
       Dittmer selbst schwebt sogar ein ökotouristischer Coup vor: Auf der
       wiederbelebten Strecke könnten Züge weiter über Neustrelitz zu dem in der
       Mecklenburgischen Seenplatte gelegenen Ort Feldberg fahren: „Das wäre eine
       der schönsten Bahnstrecken Deutschlands!“
       
       In den Ministerien in Potsdam und Schwerin weiß man nach eigener Aussage
       nichts von einer eventuellen Wiederbelebung der Bahnstrecke. Beide Häuser
       äußern gegenüber der taz, sie nähmen die Sorgen der BürgerInnen in Bezug
       auf die B189n „sehr ernst“. Das SPD-geführte Ministerium für Energie,
       Infrastruktur und Digitalisierung in Mecklenburg-Vorpommern teilte mit, man
       werde „versuchen, zu gegebener Zeit vor Ort den aktuellen Stand der
       Planungen darzustellen und dazu bei Bedarf auch öffentliche
       Informationsveranstaltungen durchzuführen“. Mit „offener Kommunikation“
       könnten erfahrungsgemäß „ein gemeinsames Verständnis in der Bevölkerung für
       das Projekt“ gefördert und „zum Teil gegensätzliche Positionen angenähert“
       werden, so Sprecherin Ulrike Sennewald.
       
       Für offene Kommunikation sind die Menschen in Zempow und Umgebung zu haben.
       Ob sie sich so leicht von den Vorteilen einer Straße überzeugen lassen, die
       sie ihrer kostbaren Stille beraubt, wird sich zeigen.
       
       23 Apr 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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