# taz.de -- Werder Bremen in Abstiegsnot: Der Star ist der Coach
       
       > Bremen spielt eine grottenschlechte Saison. Trainer Florian Kohfeldt
       > übernimmt nach wie vor die Rolle als Werders Wunderwuzzi.
       
 (IMG) Bild: Sinnbild der Lage: Leonardo Bittencourt am Boden
       
       Im Zuge der Klima-Debatte hat der Begriff Kipppunkt Karriere gemacht – als
       der Moment, in dem eine bis dahin gradlinige Entwicklung ins Rutschen
       kommt. Werder Bremen scheint diesen heiklen Moment erreicht zu haben.
       Obwohl die Punktausbeute auch vorher, gemessen am Saisonziel eines
       Europa-League-Platzes, dürftig war, agierte das Team lange auf Augenhöhe
       mit den Gegnern und überzeugte oft auch spielerisch. Nach der
       überraschenden Heimniederlage gegen den Tabellenletzten aus Paderborn (0:1)
       folgten die Partien bei Bayern München (1:6) und gegen Mainz (0:5), in
       denen sich die Bremer nicht konkurrenzfähig zeigten.
       
       Die Leistung gegen Mainz war wesentlich desolater als bei der
       0:3-Heim-Niederlage gegen den FC Augsburg vor gut zwei Jahren, die Trainer
       Alexander Nouri den Job kostete und den Weg für Florian Kohfeldt frei
       machte. Doch während Nouri damals einsam abging, wurde Kohfeldt nach dem
       Mainz-Debakel in der Fankurve bejubelt.
       
       Nouri, der jetzt als Co-Trainer von Jürgen Klinsmann bei Hertha BSC
       arbeitet, wurde angelastet, dass Vereinslegende Claudio Pizarro und der
       beliebte Co-Trainer Florian Bruns gehen mussten, und er es nicht geschafft
       hatte, die Mannschaft spielerisch weiterzuentwickeln. Unter Kohfeldt ist
       nicht nur Pizarro zurückgekehrt, er hat dem Werder-Spiel auch Schritt für
       Schritt seinen Stempel aufgedrückt, der für viel Anerkennung in der Liga
       sorgte: durchaus variationsreicher Kombinationsfußball mit viel Ballbesitz.
       
       Diesen Stil schien das Team, das in der letzten Saison den Europapokal nur
       hauchdünn verpasst hatte, so verinnerlicht zu haben, dass selbst der Abgang
       des überragenden Max Kruse sehr entspannt aufgenommen wurde. Doch dann ging
       gleich der Saisonstart gegen Fortuna Düsseldorf daneben und es begann
       zeitgleich eine Verletzungsserie, die insgesamt 14 Spieler zeitweise zum
       Aussetzen zwang. In der Abwehr brachen gleich alle Stützen weg, sodass
       Kohfeldt den 30-jährigen Debütanten Christian Groß aus der zweiten
       Mannschaft vorübergehend zum Stammspieler machen musste.
       
       ## „Unfassbare Wut“
       
       Noch bis vor wenigen Wochen bescheinigte Kohfeldt der Mannschaft, die
       Misere „überragend“ anzunehmen. Nach dem Mainz-Spiel verspürte er dagegen
       „eine unfassbare Wut“ und monierte fehlende Bereitschaft. Vieles spricht
       dafür, dass er ein Opfer seiner eigenen Talente geworden ist. Die gehen
       weit über das Coachen einer Mannschaft hinaus. Als fähigster Kommunikator
       im Verein ist er auch der Erklärer in allen Lebenslagen – nach innen wie
       außen. Dazu präsentiert sich der ehemalige Torwart, der in der Nachbarstadt
       Delmenhorst – einem Underdog unter den norddeutschen Städten – geboren
       wurde und als 19-Jähriger zu Werder kam, glaubhaft als glühender Fan der
       Grün-Weißen.
       
       Das Gesamtpaket macht Kohfeldt zum einzig verbliebenen Star der Mannschaft
       – und das ist ein Problem. In dem Moment, in dem sein Plan und seine
       Lösungen nicht mehr greifen, ist die Mannschaft wehrlos, schafft sie es
       nicht, aus sich heraus die Erosion zu stoppen, löst sie sich in ihre
       Einzelteile auf. Das scheint Kohfeldt erkannt zu haben. Vor dem Spiel gegen
       den direkten Abstiegskonkurrenten aus Köln geht er erkennbar auf Distanz
       zur Mannschaft, offenbar, um sie zu einer Reaktion zu zwingen.
       
       Noch schwieriger wird es, kurzfristig auf das zweite Kernproblem zu
       reagieren. Fast in jedem Spiel wirken die Gegner kräftiger und schneller
       als die Bremer. Auch wenn das Fehlen der robusten Ömer Toprak, Niclas
       Füllkrug, Kevin Möhwald und Josh Sargent im physischen Bereich besonders
       zum Tragen kommt, der Kader ist in diesem Bereich nicht ausgewogen
       zusammengestellt.
       
       Egal wie das Spiel gegen die Kölner, die beim Auswärtssieg in Frankfurt
       gerade ein robustes Nervenkostüm bewiesen haben, ausgeht, die viel
       beschworenen Mechanismen der Liga werden so schnell in Bremen nicht
       greifen. Die Klubführung um Sportvorstand Frank Baumann [1][glaubt weiter]
       an eine lange Strecke mit Kohfeldt, und für die Stimmung unter den Fans
       spricht ein Facebook-Post der Fan-Kneipe „Eisen“: „Die Summe anfangs noch
       halbwegs kontrollierbarer Einzelkomponenten hat einen dieser fatalen
       Kipppunkte überschritten“, heißt es da. „Die üblichen Verdächtigen
       verlangen nun schwer erregt nach Satisfaktion – aber bitte: Halte die Nase
       weiter in den Wind! Eine Menge Leute würden mit dir zur Not auch in die
       zweite Liga gehen. Die schreien hier nur nicht so laut.“
       
       21 Dec 2019
       
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 (DIR) [1] https://www.weser-kurier.de/werder/werder-bundesliga_artikel,-werder-verteidigt-die-kaderplanung-_arid,1883877.html
       
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 (DIR) Ralf Lorenzen
       
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