# taz.de -- Fluchthelferin Uniform
       
       > Für 28.000 Euro bekommt eine iranische Familie Visa nach Deutschland.
       > Offenbar kein Einzelfall. Im Zentrum des Korruptionsfalles steht
       > mutmaßlich ein Bundeswehrsoldat von der Hamburger Führungsakademie
       
 (IMG) Bild: Hier werden deutsche und ausländische Führungskräfte ausgebildet
       
       Aus Hamburg Stefan Buchen
       
       Die Bundespolizei in Hamburg hat ungewöhnliche Gäste an diesem 24. Mai
       2017. Nacheinander erscheinen in der Abteilung für Kriminalitätsbekämpfung
       sieben ausländische Offiziere zur Zeugenvernehmung. Sie stammen aus dem
       Irak, aus Kuwait und Saudi-Arabien. Den sieben ist gemein, dass sie alle an
       einem Offizierslehrgang der Führungsakademie der Bundeswehr im Hamburger
       Vorort Nienstedten teilnehmen.
       
       Jeder der sieben wird eine knappe Stunde von den Ermittlern der
       Bundespolizei vernommen. Jeder bekommt Fotos von einer oder von mehreren
       Personen vorgelegt und wird befragt: Ob sie die Personen auf den Fotos
       kennen. Ob das ihr Neffe, ob dies ihre Nichten seien oder sonst wie
       Verwandte, Verschwägerte oder Bekannte. Die sieben ausländischen Offiziere
       haben auf all diese Fragen nur eine Antwort: Nein.
       
       Ende Juli 2018. Ein heißer Sommertag am idyllischen Mittellauf der Sieg.
       Aus dem offenen Fenster im Erdgeschoss eines Mietshauses strömt ein Duft
       von Dillreis, wie er im Iran gern gegessen wird. Die taz kommt unangemeldet
       am späten Vormittag. Eine iranischen Frau um die vierzig in Bermuda-Shorts
       bittet den Reporter höflich ins Wohnzimmer, serviert ein persisches
       Erfrischungsgetränk und entschuldigt sich. Sie müsse sich um die Küche
       kümmern. Aber ihr Mann komme gleich vom Deutschkurs.
       
       Der Mann kommt nach einer halben Stunde. Auch er trägt Bermuda-Shorts.
       Warum geht man mit knapp 50 Jahren in ein neues Land? Tja, er sei im Iran
       Bergbau-Ingenieur gewesen, eigentlich eine gute Stellung. Aber man habe
       nicht mehr dort leben wollen. Alles sei so teuer geworden. Man habe an die
       Zukunft der Kinder gedacht. Ein dreizehnjähriger Sohn und eine
       neunzehnjährige Tochter kommen hinzu. Der Junge ist schüchtern, das Mädchen
       spricht fließend deutsch, nach nur zwei Jahren. Sie besucht das örtliche
       Gymnasium. „Ich möchte Ärztin werden“, sagt sie.
       
       Mit dem Asylantrag laufe alles gut. Man sei zum Christentum konvertiert,
       sagt der Vater. Über die Details, wie sie es nach Deutschland geschafft
       haben, will der Mann nicht reden. Nur so viel: Rund 28.000 Euro habe er für
       die Papiere bezahlt. Und ja: die deutsche Polizei habe eines Tages die
       Wohnung gestürmt und Mobiltelefone beschlagnahmt. Aber die habe man schon
       zurückbekommen.
       
       An die Details gelangt die taz auf anderem Wege, ohne der Familie zu nahe
       zu treten. Die Mutter der Familie hat sich offenbar als Nichte eines
       kuwaitischen Militärs ausgegeben, der an der Führungsakademie der
       Bundeswehr in Hamburg einen einjährigen Lehrgang absolvierte. Um ein Visum
       für Deutschland zu bekommen, hat die iranische Familie wohl so getan, als
       habe der kuwaitische Onkel sie zu einem Besuch in Deutschland eingeladen.
       Auf dem Einladungsschreiben, das die taz einsehen konnte, prangt das
       schwarze Kreuz der Bundeswehr.
       
       Die Konsularbeamten der deutschen Botschaft in Teheran haben die vier Visa
       ohne Weiteres erteilt. Eine perfekte Schleusung. Für 28.000 Euro. Die
       iranische Familie hat den kuwaitischen Onkel in Hamburg, der gar nicht ihr
       Onkel ist, nie besucht. Sie flog nach Köln und beantragte Asyl.
       
       Wie kommt eine iranische Familie an Einladungsschreiben der
       Führungsakademie der Bundeswehr? Die Antwort liefert ein
       Ermittlungsverfahren, das die Bundespolizei seit mehr als zwei Jahren
       führt. Es hat Tausende Aktenseiten produziert, in die die taz Einblick
       gewinnen konnte. Viel Akribie scheinen die Ermittler in das Verfahren
       gesteckt zu haben. Als Codenamen haben sie die Bezeichnung für eine
       militärische Kopfbedeckung gewählt: „Ermittlungsverfahren Barett“.
       Bundespolizei gegen Bundeswehr. Der Vorwurf: gewerbliches Einschleusen von
       Ausländern. Insgesamt seien mehr als hundert Iraner auf diesem Weg nach
       Deutschland gelangt.
       
       Im Zentrum des Kriminalfalls steht ein deutscher Stabsfeldwebel, nennen wir
       ihn Horst Krüger. Er selbst soll an der Einschleusung von rund 30 Personen
       mitschuldig sein. An der Führungsakademie der Bundeswehr hatte er offenbar
       den Auftrag, die ausländischen Lehrgangsteilnehmer zu betreuen:
       Führerscheine, Arzttermine und eben Verwandtenbesuche – all das erledigt
       Horst Krüger. Er hat eine Generalvollmacht für die Gastoffiziere und kann
       gegenüber dem „Welcome-Center“ der Ausländerbehörde Hamburg eine
       „Bestallung“ durch seinen Vorgesetzten bei der Führungsakademie vorweisen.
       
       Der Verdacht der Ermittler: Stabsfeldwebel Krüger soll seine Position
       ausgenutzt haben, um den ausländischen Offizieren falsche Einladungen
       unterzujubeln. Er soll Formulare für Verpflichtungserklärungen abgezweigt
       und einem Netzwerk von Schleusern zur Verfügung gestellt haben.
       
       Hier kommen zwei weitere Beschuldigte ins Spiel. Die Ehefrau des
       Stabsfeldwebels und seine Schwiegermutter, beide iranischer Herkunft. Sie
       sollen einen schwunghaften Handel mit den Papieren getrieben haben. Die im
       Iran wohnende Schwiegermutter soll die manipulierten Papiere an ein
       Reisebüro am Teheraner Khomeini-Platz, unweit der deutschen Botschaft,
       weitergegeben haben. Der Chef des Reisebüros, Hossein M., und sein Partner,
       Arshad T., sollen die deutschen Einladungsformulare an Interessenten
       verkauft haben, Interessenten wie die iranische Familie, die jetzt an der
       Sieg lebt.
       
       Laut Vernehmungsprotokollen haben Vater und Mutter der iranischen Familie
       vor der Polizei ausgesagt, der Leiter des Teheraner Reisebüros habe sie
       vorab unterwiesen, wie sie sich in der deutschen Botschaft verhalten
       sollen. Sie hätten angeben sollen, ihren kuwaitischen Onkel besuchen zu
       wollen. Herr M. und sein Partner T. werden von der Bundespolizei auch als
       Beschuldigte geführt. Ihre iranischen Telefone wurden monatelang von den
       deutschen Ermittlern abgehört. Die Telefonate wurden penibel übersetzt und
       protokolliert.
       
       Hossein M. ist unter in Deutschland lebenden Iranern kein Unbekannter.
       Menschen, die regelmäßig Besuch von Freunden und Verwandten aus dem Iran
       erhalten, greifen gern auf seine Dienste zurück. Man hört keine Klagen, im
       Gegenteil. Herr M. genießt eine exzellenten Ruf. In einem sozialen Netzwerk
       hat er ein Profil. Auf einem Foto sieht man einen etwa 50-jährigen Mann im
       weißen Hemd. Er trägt eine dunkle Fliege. „Herr M. kümmert sich um den
       ganzen Papierkram, den man mit der deutschen Botschaft hat. Er ist sehr
       zuverlässig und bringt die Dinge ins Laufen,“ sagt eine ältere Dame, die
       seit Jahren zwischen Teheran und Hamburg pendelt, der taz.
       
       Die taz-Recherchen legen nahe: Das Geschäft von Hossein M. dürfte ganz
       überwiegend legal sein. Ein Reisebüro, das sich auch um Visaangelegenheiten
       kümmert. Das Reiseziel der meisten seiner Kunden ist Deutschland. Und die
       allermeisten kehren nach dem Besuch auch wieder in den Iran zurück. Aber am
       Rande dieses Geschäfts könnten Herr M. und sein Partner auch Menschen
       helfen, die keine Verwandten in Deutschland haben, sich aber für immer
       dorthin absetzen wollen. Solchen Kunden könnte Herr M. manipulierte
       Einladungsschreiben verkauft haben.
       
       Eine Quelle für die Dokumente könnte Stabsfeldwebel Horst Krüger gewesen
       sein. Dieser soll sich mit Nachdruck für „seine Fälle“ eingesetzt haben.
       Wenn die Erteilung eines Visums seiner Ansicht nach zu lange dauerte, hakte
       er schon mal per Mail in der Konsularabteilung der deutschen Botschaft in
       Teheran nach, wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht. Seine Gäste würden
       auf ihren Besuch warten und seien dabei, die Geduld zu verlieren.
       
       Auch bei einem Vertreter des Hamburger Senats soll sich der Feldwebel
       beschwert haben: Wenn das mit der Visaerteilung zu lange dauere, schade das
       dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland. Der Regierungsbeamte der
       Hansestadt war von der Beschwerde offenbar beeindruckt und setzte sich beim
       Auswärtigen Amt für die reibungslose Erteilung der Visa ein. Er wollte sich
       auf Anfrage nicht äußern. Auch der beschuldigte Stabsfeldwebel reagierte
       auf Anfragen nicht.
       
       Außer ihm und seinen iranischen Angehörigen beschuldigen die Strafverfolger
       ein halbes Dutzend in Deutschland lebende Personen iranischer Herkunft,
       sich an den mutmaßlichen Schleusungen beteiligt zu haben. Einige von ihnen
       sollen eine auffällig hohe Zahl von Verpflichtungserklärungen für
       Eingeladene abgegeben haben. In einem Fall sind es angeblich hundert.
       „Vieleinlader“ heißen diese Personen im Jargon der Ermittler. Ein Teil der
       Eingeladenen sei nicht in den Iran zurückgekehrt, sondern habe in
       Deutschland Asyl beantragt, wie die Ermittler in den Akten festgehalten
       haben.
       
       Anfang 2017 scheinen Mitarbeiter der deutschen Botschaft Verdacht geschöpft
       zu haben, dass da was nicht stimmt. Ein anonymes Schreiben in persischer
       Sprache ging bei der Botschaft ein. Darin heißt es, Frau S., die
       Schwiegermutter des deutschen Stabsfeldwebels, helfe bei der Schleusung von
       Iranern nach Deutschland. Sie profitiere davon, dass ihre Tochter mit einem
       deutschen Uniformträger verheiratet sei. So kamen die Ermittlungen offenbar
       ins Rollen.
       
       Das Ermittlungsverfahren Barett läuft seit fast zweieinhalb Jahren. Im
       Januar 2019 haben die Hamburger Bundespolizisten ihren Abschlussbericht
       geschrieben, die Hamburger Staatsanwaltschaft kümmert sich darum. „Die
       Ermittlungen zu diesem Komplex sind noch nicht abgeschlossen“, teilte eine
       Sprecherin auf Anfrage mit. Ob und gegebenenfalls gegen wie viele
       Beschuldigte Anklage erhoben werde, könne noch nicht gesagt werden. Für
       eine Verurteilung wegen gewerblicher Schleppertätigkeit müsste den
       Beschuldigten vor Gericht nachgewiesen werden, dass sie an den Schleusungen
       persönlich etwas verdient haben. Das dürfte sich nicht so leicht gestalten.
       
       24 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Buchen
       
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