# taz.de -- Parlamentsauflösung in Kanada: Für Trudeau geht's ums Ganze
       
       > In Kanada hat der Wahlkampf begonnen. Der wegen Skandalen umstrittene
       > Premierminister muss im Oktober um seine Wiederwahl bangen.
       
 (IMG) Bild: Trudeaus Begeisterung soll anstecken. Aber bei der Wahl könnte es knapp für ihn werden
       
       VANCOUVER taz | Am Anfang des Tages stand eine Stippvisite im Palast der
       Generalgouverneurin in Ottawa, danach begann für Justin Trudeau der Kampf
       ums politische Überleben. Auf Bitten Trudeaus hatte die Vertreterin Ihrer
       Majestät in Kanada, Julie Payette, am Mittwoch das Parlament aufgelöst und
       damit den traditionellen Startschuss für den Wahlkampf im zweitgrößten Land
       der Erde gegeben.
       
       „Die Kanadier haben eine wichtige Entscheidung zu treffen“, sagte Trudeau
       nach dem Palastbesuch. Bei der Wahl gehe es darum, ob Kanada unter seiner
       Führung weiter vorankomme oder zu den gescheiterten Konzepten der
       Vergangenheit zurückkehre. „Wir haben viel zusammen erreicht in den letzten
       vier Jahren, doch das war erst der Anfang“, versprach der Premier. Kurz
       danach flog Trudeau weiter nach Vancouver zu einer ersten Rallye seiner
       liberalen Partei. Der Premier hat keine Zeit zu verlieren. Bis zum Wahltag
       am 21. Oktober will er versuchen, das Ruder herumzureißen und seine
       Landsleute zu überzeugen, dass er auch in den nächsten vier Jahren der
       Richtige ist an der Spitze der Regierung.
       
       Das wird für Trudeau ein hartes Stück Arbeit. Umfragen sagen ein
       Kopf-an-Kopf-Rennen der Liberalen mit der konservativen Opposition voraus,
       wobei sich Trudeaus Beliebtheitswerte, die durch [1][Skandale, Affären und
       negative Schlagzeilen] abgestürzt waren, zuletzt [2][wieder leicht erholt
       haben].
       
       Trudeau war vor vier Jahren an die Macht gekommen und galt lange als
       politischer Senkrechtstarter und liberale Lichtgestalt. Er hatte
       versprochen, das Land zu modernisieren, den Ureinwohnern mehr Rechte zu
       geben, den Klimawandel zu bekämpfen und das Land für Zuwanderer und
       Flüchtlinge offen zu halten. Sein jugendlich-eloquenter Auftritt und sein
       einnehmendes Wesen überstrahlten dabei lange alles. Trudeau setzte sich
       immer wieder in Szene mit Selfies und bunten Socken und sah sich als eine
       Art Gegenpol zu US-Präsident Donald Trump. Er trat auf bunten
       Christopher-Street-Day-Paraden auf, besetzte sein Kabinett zur Hälfte mit
       Frauen und legalisierte Marihuana.
       
       ## Schwere Zeiten und ein jüngerer Rivale
       
       Doch nach etwa der Hälfte der Legislaturperiode begann sein Stern zu
       verblassen. Bei einer offiziellen Indien-Reise trat Trudeau samt Familie in
       traditionellen indischen Gewändern auf, was ihm Hohn und Spott einbrachte.
       Eine Urlaubsreise auf die Privatinsel eines Milliardärs in der Karibik
       endete als PR-Desaster. Noch schwerer wiegen seine ethischen Verfehlungen,
       von denen er sich bis heute nicht erholt hat. In der SNC-Lavalin-Affäre
       hatte Trudeau seine Ex-Justizministerin unter Druck gesetzt, um dem
       gleichnamigen Unternehmen bei einem Korruptionsprozess zu helfen. Zwei
       seiner wichtigsten Ministerinnen verließen aus Protest sein Kabinett und
       wurden später von Trudeau aus der Partei verbannt, was seinem Image als
       „Feminist“ schadete. Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Bundespolizei eine
       der Ex-Ministerinnen interviewt hat, eine Tatsache, die am Ende zu formalen
       Ermittlungen gegen den Premierminister führen könnte.
       
       Im Wahlkampf wird nun viel davon abhängen, ob es Trudeau gelingt, die
       Affäre abzustreifen. Im Vordergrund seiner Kampagne stehen soziale,
       wirtschaftliche und ökologische Themen: Unter anderem will Trudeau die
       Armut bekämpfen, Familien mit Kindern stärker fördern, das Wachstum
       ankurbeln, die medizinische Versorgung mit Medikamenten verbessern und eine
       Art Klimasteuer einführen.
       
       Profitieren könnte Trudeau von den guten Wirtschaftsdaten. Die
       Arbeitslosenquote Kanadas liegt bei 5,7 Prozent und ist damit so niedrig
       wie seit 40 Jahren nicht mehr. Bei seinem Amtsantritt vor vier Jahren waren
       es noch 7 Prozent.
       
       Mit seiner jugendlichen Frische wird Trudeau anders als 2015 allerdings
       nicht mehr punkten können, denn sein politischer Hauptgegner ist sieben
       Jahre jünger als er. Andrew Scheer, der Parteichef der Konservativen, ist
       40 Jahre jung und tritt als personifiziertes Gegenmodell zu Trudeau auf.
       Scheer will Zuwanderung begrenzen, Umweltsteuern stoppen und umstrittene
       Ressourcenprojekte vorantreiben. Bei vielen Kanadiern gilt Scheer als blass
       und unscheinbar, was ihm im Wahlkampf aber eher nützen könnte, denn so wird
       er oft als solide Alternative zum affärengeplagten Premier
       wahrgenommen.
       
       ## Das Bild des Öko-Premierministers ist angekratzt
       
       Problematisch für Trudeau ist das mögliche Erstarken der Grünen, die vor
       allem in der westlichen Provinz British Columbia mit Zuwächsen rechnen
       können. Mit der Förderung der [3][umstrittenen Trans-Mountain-Ölpipeline
       nach Vancouver] hatte sich Trudeau dort den Ärger vieler Unterstützer
       zugezogen und sein Versprechen nach einer konsequenten Klimapolitik
       untergraben.
       
       Als unfreiwilliger Wahlhelfer für Trudeau könnte sich dagegen die neue
       rechtspopulistische People’s Party des Abgeordneten Maxime Bernier
       erweisen, die erstmals antritt. Bernier will Kanada mit einem scharfen
       Antiimmigrationskurs an die USA heranrücken und könnte den Konservativen
       entscheidende Stimmen abjagen.
       
       12 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Jörg Michel
       
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