# taz.de -- Die Wanderroute „Der Fünfte See“: Alte Wege neu belebt
       
       > Die katalanischen Vorpyrenäen fanden bisher bei Reisenden wenig
       > Beachtung. Um ihre Region zu beleben, wurde eine Wanderroute geschaffen.
       
 (IMG) Bild: In dem See bei Pablo de Segur spiegelt sich die Landschaft
       
       Die frühsommerliche Luft ist noch angenehm kühl, als wir uns von La Pobla
       de Segur in der spanischen Provinz Lleida aufmachen, die katalanischen
       Vorpyrenäen zu erwandern. Bald knirscht rotes, scharfkantiges Gestein unter
       unseren Füßen, der schmale Pfad windet sich steil den Hang hoch.
       Dornenbewehrte Pflanzen rechts und links des Weges weisen auf den
       mediterranen Einfluss hin. Nach kurzer Zeit eröffnet sich uns der Ausblick
       auf die umliegenden Berghänge.
       
       Die Vorpyrenäen sind weitgehend unbekannt. Die meisten Touristen passieren
       sie zügig auf dem Weg in die Hochpyrenäen, zum Nationalpark Aigüestortes i
       Estany de Sant Maurici, einem Aushängeschild der Pyrenäen. Mireia Font i
       Vidal ist in einem kleinen Ort in der Nähe von La Pobla de Segur
       aufgewachsen. Sie führt ein kleines Landhotel, das sie von ihrem Großvater
       übernommen hat. Schon lange suchte sie nach einem Anreiz, Touristen für
       mehr als nur einen kurzen Stopp zum Bleiben zu bewegen und ihnen die
       Schönheit ihrer Heimat zu zeigen.
       
       Im Jahr 2009 kam ihr die Idee, einen Rundwanderweg zu kreieren. Mireia,
       Mutter dreier Kinder von 12, 10 und 5 Jahren, trommelte alle zusammen, die
       dazu beitragen konnten, ihre Idee Wirklichkeit werden zu lassen: alte
       BewohnerInnen, die sich mit Traditionen und Mythen auskennen, Landwirte,
       Hirten, Historiker, Biologen, Geografen, Schriftsteller und Botaniker, um
       nur einige zu nennen.
       
       Auch unter den Anbieter*innen ländlicher Unterkünfte warb sie für ihre
       Idee. Gemeinsam arbeiteten sie eine Wanderroute aus, die teilweise alten
       Hirtenpfaden folgt. 2011 hatten sie eine fünftägige Route entwickelt, der
       sie den Namen Der Fünfte See, auf Katalanisch El Cinquè Llac gaben. Im
       gleichen Jahr kamen auch schon die ersten WanderInnen.
       
       Zurück im Jetzt: Außer uns brechen zwei Paare aus den Niederlanden und
       Spanien auf. Ansonsten begegnen wir niemandem. Einzig der Ruf des Kuckucks
       unterbricht die Stille hin und wieder. Ziel der ersten Etappe ist das
       kleine Örtchen Peamera. Kurz vor Erreichen von Peamera überqueren wir die
       Bergkette von Peracalç, im Volksmund „Die schlafende Riesin“ genannt.
       
       In Peamera wohnen wir bei Jaume und seiner Familie. Jaume studierte
       Betriebswirtschaft, arbeitet aber heute als Landwirt. Die Milch seiner Kühe
       lässt er zu Käse verarbeiten. Nebenbei vermietet er Zimmer an
       Tourist*innen. Vor dem Abendessen lädt er uns und das niederländische und
       das spanische Paar in den Gewölbekeller seines Hauses ein.
       
       ## Käse aus eigener Produktion
       
       Das Haus stammt aus dem 15. Jahrhundert, seine Familie bewohnt es von
       Beginn an. Er gehört der zwölften Generation an. Voller Energie zeigt er
       uns die Vorrichtungen, mit denen seine Vorfahren Brot backten, Wein
       kelterten, und wo sie sich vor Angreifern versteckten. Auf einem Tisch hat
       er verschiedene Sorten Käse aus eigener Produktion, Brot und Wein
       aufgebaut. Wir zögern nicht und greifen zu.
       
       Am nächsten Tag begleitet uns ein treu blickender Hund. Es kostet einige
       Überzeugungskraft, ihn zum Umkehren zu bewegen. Zunächst säumen
       Holundersträucher, Eschen, Weißdorn und Feigen den Wanderpfad, ehe er sich
       wieder in die Höhe schraubt. Unter uns liegen die wenigen Häuser und die
       Kirche von Peamera auf einem Hügel. Schnell wird das Dorf kleiner.
       Schließlich erreichen wir eine Hochebene, in der wir unser Picknick
       ausbreiten.
       
       Den Initiatoren des Fünften Sees ist wichtig, Umwelt und Klima möglichst
       wenig zu belasten. Das Essen verpacken sie in Metallbehälter, so wie
       Bergleute es unter Tage mitnahmen. Eingeschlagen ist das frisch zubereitete
       Picknick in ein schwarz-rosa kariertes großes Tuch, das als Decke dient.
       Einzig die Wasserflasche besteht aus Plastik.
       
       Doch nicht nur das: Zehn Prozent des Preises, den die Wanderer bezahlen,
       gehen in die Erhaltung der Natur- und Kulturlandschaft. So werden zum
       Beispiel alte Trockenmauern instandgesetzt. Die Universität Breda hat
       Studierende des Bauingenieurwesens in die Vorpyrenäen geschickt, damit sie
       die alte Fertigkeit, Steinmauern mörtellos aufzuschichten, von der Pike auf
       lernen. In Barcelona hat man die Initiative bereits bemerkt und sie mit
       einigen Preisen für Umweltschutz und verantwortlichen Tourismus
       ausgezeichnet. Die Initiative hat moderaten Schwung in die Region gebracht.
       Mehr will sie auch nicht.
       
       Während des Picknicks staunen wir über den ungehinderten 360-Grad-Blick auf
       die umgebende Bergwelt. In der Ferne machen wir die Gipfel der Hochpyrenäen
       aus. Auf den gegenüberliegenden Hängen sehen wir vereinzelt kleine Dörfer
       liegen. Die Hausdächer sind mit rötlichen und grauen Tonziegeln gedeckt.
       
       In der nächsten Unterkunft erwartet uns Joan. Kaum haben wir uns gesetzt,
       versorgt er uns mit erfrischenden Getränken. Joan war sein Berufsleben und
       die Hektik von Madrid leid und kehrte in sein Elternhaus in Beranui zurück.
       Er ruht in sich selber, die Arbeit scheint ihm leicht von der Hand zu
       gehen. Zum Abendessen serviert Joan Forellen aus der Umgebung, gefüllte
       Auberginen und eine selbstgemachte Nachspeise.
       
       ## „Wir wollen keine Massen“
       
       Zwischen 2015 und 2017 verzeichnete die örtliche Touristeninformation 403
       Wanderer auf der Route. Ich frage ihn, wie mehr Menschen motiviert werden
       könnten, den Weg zu gehen. Trocken entgegnet er: „Wir wollen gar keine
       Massen anziehen. Wir möchten den Charakter unserer Gegend erhalten.“
       
       Die lokale Wirtschaft, darunter Produzenten von Schinken und Käse,
       profitiert davon, dass die Touristen nun mehrere Tage in der Gegend
       verbringen. Für Mireia ist der Gemeinschaftssinn wichtig, mit dem die
       Initiative ihr Projekt angeht. „Noch wichtiger als die Frage, wie jeder
       mehr verdienen kann, ist, wie wir alle zusammen dazu beitragen können,
       unsere Gegend intakt und attraktiv zu halten.“
       
       Sie hat festgestellt, dass die Krise von 2008 ein großes kreatives
       Potenzial in den BewohnerInnen freigesetzt hat. „Vorher arbeiteten viele
       als Angestellte, etwa in einem nahe gelegenen Wasserkraftwerk. Mit der
       Krise haben sie angefangen, sich ihrer Qualitäten bewusst zu werden und
       sich eine eigene wirtschaftliche Basis zu schaffen.“
       
       Die Aufmerksamkeit, die die Gegend mittlerweile durch die Touristen
       erfährt, hat die BewohnerInnen verändert. Positiv. Vorher waren sich viele
       der Schönheit der Landschaft und Kultur nicht bewusst. Spätestens seit auch
       ein Paar aus Hawaii zu ihnen kam, sind viele stolz auf ihre Region.
       
       Die nächste Etappe führt uns an jenen Trockenmauern vorbei, die mit den
       Beiträgen der Touristen wieder instand gesetzt wurden. In den Ritzen und
       auf der Mauerkrone wachsen Glockenblumen, Salbei, Klappertopf und viele
       weitere Blütenpflanzen und Gräser. Wir passieren die Mauern auf einem
       weichen Wiesenweg. Gerade ist ein leichter Schauer abgeklungen. Über den
       Berghang gegenüber zieht eine Regenwolke hinweg, kurze Zeit später scheint
       wieder die Sonne.
       
       Am letzten Tag ist es bereits früh am Morgen ziemlich heiß. Anfangs führt
       uns die Wanderung durch einen lichten Nadelwald, der etwas Schatten
       spendet. Immer wieder geben die Bäume den Blick auf abgeschiedene,
       bewaldete Seitentäler frei. Auf einer Weide hält eine Schäferin ihre Herde
       mit ihrem Hund in Schach. Während der Hund die Schafe umkreist, sitzt sie
       auf dem Boden und hört Musik. Freundlich erwidert sie unseren Gruß.
       
       ## Ohne Pause weiter
       
       Nach gut anderthalb Stunden erreichen wir den See Lac Montcortès, den
       Fünften See. Stellenweise säumt dichtes Schilf das Ufer. Etwas weiter weg
       steht eine Gruppe von Menschen mit den Füßen im Wasser. Ein Holzsteg ragt
       in den See hinein. Die warmen Holzbretter laden zu einer kleinen Pause ein,
       aber für den frühen Nachmittag sind Gewitter angesagt. Am Himmel zeigen
       sich bereits die ersten Wolkentürme. Also geht es ohne Pause weiter.
       
       Auf den letzten Kilometern führt die Route wieder über die Schlafende
       Riesin. Schwindelfreie Wanderer folgen anschließend einem Weg, der über
       einen schmalen Bergrücken führt und an einer steilen Stelle abrupt endet.
       Eine Art Leiter hilft, etwa vier Meter in die Tiefe zu gelangen. Wer unter
       Höhenangst leidet, kehrt auf dem gleichen Weg nach La Pobla de Segur
       zurück, auf dem die Wanderung begann.
       
       In der letzten Unterkunft, die Tina und Andreu führen, bietet ihre Terrasse
       eine gute Gelegenheit, beim Blick auf den Stausee Embassament de Sant
       Antoni die Füße hochzulegen. Am nächsten Morgen bereitet Andreu sorgfältig
       die Abschiedsgeschenke für uns vor und prägt fünf traditionelle
       Schäfer-Brandzeichen auf stabile Haselnussstöcke. Am Ende eines jeden
       Stocks ist ein geschmiedeter Haken befestigt, mit dem die Schäfer die
       Schafe an den Beinen zogen, wenn sie sich auf Abwege begaben. Manche Abwege
       sind eine Reise wert.
       
       28 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cornelia Kreutzer
       
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