# taz.de -- Digitalisierung der Gesellschaft: Nicht ohne Risiko
       
       > Ein neues Forschungsprogramm soll Umweltschutz und Computerwelt
       > miteinander verknüpfen. Das Ziel ist, weniger Klimagase freizusetzen.
       
 (IMG) Bild: Mit künstlicher Intelligenz könnten illegal fischende Boote besser ausgemacht werden
       
       BERLIN taz | In der Woche nach dem [1][Madrid-Schock] über eine
       international handlungsunfähige Klimapolitik, beeilte sich die deutsche
       Forschung, dem Kampf gegen den Klimawandel einen positiven Dreh zu geben.
       Im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wurde ein neues über
       100 Millionen Euro schweres Aktionsprogramm für Digitalisierung und
       Nachhaltigkeit vorgestellt, während eine Fachkonferenz von Umwelt- und
       IT-Experten die nächsten Schritte in „unsere gemeinsame digitale Zukunft“
       reflektierte.
       
       Die vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale
       Umweltveränderungen (WBGU) gemeinsam mit dem Berliner Weizenbaum-Institut
       (WI) für die vernetzte Gesellschaft ausgerichtete [2][Tagung „Zukunft
       gestalten: Digital und nachhaltig“] hielt mit 260 Teilnehmern Rückblick auf
       [3][das wegweisende Gutachten,] das der Beirat in diesem Frühjahr vorgelegt
       hatte. In ihm wurden erstmals die beiden derzeit ablaufenden großen
       Transformationen – in der Natur und in der Digitalwelt – zusammen gedacht
       und der Kurs in eine „digitalisierte Nachhaltigkeit“ aufgezeigt. Die
       500-Seiten-Studie wurde im Sommer auch auf Ebene der
       UN-Nachhaltigkeitskonferenz in New York vorgestellt.
       
       Die Digitalisierung biete zahlreiche Chancen für eine nachhaltige
       Entwicklung und stelle einen „innovativen Werkzeugkasten zur Erreichung der
       Nachhaltigkeitsziele“ bereit, erklärte [4][der scheidende WBGU-Vorsitzende
       Dirk Messner, der ab Januar das Umweltbundesamt (UBA)] leiten wird.
       Gleichzeitig bestehe das Risiko, negative Trends, wie zum Beispiel einen
       steigenden CO2-Ausstoß oder die Gefährdung der informationellen
       Selbstbestimmung durch mehr Digitalisierung noch zu verstärken, warnt der
       WBGU.
       
       Schon heute sind die digitalen Technologien durch ihren Energieverbrauch
       für 4 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, so viel
       wie der Flugverkehr. Dieser Anteil könnte sich mit den derzeitigen
       Steigerungsraten des Energieverbrauchs von jährlich 9 Prozent bis zum Jahre
       2025 verdoppeln. Auch gegen diesen Trend will das neue BMBF-Programm
       angehen.
       
       Zugleich mache es die Digitalisierung möglich, gegen Bedrohungen der Umwelt
       auf neue Weise vorzugehen, bemerkte die Meeresforscherin Antje Boetius, die
       das Alfred-Wegner-Institut der Helmholtz-Gemeinschaft in Bremerhaven
       leitet. So könne aus den Daten der Satelliten-Überwachung mithilfe der
       künstlichen Intelligenz herausgefunden werden, ob ein Schiff in einem
       Meeresschutzgebiet illegal Fischfang betreibt: „Ein fischendes Schiff hat
       ein langsameres Tempo als ein normal fahrendes“.
       
       ## Eine andere Gesellschaft
       
       Mehr denn je sei es aber auch für Naturwissenschaftler nötig, die
       gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitaltechniken im Blick zu haben,
       merkte Uwe Schneidewind vom Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie als
       Beiratsmitglied an. Wenn die sensorgestützte Überwachung der Umwelt auch
       auf den Menschen ausgedehnt werde, entstehe eine andere Gesellschaft.
       
       Die Verbindung zu einer „Digital Sustainability made in Germany“ könnte
       sogar zu einem neuen Slogan werden, meinte Daniela Jacob, Direktorin des
       [5][Climate Service Center Germany (GERICS)] und Mitautorin des letzten
       Weltklimaberichts des IPCC.
       
       Die Informatikerin Ina Schieferdecker, die bis vor wenigen Monaten am
       Berliner Fraunhofer-Institut FOKUS wirkte und dem WBGU angehörte, verwies
       in ihrer neuen Funktion als Abteilungsleiterin im BMBF darauf, dass daran
       bereits gearbeitet werde. „Unser Haus hat mit einem grünen IKT-Programm
       begonnen“, so Schieferdecker. In den kommenden drei Jahren würden vier Mal
       so viel Mittel wie bisher zur Erforschung von ressourcensparenden Lösungen
       eingesetzt.
       
       In dem neuen [6][Aktionsplan „Natürlich.Digital.Nachhaltig“], den
       BMBF-Staatssekretär Thomas Rachel auf der Konferenz vorstellte, werden
       erstmals alle Projekte des Ministeriums auf ihre digitale Nachhaltigkeit
       abgeklopft, gebündelt und teilweise weiter entwickelt.
       
       Es müssten auch die Risiken der Digitalisierung benannt werden, so Rachel.
       „So muss zum Beispiel ihr ‚Stromhunger‘ dringend begrenzt werden – damit
       mehr Digitalisierung nicht mehr Klimawandel bedeutet“. Hier wolle das neue
       Programm „ein starkes Zeichen“ setzen.
       
       Der Aktionsplan umfasst die drei großen Bereiche Bildung, Forschung und
       Anwendung. Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) soll verstärkt
       werden. Höhepunkt ist die [7][Unesco-Konferenz zu diesem Thema im Sommer
       2020 in Berlin]. Auch in der Berufsbildung sowie mit der Nationalen
       Weiterbildungsstrategie in der Erwachsenenbildung soll mehr
       Nachhaltigkeitswissen verbreitet werden. Im Bereich der Sicherheitstechnik
       wird 2021 die Forschungsinitiative „Resilienz digitaler Systeme“ starten,
       um digitale Infrastrukturen gegen Störungen und Angriffe zu wappnen.
       
       Im gleichen Jahr beginnt ein neues „Forschungsprogramm für interaktive
       Technologien“, das die Nutzerfreundlichkeit erhöhen soll. In der Forschung
       soll ab Herbst 2020 die Förderung der ersten Konsortien der [8][Nationalen
       Forschungsdatenstruktur (NFDI)] starten, die eine bessere und breitere
       Nutzung der bei Forschungsprojekten gesammelten Daten ermöglichen soll.
       Starke Impulse soll es im Bereich der Batterieforschung geben. Neben der
       [9][Forschungsfabrik in Münster für Auto-Batteriezellen] will das BMBF mit
       der „Initiative Batterie 2020“ im kommenden Jahr die Entwicklung wieder
       aufladbarer elektrochemischer Energiespeicher entlang der gesamten
       Wertschöpfungskette fördern.
       
       ## Nachhaltiges Wirtschaften
       
       Im Bereich sozialer Innovationen wird 2020 die Fördermaßnahme
       „Digitalisierung sozialökologisch gestalten – Wirtschaft und Gesellschaft
       mithilfe der Digitalisierung nachhaltiger machen“ gestartet. Für die
       Kommunen wird die Fördermaßnahme „Wasser-Extremereignisse“ aufgelegt. Für
       2021 ist eine zusätzliche Förderinitiative zur Steigerung der Energie- und
       Ressourceneffizienz und zum nachhaltigen Wirtschaften in der Produktion
       geplant.
       
       Viel konkrete Forschung ist also auf dem Weg. Aber ist es die richtige, und
       wenn ja, wie schnell kommt sie zur Anwendung? In der Konferenz wurden
       mitunter Zweifel laut. „Die technischen Möglichkeiten sind vorhanden, aber
       es fehlen die Regeln, um eine faktische Verbesserung des Umweltzustandes zu
       erreichen“, beklagte die Meeresforscherin Antje Boetius, die mit Problemen
       des Transfers auch im Hightech-Forum der Bundesregierung befasst ist.
       
       Auch Dirk Messner konstatierte, dass noch immer zu wenig ökologisches
       Faktenwissen in den Entscheidungsebene der Politik vorhanden sei. Nach dem
       Motto „You cannot govern what you don’t understand“ müsse dringend eine
       bessere „Governance“ innerhalb des politischen Systems erreicht werden.
       Gruß nach Madrid.
       
       An dieser Schnittstelle könnte das Berliner Weizenbaum-Institut, das sich
       mit den Wechselwirkungen von Internet und Gesellschaft wissenschaftlich
       beschäftigt, neue Akzente setzen. Weizenbaum-Vizedirektor Sascha Friesike
       übernahm in der Konferenz symbolisch den „Staffelstab“ für die Forschung an
       den vom WBGU angestoßenen Themen. Sein Institut sei darauf angelegt,
       Brücken zu bauen, sagte Frisike: „Die Digitalisierung der Nachhaltigkeit
       ist eine solche Brücke“.
       
       21 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Abschluss-der-COP25/!5646156
 (DIR) [2] https://www.wbgu.de/de/veranstaltungen/veranstaltung/forschungskonferenz2019
 (DIR) [3] https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/unsere-gemeinsame-digitale-zukunft
 (DIR) [4] /Abschluss-der-COP25/!5646156
 (DIR) [5] https://www.climate-service-center.de/
 (DIR) [6] https://www.bmbf.de/de/digitalisierung-und-nachhaltigkeit-10466.html
 (DIR) [7] https://www.bne-portal.de/de/weltweit/gute-praxis-weltweit/unesco-weltkonferenz-zu-bne-findet-deutschland-statt
 (DIR) [8] https://www.forschungsdaten.org/index.php/Nationale_Forschungsdateninfrastruktur_-_NFDI
 (DIR) [9] /Karliczeks-Batteriezentrum/!5633370
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
       ## TAGS
       
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