# taz.de -- Der Hausbesuch: Die Techniktrainerin
       
       > In einer kleinen Ecke des Internets ist Caroline Sinders zu Hause. Von
       > dort aus will sie die Welt ein bisschen fairer machen.
       
 (IMG) Bild: Sie mag die Energie in Berlin, sagt Caroline Sinders
       
       Ginge es nach Caroline Sinders, würden alle mehr über Algorithmen, Daten
       und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft nachdenken. Sie sammelt
       feministische Texte, auf deren Grundlage sie Algorithmen trainieren will.
       Für sie ist das Wissenschaft und Kunst und Protest.
       
       Draußen: Erst seit ein paar Monaten wohnt die US-Amerikanerin in Berlin.
       Deutsch versteht sie nicht, sie unterhält sich auf Englisch. Die Wohnung
       liegt in einer ruhigen Straße und ist gesäumt von Laubbäumen. Auf dem
       Balkon ein Sack Blumenerde.
       
       Drinnen: Eine grüne Oase. In ihrer Wohnung stehen und hängen 27
       Topfpflanzen, eine davon baumelt kopfüber herunter. Sie gehören einem
       Freund, er hat sie dagelassen, als sie die Wohnungen getauscht haben: Er
       ist in ihre New Yorker, sie in seine Berliner Wohnung gezogen („Aber ich
       habe die Pflanzen sehr lieb gewonnen“). Sinders geht in die Hocke und kehrt
       vertrocknete Blätter auf. Auf einem Sideboard Bücher mit englischen Titeln,
       übersetzt: „Wächter des Internets“ und „Protest, die Ästhetik des
       Widerstands“.
       
       Das Erste: Wenn sie aufwacht, öffnet sie auf ihrem Handy mit Glitzerhülle
       ihre Mails. Das Postfach sei morgens immer voll mit Nachrichten, die Leute
       in den USA an sie gesendet haben. Wegen der Zeitverschiebung dann, wenn sie
       schläft („In New York sind sie sechs Stunden hinterher.“) Auch während des
       Gesprächs hat sie ihr Smartphone immer griffbereit, scrollt, schreibt
       Nachrichten.
       
       Jung und privat: Etwas über 30 ist Caroline Sinders. Ihr genaues Alter
       verrät sie den meisten Menschen nicht. Nicht weil ihr Alter ihr etwas
       ausmachen würde, sondern weil sie sich Gedanken darüber macht, was von ihr
       an die Öffentlichkeit dringt. In Deutschland fühle sie sich auch deshalb
       wohl, unter Gleichgesinnten, weil viele ihre digitale Privatsphäre genauso
       ernst nähmen wie sie.
       
       Das tut sie: „Make Cyber Great Again“ steht auf einem Aufkleber, den sie an
       ihren Bildschirm geklebt hat. Oft arbeitet sie von zu Hause aus. Seit
       eineinhalb Jahren hauptsächlich daran, einen feministischen Datensatz zu
       erschaffen. Sie sammelt feministische Texte, auf deren Grundlage dann
       Algorithmen trainiert werden können – so will sie unsere Gesellschaft ein
       bisschen besser, ein bisschen fairer machen. Ihre Projekte betreibt sie als
       Künstlerin, Aktivistin, Wissenschaftlerin.
       
       Das tat sie: Vor ihrer Arbeit an dem feministischen Datensatz hat sie
       Twitter, Reddit und andere soziale Netzwerke nach Hasskommentaren
       durchforstet, sie archiviert und analysiert. Kurz vor der Wahl Trumps zum
       Präsidenten hat sie sich dabei auf die amerikanische Alt-Right-Bewegung
       konzentriert: stunden-, tage-, wochenlang rechte Kommentare gelesen. Daraus
       sei auch ein Onlinewörterbuch entstanden, das eine amerikanische
       Bürgerrechtsorganisation für ihre Arbeit in der Rassismusbekämpfung
       benutze.
       
       Positiver Dreh: Zu dieser Zeit sei sie von vielen „tollen Frauen, die mit
       Datenmaterial arbeiten“ umgeben gewesen. Auch davon inspiriert, dachte sie:
       „Oh Gott, ich sammle so viel Hassreden. Ich will das intellektuelle
       Gegenstück dazu erschaffen.“
       
       Die Lösung: Sie will einen feministischen Chatbot entwickeln. Ein Chatbot
       ist eine Software, die eine Unterhaltung mit einem menschlichen Gegenüber
       simulieren kann. Eine solche künstliche Intelligenz lernt durch die Daten,
       mit denen sie gefüttert wurde, mit dem Menschen zu interagieren. Denn
       „Daten sind die DNA maschinellen Lernens. Und sie sind überall.“
       
       Die Archivarin: Um einen feministischen Chatbot zu erschaffen, braucht sie
       zuerst feministische Daten. Nur so kann sie ihn trainieren. Der
       feministische Datensatz soll dann aber allen zur Verfügung stehen, die
       damit arbeiten und experimentieren wollen („Im Grunde wird das eine große
       Onlinebibliothek, eine feministische“).
       
       Das Wie: Was sind feministische Daten? Wie die Texte auswählen? „Ich kann
       nicht diejenige sein, die allein entscheidet, welches feministische Texte
       sind und welche nicht – das würde der feministischen Idee entgegenstehen“,
       sagt sie. Deshalb macht sie Workshops („viele unterschiedliche an vielen
       unterschiedlichen Orten“), um gemeinsam mit anderen passende Texte zu
       finden. Der Datensatz soll so divers wie möglich werden.
       
       Diskriminiert: Der Grund, warum sie ihr Projekt so wichtig findet:
       Künstliche Intelligenzen können nur so gut sein wie die Daten, auf denen
       sie basieren. Da kann einiges schiefgehen. Zum Beispiel: „Software zur
       Gesichtserkennung ist schlecht darin, Hautton und Gender zu erkennen.“ Wenn
       die Software dann an Grenzübergängen eingesetzt wird, kann es sein, dass
       People of Color weniger gut erkannt werden, weil der Algorithmus
       hauptsächlich gelernt hat, weiße Gesichter zu identifizieren. „Stell dir
       nur das emotionale Trauma vor, das eine betroffene Person an der Grenze
       durchmacht, wenn der Algorithmus sie nicht erkennt“, sagt Sinders. Wer aber
       nicht erkannt wird, stehe schnell im Verdacht, nicht zu existieren oder
       illegal zu sein. Machtstrukturen würden so weiter verfestigt.
       
       Zukunft: Sie will erreichen, dass sich Menschen über Daten Gedanken machen.
       Denn diese werden immer wichtiger, werden immer mehr Einfluss auf uns
       haben. Sinders will mit ihrem Projekt auch zeigen, dass es „schrecklich
       viel Arbeit“ sein kann, „gute Daten“ zu sammeln, um künstliche
       Intelligenzen zu trainieren. „Aber ethisch vertretbare Datensammlungen sind
       den Aufwand wert“, findet sie.
       
       Gemeinsam: Bei den Workshops diskutiert sie mit den Teilnehmenden, welche
       Texte geeignet sind und in den Datensatz aufgenommen werden sollten. Oft in
       Kooperation mit Institutionen, um viele unterschiedliche Menschen zu
       erreichen. So hat sie einen im Londoner Victoria and Albert Museum
       veranstaltet, einen auf der Berliner Digitalkonferenz Republica, einen in
       einem New Yorker Buchladen der queeren Community.
       
       Pause: Mittlerweile habe sie so viele Textvorschläge angesammelt, dass sie
       mit den Workshops erst einmal pausiere. Schließlich müsse sie alle Texte
       erst selbst lesen, bevor sie sie in den Datensatz aufnehme. „Was noch viel
       schlimmer ist: Ich habe angefangen, all die Bücher zu kaufen.“ Wirklich
       schlimm findet sie das in Wahrheit aber doch nicht: „Erschaffen bedeutet
       eben auch, Geld auszugeben.“
       
       Leben: Sie gähnt, entschuldigt sich, „ich habe anstrengende Wochen hinter
       mir“. Nicht nur wegen all der Texte, sondern da war auch die Trennung von
       ihrem Freund, dann die Versöhnung. Und dann noch, dass innerhalb von zwei
       Wochen zwei Freunde gestorben sind.
       
       Kleine Ecke: Ihre Eltern, die in Louisiana leben, verstünden nicht, woran
       genau ihre Tochter arbeitet. Obwohl ihnen das Internet nicht fremd sei und
       sie in technischen Berufen arbeiteten. Sie hat versucht, es ihnen zu
       erklären. Das habe nicht geklappt – aber das findet sie okay. „Schließlich
       ist es ein sehr spezieller Teil des Internets,“ mit welchem sie sich
       beschäftigt, „nur eine kleine Ecke“.
       
       Das denkt sie: „Ich mag die Energie hier“, sagt sie über Berlin. Dort
       lebten viele Menschen, die sich mit Menschenrechten auseinandersetzen und
       sich dafür einsetzten. So wie sie auch. „Es gibt so viel zu tun, Kultur,
       Kunst, Politik.“ Und die Berliner fühlten sich befugt, zu kritisieren und
       sich zu wehren. „Jede Woche kann man auf eine Demonstration gehen, wenn man
       will.“ Auch deshalb will sie in der deutschen Hauptstadt bleiben („solange
       ich darf“). Bald muss sie ihr Visum verlängern.
       
       21 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lisa Becke
       
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