# taz.de -- Menschenrechte auf den Malediven: Kein Paradies für Einheimische
       
       > Wer sich auf den Malediven kritisch zu Religion und Politik äußert, ist
       > gefährdet. Die Menschenrechtlerin Shahindha Ismail musste das Land
       > verlassen.
       
 (IMG) Bild: Ungefähr so stellen sich Touristen die Malediven vor. Die Lebensrealität sieht anders aus
       
       HAMBURG taz | Vielleicht kann Shahindha Ismail nie wieder in ihre Heimat
       zurückkehren. In eine Heimat, die in Europa als Urlaubsparadies gilt: die
       [1][Malediven], eine Inselgruppe im Indischen Ozean. Aus Hamburg beobachtet
       die 41-jährige Menschenrechtsaktivistin, dass in ihrer Heimat seit Wochen
       eine Hass-Kampagne gegen sie läuft.
       
       Ismail erhält öffentliche Morddrohungen von religiösen Fanatikern, außerdem
       ermittelt die maledivische Polizei gegen sie. Bis zum Ende der Ermittlungen
       sind ihrer Nichtregierungsorganisation [2][Maldevian Democracy Network]
       (MDN) sämtliche Aktivitäten untersagt. Aus einem freiwilligen Aufenthalt in
       Deutschland könnte jetzt für die Aktivistin ein unfreiwilliges Exil werden.
       
       Noch ist sie nicht so weit, die Situation endgültig zu akzeptieren.
       Shahindha Ismail wuchs in einer politischen Familie in der Hauptstadt Malé
       auf, ihr Vater war unabhängiger Parlamentarier. Lange Zeit kannte sie
       keinen anderen Präsidenten als den Diktator Maumoon Abdul Gayoom, der das
       Land von 1978 bis 2008 beherrschte. Als 2003 der 18-jährige Häftling Hassan
       Evan Naseem 2003 von Gefängniswärtern zu Tode gefoltert wurde, schloss sie
       sich den Protesten auf der Insel an.
       
       ## Die Verhaftung des Bruders
       
       Ismail, in Jeans und T-Shirt, sitzt in ihrer großen Hamburger Wohnung, seit
       einer halben Stunde kaut sie auf einer halben Banane herum. „Ich wollte die
       Menschen vor dem Diktator retten“, erzählt sie sehr leise, ganz ernst.
       Zusammen mit ihrem Bruder, wie sein Vater ein unabhängiger Abgeordneter,
       zettelte sie öffentliche Debatten an und startete Aktionen gegen das
       eigenmächtige Vorgehen von Polizei und Gefängnispersonal, die, wie im Fall
       von Hassan Evan Naseem, Menschen ohne ordentliches Gerichtsverfahren de
       facto hinrichten lassen konnten.
       
       Ismail macht die Balkontür auf, es ist windig in Hamburg, die frische Luft
       fährt durch ihr Haar. Stolz erzählt sie in fließendem Englisch: „Das war
       eine erfolgreiche Aktion damals! Viele Menschen haben öffentlich ein Tabu
       gebrochen und Kritik an der Regierung geübt, obwohl unsere Veranstaltungen
       später von der Regierung verboten wurden.“
       
       Die Proteste gegen Maumoon Abdul Gayoom und sein Regime gingen 2004 weiter.
       „Ich erinnere immer noch genau an das Datum. Es war der 12. August, und ich
       bin nach der Uni zur Demo gegangen. Damals habe ich das Leben einer
       Aktivistin gelebt,“ sagt Ismail, „ich habe mich gleichzeitig mit vielen
       verschiedenen Sachen beschäftigt.“ An dem Tag wurden ungefähr 300 Menschen
       von der Polizei festgenommen – unter ihnen Ismails Bruder.
       
       „Sie haben ihn krankenhausreif geschlagen“, erinnert sich Ismail. „Ich war
       schockiert. Wie uns ging es vielen Familien. Sie hatten keinen Kontakt zu
       ihren inhaftierten Angehörigen.“ Gemeinsam mit anderen Aktivisten begann
       Ismail die Rechte der Familien zu recherchieren. Jeden Tag formulierten sie
       für betroffene Familien dutzende Briefe an den Generalstaatsanwalt. Und
       tatsächlich durften die Familien auf den öffentlichen Druck hin die
       Gefangenen besuchen. „Es war unser erster großer Erfolg,“ sagt Ismail.
       
       ## Projekt „Parliament watch“
       
       Sie dokumentierten alle ihnen bekannten Fälle und veröffentlichten sie auf
       einer Website. Später sollte daraus die erste Menschenrechtsorganisation
       der Malediven werden, das Maldevian Democracy Network (MDN), deren
       Geschäftsführerin Ismail heute ist. Offiziell registrieren lassen konnten
       sie die Organisation erst 2006.
       
       MDN verschwand danach nicht mehr von der Bildfläche. Anders als der
       Diktator: 2008 wurde er in den ersten demokratischen Parlamentswahlen des
       Landes abgewählt, 2018 ließ ihn der damalige Präsident Abdulla Yameen
       verhaften. Unter Mohamed Nasheed, dem ersten frei gewählten Präsidenten des
       Landes, machte der Inselstaat Fortschritte. 2010 startete MDN das Projekt
       „Parliament watch“, um die Arbeit der Abgeordneten zu begleiten und zu
       überwachen.
       
       „Wir wollten das Parlament näher an die Menschen bringen“, erklärt Ismail.
       Sie und ihre Mitstreiter warben für Presse- und Redefreiheit. Doch Nasheed
       trat 2012 nach einem Putschversuch gegen ihn zurück, sein Nachfolger
       Abdulla Yameen regierte das Land von 2013 an wieder sehr viel
       autokratischer.
       
       ## Keine Religionsfreiheit
       
       Die Malediven sind ein kleines Land südwestlich von Indien und Sri Lanka
       mit nur 344.023 Einwohnern, aber großen Problemen – wie Klimawandel,
       Korruption und religiösem Extremismus. Der Islam ist Staatsreligion,
       Religionsfreiheit ist ausdrücklich ausgeschlossen. Das politische Klima hat
       sich seit 2013 verschärft. 2014 wurde der Journalist und Blogger Ahmed
       Rilwan Abdulla ermordet, der über religiösen Extremismus und soziale Themen
       schrieb.
       
       Damals heuerte Ismails NGO einen Privatdetektiv an. Er fand heraus, dass
       hochrangige Politiker mit radikal-islamischen Gruppen zusammenarbeiteten.
       „Wir haben das Ergebnis dieser Untersuchung öffentlich gemacht“, erinnert
       sich Ismail, „und am gleichen Tag ging die Polizei gegen unseren Report
       vor.“
       
       Genau zu diesem Zeitpunkt begannen die Morddrohungen gegen Shahindha
       Ismail. „Ich rief die Polizei an“, erzählt Ismail, „und die Polizisten
       sagten zu mir: ‚Ja, wir suchen dich wegen des Reports‘. Ich war völlig
       überrascht: Ich bat die Polizei um Hilfe, und sie wollte mich festnehmen!“
       
       Ismails Handy vibriert, ängstlich guckt sie auf das Display. Ist wieder ein
       Kollege festgenommen worden, hat jemand aus ihrem Freundeskreis
       Morddrohungen erhalten? Sie schaltet ihr Handy aus, schließt die Balkontür.
       Es ist kalt, sie kommt aus einem Land, wo das Thermometer niemals unter 25
       Grad fällt. Ismail nimmt auf dem Boden Platz und erzählt.
       
       ## Sarkastischer Tweet
       
       Im April 2017 starb der bekannte Blogger Yameen Rasheed, weil er sich
       kritisch gegen den islamischen Extremismus geäußert und über Politiker
       lustig gemacht hatte. Nachdem er auf Twitter Morddrohungen erhalten hatte,
       töteten ihn seine Mörder mit 38 Stichen. Bis heute ist der Fall nicht
       aufgeklärt.
       
       Auch für Ismail wurde die Lage immer bedrohlicher. Im Dezember 2017
       lieferte sie sich auf Twitter einen Wortwechsel mit dem damaligen
       Präsidenten Abdulla Yameen. „Ich akzeptiere keine andere Religion als den
       Islam“, twitterte Yameen. Ismail konterte sarkastisch: „Andere Religionen
       auf dieser Welt existieren doch nur deswegen, weil Allah sie erlaubt hat.
       Sonst würde es doch keine andere Religion geben, oder?“
       
       Der Tweet verschärfte die Situation für die Menschenrechtsaktivistin
       weiter. Innerhalb von fünf Stunden veröffentlichte die Online-Zeitung
       Vaguthu mehrere Artikel gegen die „Atheistin“ Ismail, die nach den Regeln
       der Scharia sterben müsse. Ismail verließ die Malediven und floh an einen
       geheimen Ort. Erst zwei Monate später kehrte sie zurück.
       
       ## Der Überwachung müde
       
       Nach ihrer Rückkehr bekam sie endlich Polizeischutz. „Aber irgendwann war
       ich müde vom Polizeischutz“, sagt Ismail. „Ich war es satt, die ganze Zeit
       nach rechts und links gucken zu müssen.“ Sie zog in das Gebäude um, in dem
       ihr Büro war. „Ich war eine alleinerziehende Mutter und Aktivistin. Ich
       hatte so viel zu tun und gleichzeitig konnte ich das Haus nicht verlassen“,
       sagt Ismail. „Ich bin immer gern joggen gegangen. Ich bin sogar Marathon
       gelaufen.“
       
       Das alles war plötzlich vorbei. Eine Anzeige im April 2018 wegen eines
       Tweets wurde zwei Monate später aus Mangel an Beweisen zwar eingestellt,
       dennoch blieb die Lage bedrohlich.
       
       Eine Überraschung war daher das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2018.
       Oppositionskandidat Ibrahim Mohamed Solih von der Maledivischen
       Demokratischen Partei (MDP) setzte sich gegen den Amtsinhaber Abdulla
       Yameen durch. Plötzlich schöpften die Menschen wieder Hoffnung. Eine
       Hoffnung, die sich bisher nicht erfüllt hat.
       
       “Wir sprechen hier von einem ‚Staat im Staate‘“, erklärt Ismail. „Die
       Islamisten kontrollieren de facto die Regierung. Sie haben alle
       Institutionen unterwandert. Und die weit rechts stehende Partei Adhaalath
       ist Teil der Regierungskoalition.“
       
       ## Abgeschottete Touristen
       
       Die Touristen aus aller Welt bekommen davon wenig mit. Sie gehen an
       traumhaft schönen Stränden tauchen, abgeschieden von der einheimischen
       Bevölkerung und ihren Problemen. „Die Touristen kümmert das nicht, weil sie
       vom Aufstieg der Islamisten nicht betroffen sind“, glaubt Ismail. „Viele
       Betreiber der Touristenresorts zahlen Geld an die Islamisten, damit ihre
       Unterkünfte sicher bleiben.“
       
       Die Einladung nach Hamburg kam für Ismail gerade zur richtigen Zeit. Mit
       einem Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ist sie für
       ein Jahr in der Hansestadt zu Gast. Hier wollte sie sich erholen. Endlich
       wieder einen Marathon laufen, ohne Angst zu haben. Endlich wieder auf der
       Straße sich bewegen, ohne nach möglichen Verfolgern Ausschau halten zu
       müssen.
       
       Aber seit Wochen nehmen die Drohungen auf Twitter gegen sie massiv zu. Das
       Ministerium für islamische Angelegenheiten veranlasste Anfang Oktober
       polizeiliche Ermittlungen zu einem Report des Maldevian Democracy Network
       aus dem Jahr 2015. Der Bericht verstoße gegen Grundsätze des Islams und
       gefährde die religiöse Einheit der Malediven. Die Polizei fahndet nach
       Mitarbeitern der Organisation.
       
       Ismail ist den Tränen nahe. Auf einer der vom Tsunami 2004 besonders
       betroffenen Inseln hatte sie aktiv beim Wiederaufbau geholfen. Sie war für
       die Menschen da gewesen. Jetzt findet dort eine Fahrraddemonstration gegen
       sie und ihre NGO statt. „Das tut weh“, sagt sie.
       
       Am 5. November verkündete das maledivische Ministerium für Jugend, Sport
       und Stärkung, dass es sich entschieden hat, „den Betrieb von Maldevian
       Democracy Network ganz [3][einzustellen]“.
       
       Hinweis: Der Artikel wurde am 6. November im letzten Absatz aktualisiert.
       
       4 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kommentar-Reisen-in-die-Diktatur/!5362243
 (DIR) [2] http://mdn.mv/
 (DIR) [3] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/11/maldives-ngo-closure-shows-repression-hasnt-gone-away/
       
       ## AUTOREN
       
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