# taz.de -- Miese Fehlerkultur: Jugendamt will keine Kontrolle
       
       > Ein Mitarbeiter des Jugendamtes setzt Mutter unter Druck, die ihren Fall
       > einer Forschungsstelle schilderte. CDU-Mann Marcus Weinberg kritisiert
       > das.
       
 (IMG) Bild: Sprach mit Betroffenen und setzte sich für die Forschungsstelle ein: Marcus Weinberg (CDU)
       
       HAMBURG taz | Das Jugendamt Hamburg-Nord hat eine Mutter aufgefordert,
       keine Daten an ein Forschungsprojekt zu geben, das der Deutsche Bundestag
       beauftragt hat. Der Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg (CDU) kritisiert
       das scharf, denn immerhin wurde diese Anlaufstelle vom Parlament auf den
       Weg gebracht, um „gesetzgeberischen Handlungsbedarf“ zu identifizieren.
       
       Der aus Hamburg stammende Familienpolitiker Weinberg engagiert sich für
       diese Aufarbeitung, weil sein Büro seit 2017 Hunderte Beschwerden
       erreichten, etwa über Kinder, die unglücklich in Heimen sitzen, oder
       Mütter, denen man wegen fragwürdiger Anlässe das Sorgerecht entzog. Aber
       auch Pflegeeltern, Anwälte und Jugendamtsmitarbeiter berichteten ihm über
       „erhebliche Probleme“ des Jugendhilfesystems.
       
       Weinberg versprach eine Kommission, die sich dieser Fälle annimmt. Anfang
       Februar brachten CDU und SPD gemeinsam das Forschungsprojekt
       „Hochproblematische Kinderschutzverläufe – den Betroffenen eine Stimme
       geben“, auf den Weg, dessen Erkenntnisse Grundlage für Reformen sein soll.
       
       Vom 25. April bis 30. Juni konnten Betroffene ihren Fall entweder online
       über eine Eingabemaske oder per Post, Mail oder Telefon vier
       Sozialarbeitern des Instituts IKJ ProQualitas in Mainz schildern. Laut
       einer Anfrage der Linken im Bundestag hatten sich schon nach der Hälfte der
       Zeit 472 Personen gemeldet. Geplant sei nun, für einige Fälle
       Rekonstruktionen durchzuführen und mit den Betroffen Interviews zu führen.
       
       ## Amt fordert Aussprache
       
       Auch Frau W. aus Hamburg-Nord, die erbittert und erfolgreich um das
       Sorgerecht ihres Sohnes stritt, schilderte in der Maske so gut es ging
       ihren Fall, erhielt vom Institut eine Bestätigung und eine
       Bearbeitungsnummer. Ein persönliches Feedback bekam sie noch nicht. Dafür
       aber nun kürzlich ein Schreiben ihres Jugendamts. Die von ihr zuletzt
       vorgebrachten Ausführungen „bedürfen einer Aussprache“, schreibt ein
       Mitarbeiter und bittet die Frau „keine weiteren Infos ohne unser
       Einverständnis an eine ,Forschungsgruppe' zu senden“.
       
       Die Mutter wandte sich an Wolfgang Hammer, ein Jugendhilfeexperte, der
       Mitglied im Beirat des Deutschen Kinderhilfswerks ist und sich für die
       Aufarbeitung engagiert. Der ist empört. Denn die Forschungsstelle gewinne
       nur Erkenntnisse, wenn die Betroffenen ihre Fälle „ungefiltert“ an sie
       herantragen können.
       
       „Das ist allen Betroffen auch zugesichert worden“, sagt Hammer. Die
       Jugendämter dürften die Betroffenen nicht unter „Beratungsdruck“ setzen.
       Hammer wandte sich an das Institut und bat dieses, ein „aufklärendes
       Schreiben“ an das Jugendamt aufzusetzen.
       
       ## Mitarbeiterdaten seien zu schützen
       
       Die taz erhielt vom Institut bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme. Das
       Bezirksamt Nord indes beteuert, dass es Forschungsvorhaben „befürwortet und
       unterstützt“. Das Amt habe jedoch gleichzeitig drauf zu achten, dass
       „persönliche Daten von Mitarbeiterinnen“ geschützt sind, so Sprecherin
       Annekatrin Werner. Den Kunden stünde es natürlich frei, ihre Daten
       weiterzugeben.
       
       Auch die Hamburger Sozialbehörde stellt die Sache als Datenschutzfrage dar.
       Es sei in einem Fall die Bitte geäußert worden, „persönliche Angaben“, die
       Mitarbeiter identifizierbar machten, „unkenntlich zu machen“, so Sprecher
       Martin Helfrich. Denn deren Daten seien geschützt .
       
       Nach taz-Information gibt es vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages
       divergierende Einschätzungen. Nach der einen ist die Datenweitergabe von
       Jugendamtspapieren für reine Forschungszwecke im geschlossenen Rahmen
       zulässig. Nach einer strengeren nicht.
       
       Ziehe eine Behörde hier nun plötzlich die Datenschutzkarte und verlange
       etwa die Schwärzung von Unterlagen, „wird nachträglich eine
       Hochschwelligkeit in ein Forschungsvorhaben eingeführt, dass nur
       niedrigschwellig gelingen kann“, warnt Sozialwissenschaftler Hammer.
       
       ## Selbstkritische Fehlerkultur fehlt
       
       Marcus Weinberg wird noch schärfer: Er frage sich, „was ein einzelnes
       Jugendamt zu verbergen hat, wenn es den Aufwand betreibt, einer Betroffenen
       zu untersagen, sich an diese Anlaufstelle zu wenden“. Ein gutes Jugendamt
       zeichne sich durch eine selbstkritische Fehlerkultur und „Bewusstsein für
       die Gefahren eines Machtgefälles zwischen Amt und Betroffenen aus“, sagt
       er.
       
       Seine SPD-Kollegin Ulricke Bahr äußert sich etwas diplomatischer: „Der
       Dialogprozess zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe möchte
       Betroffenen eine Stimme geben“, sagt sie. Dazu sei die Forschungsstelle
       eingerichtet. Es gehe nicht darum, „einzelne Mitarbeiter oder Jugendämter
       anzuschwärzen oder gar anzuklagen, sondern sorgfältig zu analysieren, wo es
       im System Schwachstellen gibt.
       
       „Ich bin überzeugt“, sagt Bahr, „dass auch das Jugendamt Hamburg-Nord dies
       unterstützen wird, wenn ihm der Auftrag der Forschungsstelle nochmals
       sachlich erläutert wird.“
       
       ## Institut sieht Projekt nicht gefährdet
       
       Nach einer urlaubsbedingten Verzögerung hat auch das Institut IKJ in Mainz
       auf die Fragen der taz geantwortet. Der Hamburger Fall sei dort bekannt und
       möglicherweise darauf zurück zu führen, dass das Jugendamt nicht
       ausreichend informiert war.
       
       „Uns sind keine weiteren solcher Fälle bekannt“, erklärt Niklas Helsper vom
       Team der wissenschaftlichen Anlaufstelle. „Sollten in Einzelfällen
       Jugendämter Betroffenen nahegelegt haben, Informationen nicht an die
       Forschungsstelle weiterzugeben, stünde dies einem Grundanliegen dieses
       Forschungsvorhabens entgegen“. Es gehe darum, den Betroffenen eine
       „ungefilterte“ Stimme zu geben.
       
       Das Gesamtziel des Projektes würde dadurch aber nicht gefährdet, sagt
       Helsper. Denn insgesamt hätten über 700 Betroffene ihre Fälle eingebracht.
       Und damit stünde eine ausreichende Menge an Informationen zur Verfügung, um
       die Bedarfe der Betroffenen „wissenschaftlich fundiert abzuleiten“.
       
       Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde aktualisiert. In der
       ursprünglichen Fassung fehlte die Stellungnahme des Instituts IKJ.
       
       26 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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