# taz.de -- Menschliches Mitgefühl: Weinen ist gesund
       
       > Unser Autor wird zunehmend emotionaler. Wut, Angst und Freude wechseln
       > sich in rasender Geschwindigkeit ab. Empathie besitzt er trotzdem nicht.
       
 (IMG) Bild: Unser Autor wurde bei der Frauenfußball-WM auch vor dem Bildschirm ganz emotional
       
       Der alternde Mann hat es weniger leicht, als viele denken. Die Hormone
       spielen verrückt, der Andropausenclown versteht die Welt nicht mehr. Die
       Frau ist weg, und sein bester Freund ist nun der Urologe.
       
       Während der Fußball-WM der Frauen ist es besonders schlimm. Nach Spielende
       muss ich jedes Mal weinen. Die Siegerinnen freuen sich so schön
       authentisch. Und es menschelt wie verrückt: Eine jubelnde Niederländerin
       geht zu einer weinenden Japanerin, und dann weinen auf einmal beide, also
       auch die Siegerin. Vor dem Fernseher fange ich nun ebenfalls zu weinen an,
       vor lauter Begeisterung über so viel Empathie.
       
       Ich weiß, das ist im Klimawandel nicht vernünftig, aber ich bin zunehmend
       nah am Wasser gebaut. Manchmal kippt so eine Heulsusenphase direkt in wilde
       Wut um, wahlweise auch in Hunger, Angst oder witzig gemeinte Rundmails, die
       am Ende doch bloß peinlich sind. Die Hormone spielen verrückt: weicher
       Schwanz und weiche Birne (erstaunlich, dass ich diese Zeile in der Melodie
       der Nationalhymne denke, als hätte sich mir hier en passant die Essenz der
       deutschen Seele erschlossen).
       
       Die Männer, die verlieren, weinen auch manchmal, aber eher vor Zorn und
       Enttäuschung wie verwöhnte Kinder. Der Schiedsrichter ist schuld, das Pech,
       der Rasen und natürlich Mama. Mama ist gemein. Böse Mama. Die Sieger
       spenden nur dann Trost, wenn sie glauben, dass ein Emo-Image ihnen mehr
       Likes auf Twitter generiert. Sonst lassen sie die Loser einfach links
       liegen wie sterbende Bergkameraden auf dem Everest: The winner takes it all
       …
       
       ## Pathos, Kitsch und Sentimentalität
       
       Auch ich besitze keinerlei echte Empathie. Die werden schon zu Recht
       verloren haben, da brauchen sie jetzt nicht rumzuheulen. Hätten sie halt
       mehr zeigen müssen als bloß so ein Hacke-Spitze-eins-zwei-drei. Von der
       Stirne heiß / rinnen muss der Schweiß.
       
       Nein, ich bin nur gerührt über so viel menschliches Mitgefühl.
       Rührseligkeit ist der hässliche kleine Bruder des Mitgefühls, eine
       selbstverliebte Wegwerfregung, nutzlos und asozial, die nichts kostet und
       nichts verlangt. Pathos, Kitsch und Sentimentalität sind nicht umsonst das
       emotionale Rüstzeug des Faschismus. Wie ein Parasit docke ich direkt an die
       fremden Empfindungen an und sauge sie aus, um mich daran zu laben.
       
       Doch Weinen ist nun mal gesund. Es schwemmt die Bitterstoffe aus Körper,
       Geist und Seele. Ein wenig Eigenliebe ist wichtig. Sonst verhärtet man nur
       ungut, wie so viele gleichaltrige Männer, die dann auf dem rechten Auge an
       grauem Wolf erblinden und die Partei Andropause fickt Deutschland wählen.
       
       „Kto nigdy chleba andropauzowego swego nie jadł z płaczem …“, pflegt mein
       Urologe Zbigniew zu diesem Phänomen zu sagen. „Wer nie sein Andropausenbrot
       mit Tränen aß; wer nie den Kelch des steten Weinens musste schlürfen; wer
       niemals schluchzend vor dem Bildschirm saß, der klagt in einem fort, ‚das
       wird man ja noch sagen dürfen‘.“
       
       30 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uli Hannemann
       
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