# taz.de -- Energiewende versus Naturschutz in Tirol: Klimaschutz mit Folgen
       
       > Im Skigebiet Kühtai soll ein Speicherkraftwerk erweitert werden. Dafür
       > werden Täler und Flüsse in Stauseen verwandelt.
       
 (IMG) Bild: Ausbau des Speicherkaftwerks im Skigebiet Kühtai: gut für den Klimaschutz, schlecht für die Natur
       
       KÜHTAI taz | Keine Seilbahnen, keine Straßen, keine Baustellen, keine
       Hubschrauberflüge: Das 352 Quadratkilometer große Ruhegebiet „Stubaier
       Alpen“ in Tirol ist ein Ort ohne Lärm und zur Erholung – für die Menschen
       und die Natur. Denn die hat genau so einen Rückzugsraum gerade hier im
       dicht erschlossenen Tirol bitter nötig. [1][Abschreckendes Beispiel ist das
       Ötztal], wo der Söldener Skizirkus die Wälder und Wiesen auf den Hängen in
       Richtung Rettenbach- und Tiefenbachgletscher längst zerstört hat.
       
       Hart an der Grenze des Ruhegebiets liegt der Skiort Kühtai im Sellraintal.
       Auf 2.000 Meter Höhe thront hinter dem Dorf ein Stausee, der Speicher
       Finstertal, der 1981 durch einen 150 Meter hohen Wall aufgestaut wurde. Er
       speichert Wasser und erzeugt Strom. Die Anlage soll nun um ein zweites
       Pumpspeicherkraftwerk – Kühtai – und einen neuen Speichersee im
       benachbarten Längental erweitert werden.
       
       Kühtai ist bereits verbaut, hier gibt es neben der Kaiser-Bergbahn bereits
       fünf Sessel- und sechs Schlepplifte. In Längental fließt jedoch noch ein
       weitgehend natürlicher Gebirgsbach. Grüne Weiden ziehen sich die Hänge
       hoch, Kühe und Haflingerpferde laufen frei herum.
       
       Naturschützer und Anrainer sind entsetzt über die Planungen: „Es ist
       skandalös, wie wieder einmal über unsere Köpfe hinweg so ein Riesenprojekt
       durchgesetzt wird“, schimpft Günther Schöpf aus Gries. In Neustift im
       Stubaital sprachen sich in einer Volksbefragung 85 Prozent gegen das
       Projekt aus.
       
       ## Kraftwerksausbau verwandelt das gesamte Tal in einen See
       
       Vorgesehen ist ein 25 Kilometer langer unterirdischer Stollen, der das
       Wasser verschiedener Gletscherbäche aus einem weiträumigen Gebiet in den
       Stubaier Alpen aufsammeln und in den neuen Speicher einleiten soll. Der
       Staudamm wird als Steinschüttdamm mit einer zentral liegenden
       Erdkerndichtung errichtet und wird 113 Meter hoch sein. Die Erweiterung des
       Kraftwerks würde das gesamte Tal in einen See verwandeln.
       
       Die Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag) hat bereits mit dem Bau begonnen, obwohl
       viele Bauern noch gar keine Verträge haben. Die Kosten des Projekts
       betragen über 800 Millionen Euro.
       
       Die Tiwag argumentiert betriebswirtschaftlich: Das bestehende
       Pumpspeicherkraftwerk soll effizienter werden. Bei einem privatisierten
       Wasserbetrieb würde man auch nichts anderes erwarten – aber die Tiwag
       gehört zu 100 Prozent dem Land.
       
       ## Energiewende versus Naturschutz
       
       [2][Es ist der bekannte Konflikt zwischen Energiewende und Naturschutz]:
       Die Tiroler Regierung ist in der Pflicht, die Energiewende in Österreich
       mitzutragen und umzusetzen. Deshalb seien die geplanten Projekte in der
       Umweltverträglichkeitsprüfung 2014 „schlicht durchgewunken“ worden, sagt
       die Bürgerinitiative „Wilde Wasser erhalten Tirol“. Das Tiroler
       Naturschutzgesetz sei eigens geändert worden, um das Großprojekt zu
       ermöglichen.
       
       Auch die deutschsprachigen Alpenvereine wehren sich gegen das Projekt. Nach
       wiederholten Beschwerden hat das österreichische Bundesverwaltungsgericht
       als höchste Instanz die Umweltverträglichkeit des Vorhabens im Frühsommer
       allerdings erneut bestätigt.
       
       Die Alpenvereine suchen nun mit der Kampagne #unserealpen den Weg in die
       Öffentlichkeit. Sie wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie schön und
       notwendig die Naturräume sind und wie Natur- und Klimaschutz
       zusammengehören.
       
       Im Sulztal wäre ein nahezu unberührter Flusslauf betroffen – „ein
       natürliches, verzweigtes Fließgewässer, wie es in Tirol rar geworden ist“,
       erklärt Tobias Hipp vom DAV. Wenn ein Großteil des Wassers zudem auch noch
       abgeleitet würde, könnte auch die lokale Landwirtschaft ein Problem
       bekommen.
       
       ## Verheerende Folgen für Fließgewässer
       
       Was das alles denn mit einer nachhaltigen Energieerzeugung zu tun habe,
       fragen sich Naturschützer und Experten. Dass Wasserkraft in der Regel eine
       saubere Lösung sei, sei ein Mythos. „Die ökologischen Folgen für
       Fließgewässer sind verheerend“, warnt Anna Schöpfer, Gewässerökologin von
       der Universität Innsbruck: „Die schwankenden Pegel verursachen für viele
       Wasserlebewesen enormen Stress.“ Das kann dazu führen, dass Fische
       sprichwörtlich auf dem Trockenen liegen oder nicht mehr ablaichen. „Dadurch
       sind manche Arten bereits vom Aussterben bedroht.“
       
       Laut WWF ist die Zahl der im Süßwasser lebenden Arten seit 1970 weltweit
       bereits um drastische 83 Prozent zurückgegangen.
       
       ## Drohen gar größere Gefahren?
       
       Doch auch das von den Betreibern häufig vorgebrachte Argument, dass
       Stauseen einen flexiblen Umgang mit großen Wassermengen erlauben und so vor
       Hochwasser schützen, stellen Hydrologen und Ingenieure in Frage. Einige
       sehen sogar die Gefahr, dass die geplanten Wehre und die Reduzierung des
       Wasservolumens sowie die daraus folgenden Veränderungen des Bachbetts bei
       Hochwasserereignissen zu einer größeren Gefahr würden.
       
       In der öffentlichen Diskussion kommt den Betreibern jedoch zugute, dass die
       Veränderungen des Fließgewässersystems hochkomplex sind und von kaum
       jemandem verstanden werden. „Der Fluss kann ausufern und sich ein neues
       Bett suchen. Diese Katastrophen sind in Tirol hinreichend bekannt“, erklärt
       Hochwasserschutz-Ingenieur Uwe Merkel.
       
       Auch in Sachen Skigebiete gibt es immer neue Versuche, bestehende Anlagen
       zu erweitern. Hier stecken die auch als Naturschutzorganisationen tätigen
       Alpenvereine im selben Dilemma wie die Tiroler Grünen: Klimaschutz und
       Naturschutz sind gleichwertige, miteinander zusammenhängende Ziele.
       Angesichts der aktuellen Debatte und der Aufmerksamkeit für den Klimaschutz
       gerät die Natur bei Konflikten allerdings immer wieder ins Hintertreffen.
       
       29 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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