# taz.de -- Kolumne Lost in Trans*lation: Berlin, du Unsichere
       
       > Die LGBTI-Community feiert gerade 50 Jahre Widerstand gegen die homophobe
       > Staatsgewalt. Ausgerechnet jetzt müssen wir Angst haben.
       
 (IMG) Bild: Wer hat Angst vorm öffentlichen Kuss? Internationaler Tag gegen Homophobie in Frankreich, 2016
       
       Ausgerechnet im Pride-Monat kam es in Berlin zu drei homophoben
       Übergriffen. Erst wurde ein lesbisches Paar tagsüber auf der Straße von
       einem Mann getreten und geohrfeigt. Dann wurde eine lesbische Frau von
       einer Gruppe Männer belästigt und angegriffen.
       
       Der Übergriff, der am meisten Aufsehen erregt hat, war aber zweifellos der,
       der sich in einem libanesischen Imbiss am Kottbusser Tor in Kreuzberg
       ereignete. Ein homosexueller Ägypter berichtete auf Facebook: Er sei am
       15. Juni mit einer Freundin in das Restaurant gegangen und habe auf
       Arabisch bestellt. Ein Angestellter habe ihm ein falsches Sandwich gegeben,
       und als der Mann es zurückgehen ließ, sei der Mitarbeiter aggressiv
       geworden. Er habe ihn als „verweiblicht und nuttig“ beschimpft und sei ihm
       gefolgt, als der Kunde den Imbiss verlassen habe. Dort habe der Angestellte
       minutenlang auf ihn eingeprügelt.
       
       In seinem Statement auf Facebook schrieb der Mann später, er sei
       angegriffen worden, weil er Arabisch gesprochen habe. Wenn er Englisch oder
       Deutsch gesprochen hätte, so seine Vermutung, wäre es nicht zu dem
       Übergriff gekommen. Die Polizei sei erst 15 Minuten später eingetroffen.
       Warum geht der Mann davon aus, dass er angegriffen wurde, weil er Arabisch
       gesprochen hat? Wohl, weil dieser Angestellte blind vor Wut war, sich
       dachte: „Jemand, der Arabisch spricht, kann nicht schwul sein.“
       
       Dass sich diese Angriffe zum [1][50. Jahrestag des Stonewall-Aufstands]
       ereigneten, ist besonders bedenklich. Warum LGBTI-Vereine zu den
       Übergriffen schwiegen, kann ich mir nicht erklären. Dabei begann genau vor
       50 Jahren der selbstbewusste Widerstand gegen die patriarchale und
       staatliche Gewalt in New York. Auch in der Presse haben die homophoben
       Angriffe während des Pride-Monats nicht ausreichend Widerhall gefunden.
       Über den Vorfall in dem libanesischen Restaurant wurde auch in dieser
       Zeitung nicht berichtet.
       
       Dabei sind das keineswegs Einzelfälle. Im vergangenen Jahr wurden dem
       Berliner Anti-Gewalt-Projekt [2][Maneo] mehr als 380 Übergriffe auf queere
       Menschen gemeldet. Das ist ein neuer Rekord – und man muss davon ausgehen,
       dass die Dunkelziffer weit höher ist.
       
       Ist also Berlin für LGBTI-Personen nicht mehr sicher? Muss ich mir als
       trans Frau, Journalistin und Feministin Sorgen machen, wenn ich in dieser
       Stadt lebe? Seit diesen Angriffen bin ich [3][angespannt], wenn ich auf die
       Straße gehe. Ich steige in keinen Bus ein, der leer ist oder in dem nur
       Männer sitzen. Abends bleibe ich nicht bis in die späten Stunden draußen.
       Nachts steige ich nicht in die U-Bahn, wenn ich alleine unterwegs bin.
       
       Doch warum sollen LGBTI-Personen, Frauen und Kinder Vorsichtsmaßnahmen
       treffen, wenn sie auf die Straße gehen? Dass wir fürchten müssen, auf
       Berlins Straßen männlicher Gewalt, Belästigung, Vergewaltigung oder
       Hassverbrechen ausgesetzt zu sein, ist eine Schande.
       
       Aus dem Türkischen: Elisabeth Kimmerle
       
       5 Jul 2019
       
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 (DIR) Michelle Demishevich
       
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